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Die Maske der Demokraten

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Es ist mir an dieser Stelle vollkommen egal, ob die Maske einen medizinischen Nutzen hat oder nicht. Einen kultischen Nutzen hat sie aber auf alle Fälle erlangt in den letzten Monaten – sie wirkt für manchen wie Cola zu trinken, wenn man Durchfall hat.

Die Maske fällt in einigen Bereichen – früher oder später, im Sommer zumal, wohl auf alle Fälle. Dann geht Einkaufen wieder ohne. Essen gehen auch. Wir nannten diesen Umstand vor zwei Jahren nicht mal Normalität, weil uns nicht bewusst war, dass es je anders kommen könnte. Jetzt ist es in Nuancen so, wie es vorher war. Normale Menschen freuen sich darüber. Es gibt nicht viele gute Nachrichten dieser Tage. Wenn man da mal zu Rewe, Penny oder Aldi kann, ohne sich was vor Mund und Nase zu spannen, kann man in so frugalen Tagen schon mal kurzzeitig freudig verzückt sein. Wir haben halt gelernt, dass es die kleinen Freuden des Alltages sind, die uns aushalten lassen.

Eine laute schrille Minderheit sitzt aber immer noch im Schutzkeller. Seit Wochen tyrannisieren sie aus ihrem Unterbau heraus die Netzwerke: Sie lassen die Maske auf – und sie werden sich sicherlich nicht von einer Querdenker-Diktatur bevormunden, rufen sie in den Netzwerken. Schon putzig. Das sind nämlich in der Regel dieselben Leute, die noch bitterlich darüber schimpften, als Leute wie ich von einer Corona-Diktatur gesprochen haben. Nun bin ich nicht kleinlich, jeder sollte das Recht haben, sich in einer Diktatur zu fühlen. Ein kleiner entscheidender Unterschied ist aber: Keiner schreibt diesen Leuten vor, auf einen Mundschutz zu verzichten – alles kann, nichts muss. Die, die sich vor einer Corona-Diktatur fürchteten, hatten einen anderen Punkt: Sie durften vieles, teils gar nichts mehr.

300.000 können nicht irren, oder?

In den letzten Wochen der Maßnahmenparade herrschte in weiten Teilen dieser Republik sogar eine verschärfte Maskenpflicht. Jetzt sollte es im Handel nicht einfach nur eine OP-Maske sein: Nun war der Zutritt nur noch mit FFP2-Maske erlaubt. Parallel dazu schnellten die positiven Tests in die Höhe. Bis zu 300.000 und mehr waren es. Diese Diskrepanz zwischen Realität und Maskentheorie hat in all den Wochen keiner mehr aufgegriffen. Die Fetischisten schon gar nicht, sie riefen Durchhalteparolen durch die Lande. Im der gesamten Republik gab es keinen kritischen Journalisten, der wenigstens mal zögerlich auf diesen Umstand hinwies. Alles auf Linie, keine roten Linien mehr. Die Maske ist in den Köpfen als Nonplusultra der Lebensrettung verankert worden.

Für viele so sehr, dass sie sich nie wieder ein Leben ohne vorstellen können. Wir hatten kaum einige Wochen Maskenpflicht, da riefen die ersten schon, dass sie das beibehalten wollten. Denn dann würden sie nie wieder Grippe oder eine Erkältung bekommen. Sie funktionierte ja auch: Im Sommer 2020. Es gab kaum noch Infektionen, die AHA-Maßnahmen wirkten ganz offenbar. Die beste AHA-Maßnahme war übrigens die Sommerwärme. Für die konnte die Bundesregierung mal ausnahmsweise nichts. Apropos AHA: Das zweite A kürzt die Alltagsmaske ab. Die galt als Lebensretter, auch wenn sie nur ein löchriger Schal war.

Die, die jetzt nach Maskenpflicht für alle Zeit rufen, forderten damals Fahrgäste im Nahverkehr auf, sich bitte einen Schal, ein Tuch, wenigstens einen Stofffetzen vor das Gesicht zu halten. Schließlich wisse man, dass das helfe. Dann kamen Stoffmasken als chice Helferlein. Man sprach übrigens in jenen Tagen auch noch oft von der Behelfsmaske. Bei diesem Wort schwang die Ausnahmesituation noch mit, das Vorübergehende war wörtlich fassbar. An irgendeinem Stichtag im Herbst 2020 war dann klar, dass Stoffmasken nur bis zum Vortag Leben retten, aber am Tag darauf mindestens eine OP-Maske diese Aufgabe übernehmen sollte. In bestimmten Bundesländern, die unter der Kuratel bestimmter Katastrophenerotomanen standen, galt sogar recht schnell die Staubpartikelfilterpflicht, die wir hier der Einfachheit halber FFP2-Maskenpflicht nennen. In diesen bestimmten Bundesländern zeigte sich diese schärfste aller Maskenmaßnahmen auch am Inzidenzwert: Er war in der Regel höher als dort, wo es diese Pflicht nicht gab.

Die Maskenpflicht hat sich zum größten Faible dieser Pandemie entwickelt. Wenn man sie als Freiheitseingriff bezeichnet, werden nicht wenige richtig wütend. Das sei sie nämlich nicht. Billiger sei Sicherheit nicht zu bekommen. Währenddessen schielen wir auf die Zahlen: Mehr als 300.000 positiv Getestete am Tag. Die sind in der Mehrzahl nicht schwer krank. Manche spüren gar keine Symptome. Aber die Maske, so scheint es doch ganz sachlich betrachtet, funktioniert nicht richtig – sie kann es auch nicht, denn sie widerspricht der menschlichen Konditionierung.

Cola und Salzstangen wirken anders als gedacht

Ich hatte irgendwann im Herbst 2020 an meinem ehemaligen Arbeitsplatz einen kurzen Disput mit einem Arzt. Ich verwies auf Frankreich, dort gab es eine strengere Maskenpflicht als bei uns. Trotzdem gab es dort höhere Inzidenzen. Ob denn die Maske wirklich wirke, frotzelte ich. Er hingegen war überzeugt, dass sie das tat. Unbedingt sogar. Die Menschen tragen sie nur nicht konsequent. Mag sein, dass das ein Grund war – und ist. Aber dass Menschen sie nicht rund um die Uhr tragen, ist kein Makel, sondern etwas, dass man in die Rechnung integrieren muss, weil es normal ist. Denn es ist menschlich, nicht in Perfektion zu verharren. Unter der Maske atmet es sich schlechter, man kann nicht richtig sprechen: Dass man sie da auch mal abzieht ist Normalität – und nicht Unvermögen.

Außerdem gibt es immer Bereiche, wo man sie nicht trägt. Im Privaten zum Beispiel. Lassen wir mal die Maskenbeseelten, die auch zur familiären Kaffeetafel maskiert erscheinen, außen vor. Im Privatbereich kann man keine Vorschriften machen – oder sagen wir anders: Man kann schon. Aber es kümmert kaum jemanden. Und prüfen kann man es auch nicht. Was hat also die Maskenpflicht im Supermarkt je gebracht, wenn man eine Stunde später mit zehn Gästen am Tisch sitzt? Die Hardliner sagten freilich, dass solche Runden zu unterlassen seien. Aber auch hier verkennen sie das Menschliche: Als soziales Wesen muss das sein – es gibt Dinge und Umstände, die sind nicht verzichtbar.

Ob die Maske dann auch hilft, wenn man sie trägt, ist fraglich. Studien betonen, dass dem so sei. Aber Laborsituationen sind keine Realität. In Clubs durften junge Leute ab einem gewissen Zeitpunkt mit Maske – wenn sie geimpft oder genesen waren natürlich. Dennoch infizierten sich nach mancher Clubparty Gäste massenweise. Es mag schon sein, dass die Maske an sich hilft. Aber vielleicht anders, als man annimmt. Wenn ich als Jugendlicher Durchfall hatte, hörte ich auf das, was man mir riet: Cola und Salzstangen würden die Situation bessern. Damals trank ich nur selten Cola, wenn ich dann mal durfte, fühlte ich mich gleich besser. Ich kaute also die Stangen, trank dazu die Brause, ich stellte mir vor, wie sich beides vermischte, einen zähen Brei ergab, der dann meinen Darm verstopfte. Und nach einer langen Nacht, in der ich dauernd auf dem Klo saß, wirkte dann so eine Frühstückskur auch.

Mittlerweile gilt dieser Ratschlag als Humbug. Cola greift den Magen viel zu sehr an, als dass man sie in einer solchen Situation trinken sollte – und der Zucker verstärkt eher den Durchfall. Dennoch schien es zu wirken. Die Bilder in meinem Kopf halfen. Und dass ich die säurehaltige Limo gerne mochte, beflügelte auch. Dass der Durchfall eh am Abklingen war, weil ich nachts nicht vom Pott kam, realisierte ich freilich auch nicht. Kurzum: Der Mensch hat nun mal auch eine Psyche. Und wenn er sich etwas einredet, ist es nicht nur fauler Zauber, sondern kann auch Wirkungen erzielen. Nebenbei ist es auch ein Eskapismus, denn er türmt in eine Überzeugung, die dann nichts mehr vom Rationalität hat. Man glaubt felsenfest daran. Und falls man sich doch infiziert, dann nur, weil man unaufmerksam war – und nicht, weil jedes Schutzsystem löchrig ist.

An irgendwas muss jeder Mensch glauben

Für bestimmte Menschen kann die Maske also tatsächlich ein Lebensretter über Umwege sein – das sollte man weder ausschließen noch unterschätzen. Daraus abzuleiten, dass die ganze Welt nun daran festhalten muss, ist natürlich keine adäquate Antwort darauf. Auch diese Leute werden aushalten müssen, dass andere einen ganz anderen Bezug zur Maske haben – sie werden es ertragen müssen, dass Menschen eben nicht rund um die Uhr Maske tragen wollen und sie auch mindestens lupfen.

Etwas anderes ist auch nicht zu unterschätzen: Der Mensch ist ein Wesen, das zu Transzendenz neigt. Wir können heute noch so aufgeklärt und atheistisch tun: An etwas Höherem festzuhalten, bleibt auch dieser Tage eine häufige Verhaltensweise. Dabei muss es nicht immer Gott sein. Manchmal geht sogar das glatte Gegenteil von Gott. Man nehme nur mal gewisse Atheisten, die den Umstand keiner Religion anzuhaften, recht offensiv und teils auch aggressiv in die Welt predigen. Woran man einen Atheisten erkennt? Gar nicht. Aber er wird es dir sagen! Im Regelfall sogar recht unvermittelt, auch wenn man danach gefragt hat. Diese Leute glauben nicht einfach nicht an Gott. Sie haben einen Auftrag. Sie sind Missionare. Ja: Sie sind gläubige Atheisten. Es gibt nun mal in allen von uns so einen Drang, an etwas glauben zu wollen.

Andere glauben an die Aufklärung. Oder an den Sozialismus. Meine Güte, was waren die Kommunisten gläubige Leute! Ich neige mittlerweile dazu, an das Chaos als Konstante zu glauben. Nihilismus ist auch dabei. Ich ertappe mich immer wieder, wie ich das wirklich glaube und auch Diskussionen in diese Richtung lenken möchte. Ich bin eben auch nur ein Arbeiter im Weinberg meines Herrn. Manchmal ärgere ich mich, weil ich Neid gegenüber solchen empfinde, die einen konstruktiveren Glauben haben als ich. Die katholisch sind zum Beispiel. Oder die an die aufrichtige Corona-Politik glauben. Ordnung beruhigt den Magen, macht sicherlich zufriedener. Warum soll es nicht Leute geben, die dasselbe mit einen Stück Zellstoff erleben können? Wir leben in Zeiten, in denen Religion ins Hintertreffen gerät, ein Vakuum verursacht hat, damit privatisiert wurde – der moderne Mensch ist im Regelfall der Schöpfer seines eigenen Glaubensgebäudes, schafft sich seinen auf ihn maßgeschneiderten Synkretismus. Das menschliche Glaubensbedürfnis ist nach wie vor da, alles eignet sich jetzt dazu, mit einem Bekenntnis aufgeladen, mit einem Heilsversprechen ausstaffiert zu werden.

Für die Leute, die jetzt die Diktatur heraufziehen sehen, weil man ihnen den Lappen madig macht, ist das mehr als nur ein formaler Verwaltungsakt einer irren Verordnungsrepublik: Man drückt ihnen einen Glaubenskrieg auf. Dass die Maske der Demokraten, von der Adorno in seinem berühmten Bonmot einst sprach, so wörtlich zu nehmen sei, hätte wohl auch keiner gedacht. Diese Maske der Demokraten war für ihn ja die Verkleidung des wiederkehrenden Faschismus. Und jeder Glauben, der sich als einzig gültige Wahrheit manifestieren will, neigt eben zur faschistischen Totalität.

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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