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Einmal noch Soldat sein

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Campino sieht Wehrdienstverweigerung heute skeptisch. Und auch mancher aus der schreibenden Zunft bekennt nun, dass er den Wehrdienst heute nicht mehr verweigern würde. Na, lieber Leser, wollen Sie nicht auch einstimmen in den Chor der Ex-Verweigerer, der sich nun ärgert, keine Grundausbildung erhalten zu haben? Und bitte, nicht vergessen: Keinen falschen Stolz mehr auf zivildienstliche Leistungen vorschützen.

Acht Monate musste er bei der Bundeswehr aushalten, bis sein Antrag auf Wehrdienstverweigerung endlich abgesegnet war – danach wechselte er in eine psychiatrische Anstalt, um dort den Wehrersatzdienst, besser bekannt als Zivildienst, ableisten zu können. Wir wissen nun nicht, ob dieser junge Mann, der im bürgerlichen Leben Andreas Frege hieß – und noch heißt -, sich aber seit seinen ersten Bühnenjahren Campino rufen lässt, in den acht Monaten des Wehrdienstes große Not litt, ob er hin und wieder mal am Wochenende Ausgang hatte, um im Ratinger Hof mit seiner damals noch recht neuen Combo auftreten zu können. Setzte es ihm zu, den Dienst an der Waffe verrichten zu müssen, wo er doch ersatzweise etwas Soziales tun konnte?

Bis neulich hätte der Ex-Punk in einer illustren Runde unter Umständen noch so gesprochen. Heute weint er der vergebenen Chance hinterher: Wegen der Ukraine, versteht sich. Und wegen der »europäischen Wertegemeinschaft« und so.

Zivis bekamen Blut zu sehen, Soldaten eher nicht

Gut, über Campino müssen wir nun echt nicht mehr reden. Lassen wir das also. Der Mann steht hier auch bloß exemplarisch für ein neues deutschen Gefühl, für ein wiederentdecktes Männlichkeitsideal, von dem wir bis kürzlich noch glaubten, dass es endgültig und für alle Zeiten überwunden sei. Sicherlich hat man zuletzt immer wieder besorgt festgestellt, dass Männer nur mehr als weichgespülte Lappen auftreten sollen; der Softie wurde gefördert und gefordert, wer davon abwich galt als toxisch. Man überzog den weichen Männerkurs ganz klar. Muss man da als Gegenreaktion aber gleich wieder den Kult des mannhaften Kriegers aufrollen? Es sind ja jetzt nur Männer, die der fehlenden Felderfahrung nachtrauern – die, die keine Männer sind, genießen mal für diesen Moment die Gnade der weiblichen Geburt. Womöglich stellt sich ja noch feministischer Gewehrneid ein …

Einer, der kürzlich mit seiner Trauer über seine verpfuschte Vergangenheit als Wehrdienstverweigerer auffiel, ist Ralf Bönt – eine Art Kriegsberichterstatter beim Freitag. Der habe sich, so titelt die Redaktion, vom Wehrdienst gedrückt. Gedrückt? Bönt selbst sei ausgemustert worden, er hat wohl dabei nachgeholfen, kokettiert er. Viele andere, die nicht zur Bundeswehr wollten, verweigerten und machten Zivildienst. Auch diese Leute wurden aber zu allen Zeiten vom konservativen Korpsgeist als Drückeberger bezeichnet – schon das Wort Wehrdienstverweigerer erinnert sprachlich an die Verweigerer der letzten Zeit, an Masken- und Impfverweigerer zum Beispiel. Dabei ging es allerdings nicht darum sich zu drücken, sondern stets um das Ergreifen einer Alternative zum Kriegsdienst.

Nein, man drückte sich gar nicht: Nicht vor Verantwortung und nicht vor einem Knochenjob. Im Gegenteil, denn Wehrdienstverweigerer entlasteten Pflegekräfte in Krankenhäusern, betreuten alte und behinderte Menschen und kamen dabei mit Not, Elend und Einsamkeit in Berührung, konkreter gesprochen: mit Kot, Urin und Blut. Vermutlich hat jeder Zivi in seiner Dienstzeit mehr Blutlachen gesehen, als mancher Wehrdienstleistende.

Zivis, die wir waren

Außerdem dauerte die Dienstzeit im Zivildienst, jedenfalls von 1984 bis 2004 länger, als jene beim Barras. Die Verächtlichmachung von jungen Männern, die damals nicht zum Militär gingen, war vormals ja ein Sport von Großvätern, von erzkonservativen Zombies letztlich. Dass deren Wiedergänger nun aus einem Lager kommen, das sie selbst als progressiv bewertet, hätte wohl kaum jemand für möglich gehalten. Dass dabei die Leistungen, die mancher Verweigerer im Dienst stemmte, als pazifistisches Duckmäusertum verkauft wird, ist eine Schande. Nicht jeder, der damals Zivildienst machen wollte, war indes totaler Pazifist, manche wollten einfach nicht den Kasernenhofton über sich ergehen lassen. Ich gehörte zu dieser Gruppe. Zur Begründung meines Antrages auf Zivildienst schrieb ich, dass mir mein Großvater schreckliche Kriegserlebnisse erzählte, über Russland, Gefangenschaft, tote Kameraden. Ich kannte jedoch keinen meiner Großväter, beide waren vor meiner Geburt verstorben. Das Kreiswehrersatzamt kannte meine Opas ja nicht.

Habe ich mich gedrückt? Weil ich alternativ dazu in den Zivildienst ging? In ein Heim für erwachsene Behinderte? Da war nun echt nicht alles eitel Sonnenschein, die Leute nur nett und das Gute am Werk. Die Einrichtung wurde von der Caritas geleitet, ich kam erstmals mit der Kirche als Dienstgeber in Berührung – erst Jahre später, als ich dann im Krankenhaus anheuerte, war ich wieder im kirchlichen Dienst tätig. Als Zivi wurde ich großzügig eingesetzt, zu großzügig für meinen Geschmack. So hatte ich Nachtbereitschaft, die nur zu einem Viertel an die Arbeitszeit angerechnet wurde, obgleich ich in der Einrichtung bleiben musste. Bei drei Bereitschaften die Woche musste ich knapp 60 Stunden die Woche anwesend sein, erhielt aber nur 39,5 Wochenstunden besoldet. In keiner Sekunde wähnte ich mich besonders friedliebend, weil ich nicht zum Bund gegangen war. Gedrückt habe ich mich dennoch nicht – ich habe nur eine Alternative zur Bundeswehr gesucht, beantragt und gefunden.

Kommen wir nochmal ganz kurz auf Bönt zurück. Es ist kaum nachvollziehbar, wie der Freitag einen solchen Text redaktionell durchrutschen lassen konnte. Ich habe nach einer Markierung gesucht, die die Satire anzeigt. Gefunden habe ich allerdings nichts. Stattdessen liest man, dass der Autor »zu den Kameraden in den Kampf« strebt. Sein Fazit, nachdem er den vermeintlich großen Irrtum seiner Jugend erkannte: »Lieber läge ich bewaffnet hinter einem Sandsack und trüge zum Kampf um die Zukunft bei, gegen die Grausamkeit. Dass ich es könnte, weiß ich jetzt.« In den letzten Tagen las man in den sozialen Netzwerken oft Hohelieder auf den Wehrdienst. Aber so unverblümt romantisierend, ja so ernstjüngerhaft rutschte mir das nie über die Timeline. Fehlte jetzt nur noch, dass Bönt von der Ermannung und Erstarkung durch Stahlgewitter schwärmte, die uns Kerle hart wie Kruppstahl machen würde.

Ich hätte so gerne gelernt, einem Menschen ein Bajonett in die Gedärme zu rammen

Die Campinos und Bönts, die jetzt ihrer verkorksten Jugend nachtrauern, begreifen offenbar gar nicht, was sie eigentlich ausdrücken. Es gab immer Befürworter der Wehrpflicht, die eine solche Institution als prägend – und daher sinnvoll – für junge Menschen einstuften. Dort lernte man schließlich Disziplin, Zusammenhalt, auch etwas für das weitere gesellschaftliche und teils auch für das berufliche Leben und Fortkommen. Mancher könne danach immerhin seine Bettwäsche akkurat zusammenlegen oder Knöpfe annähen.

Die Bundeswehr galt in solchen Begründungen als Sinnstifter und als Lebensschule. Aber diese Schwärmer der Stunde sehnen sich ja augenblicklich nicht nach dem guten alten Wehrdienst zurück, weil sie etwa nähen lernen wollen oder Disziplin eingetrichtert brauchen. Sie tun es, weil sie den Eindruck haben, ihnen gehe der unmittelbare Dienst an der Waffe ab. Die besagte Lebensschule ist gar nicht deren Begründung oder Motiv, sondern die ihnen fehlende Fähigkeit andere fachgerecht außer Gefecht zu setzen und zu töten. Dieses Handwerk hätten sie offenbar einst gerne mal erlernt.

Wenn wir es übersetzen, sagen sie zur Stunde ja nicht: »Ich hätte doch zur Bundeswehr gehen sollen, weil mir das als Mensch weitergeholfen, weil ich dort kochen und handwerkliche Kniffe gelernt hätte.« Nein, sie meinen eigentlich: »Ich hätte meinen Wehrdienst machen und auskosten müssen, damit ich heute – im Fall der Fälle – ein gewisses Know-How hätte, um einem anderen Menschen ein Bajonett in die Gedärme zu rammen, jemanden in den Kopf schießen zu können, ohne dass mich dabei die aus dem Schädel sprudelnde Blutfontäne tangiert.« Die Campinos und Bönts merken jetzt, dass sie doch gerne die Kunst des Tötens erlernt hätten. Dazu stilisieren sie jetzt den Pazifismus zu einer Art Deppenideologie, die nun keine Bedeutung mehr haben sollte, kein Antrieb mehr sein dürfe. Verhandeln und Diplomatie ist für diese Altberufenen natürlich gar keine politische Option mehr. Sie möchten lieber ein Gewehr schultern: So wie es sich für Diplomatieverweigerer gehört.

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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