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Die woke Marktwirtschaft

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Verlage nehmen ihre Druckerzeugnisse aus dem Sortiment. Ein Handelskonzern überprüft den Verkauf eines Magazins. Während die Marktwirtschaft keine Angst vor Gewerkschaftsforderungen hat, zittert sie wie Espenlaub, wenn man ihr Unmoral unterstellt.

Wie kann ein Unternehmen sich nur so unter Druck setzen lassen von dem, was es als öffentliche Meinung einordnet? So wie Ravensburger mit der Winnetou-Sache neulich? Oder Rewe, das vorauseilend die Prüfung des Verkaufs von Tichys Magazine in Aussicht stellte, nachdem jemand etwas empört bei Facebook danach gefragt hatte. Zumal es sich ja noch nicht mal um die wirkliche öffentliche Meinung handelt, sondern um Schreihälse, die so tun, als seien sie das Sprachrohr der Mehrheit? Mehrfach las man diese Frage in den letzten Wochen: Was animiert Unternehmen, sich einem solchen Diktat der »Moral« zu unterwerfen?

Die Antwort ist nicht ganz so kompliziert: Ethik ist zu einem Verkaufsargument geworden. Die Marketingabteilungen legen äußersten Wert darauf, dass ihre Unternehmen nicht nur einfach gute Produkte oder zuverlässige Dienstleistungen liefern: Ihr Ruf scheint in diesen Tagen viel wichtiger sein als ihr Kerngeschäft. Moral – oder das was dafür gehalten wird – ist Reputation. Wenn Unternehmen bei leichtem Gegenwind einknicken, tun sie es nicht, weil man sie überzeugt hätte, ganz egal wie sehr sie sich winden, entschuldigen, richtigstellen. Sie tun es, weil sie sich einschüchtern lassen von  dieser »moralistischen Marktlogik«.

Kapitalisten, die keinen Strick mehr verkaufen

Früher war man sich darüber noch im Klaren: Die Kapitalisten verkaufen einem den Strick, an dem man sie aufknüpft gleich selbst. Wo sich Geld verdienen lässt, verdienen sie Geld. Lenin soll das mit dem Strick mal gesagt haben. Man war geneigt, ihm das zu glauben. Amazon verkauft ja auch Bücher, die sich kritisch mit Amazon auseinandersetzen und Ratschläge erteilen, wie man von diesem Polyp wegkommt. Wenn sich Geld verdienen lässt, gab es – und gibt es auch weiterhin in vielen Bereichen – keine übergeordnete Moral, die zögern lässt. Der Markt sei eben nicht moralisch. Er ist es auch heute noch nicht, auch wenn Unternehmen sich vom Wokismus antreiben lassen.

Im Grunde hat die Moral gar keinen Markt. Aber die Pseudomoral sehr wohl. Ein Surrogat, das so aussehen soll, als nähme sich ein Unternehmen etwas besonders zu Herzen, als sei es besonders sensibel. Jetzt fokussiert sich diese Pseudomoral verstärkt auf das, was sie »kulturelle Aneignung« nennen. Vorher war es das Klima. Vor einigen Monaten der »Ukrainismus«. Aber nichts von diesen Themen ist in irgendeiner Weise ein inständiges Anliegen. Man macht halt mit, weil sich die Augen der Öffentlichkeit – also der Kundschaft – auf einen richten und es gut aussieht, ja bessere Haltungsnoten gebiert.

Bis vor einigen Jahren grünte die deutsche Automobilbranche so grün wie Spaniens Blüten blühen. Natürlich nicht wirklich. Nur mit Hilfe einiger Tricks gelang das. Und einer Kanzlerin, die als Kühlerfigur einer vermeintlich grünen Branche fungierte. Außerdem setzte man natürlich gezielt PR ein. Das Grüne war nur eine Pseudomoral, für die es aber einen Markt gab: Einen Markt, auf dem sich Kundschaft tummelt, die betrogen werden wollte – und die im Grunde noch immer offen dafür ist, etwas vorgegaukelt zu bekommen. Letztlich ist es bei vielen Themen mittlerweile so, dass sie als Verkaufsargument ausgeschlachtet werden, nicht nur beim Klima. Bei Corona war es ähnlich; bei der Ukraine spürt man es noch immer. Da sitzen Legionen von Marketingleuten in Abteilungen, die die weltpolitische Lage und allerlei gesellschaftliche Themen in Verkaufsanreize umwandeln. Das geschieht nicht aus Überzeugung – überzeugt ist man nur davon, sich alles zu Nutze zu machen, um die Marke herauszuputzen.

Lachen bei Gewerkschaftsforderungen – Angst vorm Wokismus

Nur bei sozialen Themen, bei Mitspracherechten von Arbeitnehmern oder Lohn- und Arbeitszeitfragen etwa, wenn Gewerkschaften mitmischen und Unternehmen zur Partizipation am Gemeinwohl gebracht werden sollen, sieht die Sache anders aus. Mit dem Etikett ein guter Arbeitgeber zu sein, scheint man Produkte nicht besser vermarkten zu können. Da bemüht man sich nicht mehr um vollumfängliche Zufriedenstellung öffentlicher Anliegen. Lässt die Kritiker auflaufen, als sei ihre legitime Forderung hanebüchener Unsinn.

Hier zeichnet sich ab, wie sehr der Wokismus sozialen Themen den Rang abläuft. Seine Apologetinnen und Apologeten behaupten immer, dass dem nicht so sei, beides, Wokismus – den sie allerdings anders nennen – und soziale Frage, würden nebeneinander bestehen können; ja viel mehr sei der Wokismus sogar die finale soziale Verteilungsfrage. Aber diese Einschätzung stimmt nicht, sie ist ideologisch eingefärbt. Während der Wokismus Märkte erschließt und so sehr expandiert, dass er Unternehmen und sogar Weltkonzerne in die Knie zwingt, zu Duckmäusern und sich entschuldigenden und unterwürfigen Bittstellern macht, sind es eben jene Unternehmen und Weltkonzerne, die nonchalant lächeln, wenn man ihnen bessere Arbeitsbedingungen abringen möchte.

Sie wissen offenbar ganz genau, wo man kämpft und wo man kapituliert. Und dass die Kapitulation im Bereich identitätsthematischer Irrungen und Wirrungen fast schon zur Pflicht wird, sagt viel über die Prioritäten aus, die die woke Marktwirtschaft setzt – und eben, wie oben erläutert, auch angenommen hat. Denn der Wokismus lässt sich spielend als Marketingstrategie ausbauen, die nicht viel kostet – außer warmen Worten, ein kleines anerkennendes Lächeln und Rückgratschwund.

Die Woken überzeugen nicht: Sie schüchtern ein

Viele Beobachter haben zuletzt gefragt, wie es sein kann, dass Unternehmen so einknicken. Die Frage hätte man auch so stellen können: Wie kann es sein, dass Unternehmen nicht einknicken, wenn sie mehr Lohn entrichten oder Betriebsräte zulassen sollen? Warum erntet der Arbeitskampf, der sogar mit Streiks einhergehen kann, so viel weniger Bereitschaft seitens der Unternehmerschaft, sich der Stimme der Öffentlichkeit zu beugen?

Ganz einfach: Weil Menschen, die in den Arbeitskampf gehen und die soziale Frage stellen, im Regelfall nicht die Methoden von Erpressern, Kriminellen und Barbaren anwenden. Sie stehen für ihre Rechte ein, aber entfesseln keinen Shitstorm, versuchen nicht sozial zu töten, jemanden völlig aus der Gesellschaft auszuschließen, ihn fertigzumachen, koste es was es wolle. Sie rufen nicht beim Arbeitgeber an, um den davon zu überzeugen, sich doch bitte von demjenigen zu trennen, auf den man jetzt einen Mordshass schiebt. Und sie entstellen nicht das, was die Gegenseite gesagt hat und unterstellen böswillig rechtsradikale Tendenzen. Kurz gesagt: Sie schüchtern nicht ein, sondern kämpfen nur um ihr Recht, ohne irgendein würdeloses Geboxe unter die Gürtellinie.

Die Schreihälse des Wokismus überzeugen niemanden. Auch nicht die Unternehmen, die einknicken, wenn sie um die Ecke biegen. Sie entschuldigen sich nur, weil sie Angst haben vor dem, was diese Zeloten veranstalten – und weil das gute Presse bringt. Sie scheuen den Hass, den diese Leute anfachen. Es sind doch nicht irgendwelche Querdenker aus Sachsen, die zur Gewalt aufrufen: Der Wokismus tut es. Jeden Tag etwas mehr. Es gibt einen Markt für woke Gleichschaltung von Medien und Unternehmen, keine Frage. Aber das, was auf diesem Markt gehandelt wird, ist nicht die Überzeugungskraft woker Spinnereien, sondern die schlichte Furcht vor dem, was folgt, wenn man nicht einknickt, abnickt, Buße tut und Besserung gelobt.

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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