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Die AfD wars?

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Medien nennen Andersdenkende »Ratten«, die Grünen deindustrialisieren das Land – auch wenn es ungemütlich ist, gilt es jetzt mit einer Mär endgültig aufzuräumen: Nämlich mit jener, wonach es die AfD sei, die das Land ruiniere und an den Abgrund führe.

Vor jeder Wahl erneuert sich die Furcht im Lande: Wie wird die AfD abschneiden? Wird sie Einfluss auf die Politik nehmen können? Seit einigen Jahren geht das nun so. Erzielt sie ein hohes Wahlergebnis, wie beispielsweise in einigen Bundesländern des Ostens, wird über Tage und Wochen darüber berichtet, als tue sich nun der Schlund der Hölle auf. Das Land stehe kurz vor dem Untergang, wenn sich solche Ergebnisse häuften. Es werde nicht mehr wiederzuerkennen sein.

Die letzte Einschätzung hat sich bewahrheitet: Das Land ist nicht mehr wiederzuerkennen. Und wir müssen nur noch ein bisschen zuwarten, dann wird es sich noch viel mehr verändern, zu einer brachliegenden Ex-Industrienation werden. Mit einem Wahlergebnis der AfD hat diese Entwicklung allerdings nichts zu tun. Der Schlund der Hölle tat sich auf, ohne dass diese Partei auch nur ein bisschen Regierungsverantwortung gehabt hätte.

Während der Medienbetrieb weiterhin vor jener Partei warnt, blickt er am Niedergang des Landes, verursacht durch andere, ganz speziell aber von einer Partei, galant vorbei. Wer das doch anspricht, wer es anders sieht als die Mainstreammedien, wird schon mal als »Ratte« tituliert. Das ist eine Ausdrucksweise, die man gemeinhin auch der AfD unterstellt …

Eine Partei, die noch nie den Regierungsauftrag hatte

Seit Jahren kann man in diesem Lande eigentlich nur eine Partei kritisieren: Sahra Wagenknecht hat das neulich erst bitter erfahren müssen – ihre gerechtfertigte Kritik an den Grünen wurde als Affront begriffen. Nicht nur von den Grünen selbst, sondern auch von allen anderen Parteien. Inklusive ihrer eigenen Linkspartei. Wer in diesem Lande Parteikritik üben will, darf sie nur gegen eine Partei richten: Gegen die Alternative für Deutschland. Sie ist schließlich der Niedergang, sie zu schelten trifft stets auf Gegenliebe, wird enthusiastisch beklatscht. Die AfD zu kritisieren: Das ist das Erkennungszeichen der Aufrechten im Lande. Auch wenn die gar nicht so aufrecht gehen, weil es ihnen an Rückgrat mangelt.

Aber ist die AfD denn für die Agenda 2010, Hartz IV und damit den Sozialabbau verantwortlich? Hat sie damals die Bespitzelung der NSA kritiklos hingenommen? Snowden und Assange im Stich gelassen? Kann man sie auch für die Zerstörung der europäischen Idee verantwortlich machen? War die eiserne Kanzlerin, die die EU deutschen Interessen unterordnete, ihr Produkt? Hat sie dafür gesorgt, dass Banken und Versicherungen wie Casinos spekulieren können?

Und gehen wir mal weiter, zur Corona-Krise nämlich: Hat sie Kinder psychisch belastet und Alte alleine sterben lassen? Hat sie Burnouts und depressive Episoden begünstigt? Und ja, nochmal ein Stück weiter: Frieren wir diesen Winter, weil die AfD Gas abbestellt hat? Hat sie etwa auch bewirkt, dass man in diesem Lande aufpassen muss, welche Meinung man öffentlich kundtut?

Haben wir was verpasst? Diese Partei existiert seit 2013, seit noch nicht mal einem Jahrzehnt: Mehr als die Hälfte der hier noch längst nicht vollumfänglichen Aufzählung, gab es als Problem schon bevor die AfD überhaupt gegründet wurde. Das Ozonloch und die Erderwärmung: Auch die gab es schon vor 2013. Dennoch hält sich hartnäckig das Gerücht, dass die AfD und ihre Wählerschaft weiter an der Klimakrise arbeiten. In diesen neun Jahren der Existenz war die AfD noch in keinem Land, schon gar nicht im Bund, Teil einer Regierung. Sie hatte also gar keine Chance, dieses Land zu einem schlechteren Platz zu machen. Muss sie auch gar nicht: Diesen Beitrag haben längst andere Parteien geleistet. Und sie leisten ihn auch weiterhin täglich. Nur laut sagen sollte man das nicht, sonst gilt man als rechts, AfD, Nazi, ja als jemand, der dieses Land jeden Tag verschlechtert. Wer schweigt, so lässt man uns wissen, macht Deutschland zu einem besseren Ort.

Es wird Zeit, die AfD wie eine ganz normale Partei zu behandeln

Man verstehe mich jetzt bitte nicht falsch: Wenn die AfD doch mal in Regierungsverantwortung kommen sollte, wird hierzulande höchstwahrscheinlich nicht das Paradies ausbrechen. Auch zweifle ich stark daran, dass die AfD eine Wirtschaftspolitik forcieren würde, die auf mehr Gleichheit und mehr Teilhabe setzen würde. Aber darum geht es ja nicht. Denn das ist letztlich nur Zukunftsmusik. Von der Zukunft kann man jedoch nicht mit Gewissheit sprechen. Wovon man aber sprechen kann, das ist das, was schon war: Von der Vergangenheit nämlich. Und in der hat die AfD keine Position als Entscheiderin eingenommen. Sie war stets Opposition. Isolierte Opposition zumal.

Wenn eine Partei in Deutschland sich noch nicht versündigt hat, dieses Land mehr und mehr zu einem Ort zu machen, in dem die Lebensqualität schwindet, dann ist es ausgerechnet diese geschmähte Partei. Alle anderen sind schuldig im Sinne meiner hier vorgebrachten Anklage.

Zuletzt fürchtete ein Journalist des öffentlich-rechtlichen Komplexes, dass die Meinungsfreiheit, die Elon Musk für Twitter angedacht haben könnte, die Ratten aus den Löchern kriechen lasse: Das ist genau die Sprache, die man seit Jahren der AfD nachsagt. Mittlerweile klingen die Kritiker der AfD wie jene AfD, die sie sich als Feindbild aufgeblasen haben. Sie merken es noch nicht einmal. Das heißt nicht, dass nicht auch innerhalb der AfD Personen zu finden sind, die auf diese Weise ätzen. Natürlich gibt es die. Aber eben nicht nur dort.

Überhaupt ist es endgültig an der Zeit, dass man diese Partei entdiabolisiert. Ist sie die Rettung dieses Landes? Ziemlich sicher nicht. Ist sie der Untergang? Wie, es geht noch weiter runter? Für einen Untergang brauchen wir gar keine spezielle Partei. Wir haben bereits genügend, die das Projekt Niedergang gut beherrschen und an uns ausleben. Die AfD ist eine ganz normale Partei, nicht besser und nicht schlechter als etwa die Grünen. Wobei ich den letzten Satz etwas nachbessern möchte: In einigen Fragen ist die AfD besser, realistischer und menschlicher als die Grünen. Denn speziell diese Grünen erweisen sich seit geraumer Zeit als die gefährlichste Partei im Lande. Da muss die AfD echt noch viel Hass und Gewaltbereitschaft verinnerlichen, um an diese Grünen heranzukommen. Einfach dürfte das nicht werden …

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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