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Die Twitterhölle

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Es ist natürlich schwer zu sagen, inwieweit Twitter den Geist und die Haltung der Deutschen als Ganzes widerspiegelt. Twitter liefert nur einen kleinen Ausschnitt, denn der Zugang zu Twitter ist relativ hochschwellig. Außerdem ist das Format recht spröde. Der Akzent liegt auf Text, der in seiner Länge auch noch reglementiert ist. Für die Sprecher einer Sprache wie dem Deutschen, das zur Länge tendiert, ist das eine zusätzliche Herausforderung und Hürde. Twitter zieht daher eine kleine gesellschaftliche Gruppe an, die diese recht hohen Hürden überspringt.

Diese recht kleine Gruppe, die auf Twitter aktiv ist, ist, so will ich es zumindest hoffen, für Deutschland nicht repräsentativ. Als Elon Musk Twitter übernommen hat, tobte die deutsche Twittergemeinde, denn Musk versprach, dass er die Meinungsfreiheit auf Twitter wieder herstellen würde. Durch diese Aussage fühlte sich die deutsche Twittergemeinde bedroht, denn ein strenges Zensurregime des bisherigen Eigentümers hat dafür gesorgt, dass sich auf Twitter vor allem Leute mit der gleichen oder einer zumindest sehr ähnlichen Meinung trafen. Alle anderen wurden blockiert und verbannt. Musk will diese eingeschworene Twittergemeinde nun wieder an Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt gewöhnen. Ein spannendes Unternehmen, das viel Geduld und Durchhaltevermögen vor allem von jenen fordert, die eine vom Mainstream abweichende Meinung auf Twitter vertreten.

Extremismus

Der Konzern Meta von Mark Zuckerberg ist wie auch Twitter in Russland übrigens als extremistisch eingestuft und daher verboten. Das liegt nicht daran, dass Russland ein Problem mit Meinungsfreiheit hat, wie man in Deutschland behauptet. Es liegt daran, dass Meta und Twitter in Russland genau das Gegenteil von dem praktizierten, was sie in Deutschland machen. Während in Deutschland schnell und zügig gesperrt und blockiert wird, obwohl überhaupt kein strafrechtlich relevanter Verstoß erkennbar ist, haben die beiden sozialen Netzwerke in Russland strafrechtlich relevante Verstöße auch nach mehrfacher Aufforderung nicht gelöscht. Man glaubt sich moralisch im Recht, weil Russland im Westen als Diktatur gilt. So schlicht und einfach ist das.

Dabei haben die Dienste mit ihrer Zensurpraktik in Deutschland deutlich gemacht, dass es mit ihrer freiheitlichen Gesinnung nicht zum Besten steht. Jeder der vom woken Mainstream abwich, flog raus. Nach völlig intransparenten Regeln übrigens und ohne tatsächliche Einspruchsmöglichkeit. Man konnte auf einen Button klicken, so seinen Einspruch bekunden, und hörte dann nie wieder was. Ist mir auch passiert.

Das hat sich inzwischen dank Besitzerwechsel tatsächlich geändert. Die woken Reaktionäre, die andere Meinungen nicht aushalten und alles canceln wollen, was nicht ihrer Sichtweise entspricht, drohten zunächst mit Abwanderung zu mastodon. Dort scheint es aber nicht so unterhaltsam zu sein, denn auch die reichweitenstarke Profile wie das von ARD-Moskaukorrespondentin Ina Ruck, die versprach auf mastodon auszuweichen und damit für das Netzwerk warb, ist immer noch auf Twitter und verbreitet dort ihre recht einseitige Sicht auf den Ukraine-Konflikt und über Russland.  Sie bedient zwar in der Regel lediglich rassistische Klischees und ihre Ausführungen haben mit der russischen Lebenswirklichkeit wenig zu tun, aber Ruck musste vor der Übernahme durch Musk nicht fürchten, wegen der Verbreitung von Desinformation blockiert zu werden. Auch wenn vieles falsch und vielfach Fake war, was sie behauptete, entsprach es der auf Twitter zugelassenen Haltung.

Die richtige Haltung zählt

Wer auf Twitter ist und dort etwas publiziert, das gegen die aktuelle Haltungsethik verstößt, muss mit einem Shitstorm rechnen. Es geht nicht um Diskussion und Austausch. Wer sich auf Twitter begibt, sollte alle Kategorien aufgeklärten Denkens aufgeben. Es geht geht nicht um das bessere Argument, sondern um Deutungshoheit.  Er sollte auch jede Hoffnung auf gute Umfangsformen oder Fairness aufgeben. Auf Twitter wird beleidigt und unter die Gürtellinie getreten. Man spendet sich dafür gegenseitig Applaus. Twitter macht deutlich, wie unzivilisiert Deutschland ist, welch schlechte Umgangsformen in Deutschland vorherrschen, von welch primitivem Geist Teile der deutschen Gesellschaft durchdrungen sind.

Die Haltungs-Journalisten des deutschen Mainstreams, die Vertreter der woken NGOs, die sich vorgeblich für Freiheit, Toleranz und Demokratie einsetzen, haben auf Twitter ihre anonymen Zweit- und Drittaccounts, die sie nutzen, um ihren sehr speziellen Blick auf Welt und Gesellschaft als einzig zulässigen durchzusetzen, indem sie diffamieren, beleidigen und – ganz wichtig – melden, melden, melden. Damit liefert Twitter einen Einblick in das Denken einer zwar recht kleinen, aber sehr machtvollen gesellschaftlichen Gruppe. Hier treffen sich die, die Deutschland nach ihrem Bilde formen wollen. Sie sind autoritär, reaktionär, befürworten Zensur.

Auf Twitter, nicht auf Telegram treffen sich die Extremisten

Es geht um die Unterdrückung von Meinungen und anderen Sichtweisen, die nicht ins woke Weltbild passen. Zensur, den Mund verbieten ist den Twitter-Usern des deutschen Mainstreams ein wichtiges Anliegen. Der Geist, der auf Twitter weht, ist tief antidemokratisch, tief autoritär und hat sich vom aufgeklärten Denken schon vor langer Zeit verabschiedet.

Es ist das große Paradox der deutschen Berichterstattung, dass behauptet wird, auf dem Messenger-Dienst Telegram würden sich die Extremisten treffen. Die wahren Extremisten, die echten Feinde demokratischer Prinzipien finden sich auf Twitter. Man bekommt das dort auch gesagt. dass man mit einer bestimmten Haltung zum Krieg in der Ukraine beispielsweise auf Twitter nichts zu suchen habe, „verpiss dich und geh zu Telegram“.

Es sind diese immer größer werdenden Widersprüche zwischen der Selbstwahrnehmung als frei, liberal und offen und der tatsächlichen Haltung, die autoritär und reaktionäer ist, die die Twitter-Gemeinde kennzeichnet. Man ist sich sicher, zu den Guten zu gehören und lässt eine Diskussion über die dieser Selbstwahrnehmung zugrundeliegenden Annahmen gar nicht erst zu. Das ist autoritärer Geist in seiner reinsten Form. Er weht in den Redaktionen der deutschen Gazetten, der vorgeblich liberalen NGOs und in den etablierten deutschen Parteien.

Gert-Ewen Ungar
Gert-Ewen Ungar
Gert Ewen Ungar legte sich kurz nach dem Abi sein Anagramm zu. Er und seine Freunde versprachen sich damals bei einem Kasten Bier, ihre Anagramme immer für kreative Arbeiten zu verwenden. Dass sein Anagramm jemals mehr als zehn Leuten bekannt werden würde, war damals nicht abzusehen und überrascht ihn noch heute. Das es dazu kam, lag an seinem Blog logon-echon.com. Mit seinen Berichten über seine Reisen nach Russland stiegen die Zugriffszahlen und es entwickelte sich eine Zusammenarbeit mit RT DE. Anfang 2022 stieß er zu den neulandrebellen und berichtet über Russland, über Politik, über alles Mögliche.

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