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Im Zweifel arbeitslos

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Ärzte munkeln leise, Pflegekräfte halten sich bedeckt, Verwaltungsangestellte wursteln sich durch: Im Gesundheitswesen ist es seit langer Zeit nicht angenehm zu arbeiten. Die Pandemie hat den Zustand verschlechtert. Und zuletzt hat das Narrativ von der Unantastbarkeit der Maßnahmen dazu geführt, dass man dort als Angestellter sehr genau aufpassen muss, wie man sich äußert.

Neulich habe ich ein Gespräch mit einem befreundeten Arzt gehabt: Er zweifelt. Nicht an allem. Ein Zweifler war er vor dieser ganzen Misere schon, das ganze Gesundheitssystem, diese komischen preußischen Arzthierarchien etwa, die hielt er stets für befremdlich. Unter den Doctores geht es ja heute noch so stramm zu wie bei Virchow und Konsorten. Aber ob denn all diese Maßnahmen sinnvoll seien, ob man Freiheiten derart einschränken könne, um vielleicht – aber auch nur vielleicht – das eine oder andere Menschenleben zu retten: Das treibe ihn schon um. Mir sage er das freilich. Manchem aus dem Kollegium auch – nur halt nicht laut, man flüstert eher. Die jungen Assistenzärzte, die nachkommen, sagt er, die seien voll auf Linie, die sind im FFP2-Dauereinsatz. Nicht, dass er glaube, die Masken helfen nichts. Tut er. Aber den Menschen das Tragen zu verordnen, in jeder Lebenslage, auch wenn man sich viel bewegt: Auch mit dieser Maßnahme haderte er schon in vorherigen Gesprächen mit mir.

Es ist nicht ganz ungefährlich dieser Tage, wenn man im Gesundheitswesen arbeitet und sich den Luxus leistet, eigene Gedanken und sogar Zweifel zu hegen. Erlaubt und geduldet wird nur der sehr schmale Meinungskorridor, den der Medienbetrieb in diesem Bereich vorgibt. Weicht man davon ab, tastet man das gesamte Narrativ an, wonach alle Maßnahmen richtig und alternativlos gewesen seien – und noch immer sind -, wird es problematisch.

Ketzer, Häretiker und andere Selbstdenker

In dem Moment, in dem ich diese Zeilen schreibe, begebe ich mich in Gefahr. Eine überschaubare Gefahr, denn nach sechs Jahren werde ich demnächst dem Gesundheitswesen den Rücken zukehren. Andere bleiben drin und machen den Mund auf – ich tue das, während ich mich der Branche entziehe. An dieser Stelle werde ich mich dennoch vorsichtig ausdrücken und strikt den Quellenschutz einhalten. Wer jetzt denkt, ich übertreibe hier, mache auf wichtig, dem kann ich nur sagen: Du hast offenbar keine Ahnung, wie schnell man heute gegen Gesundheitspersonal vorgeht, das nicht orthodox auf Linie bleibt. Schon leise Zweifel können Konsequenzen haben – laut ausgesprochene Zweifel jedoch, die führen auch zur Kündigung.

Viral ging vor einigen Wochen jener Fall einer jungen Pflegekraft, die die Sterbezahlen anzweifelte und mal per Stream nachfragte, ob zwischen dem »mit oder an Corona verstorben« nicht endlich mal ein Unterschied zu machen sei. Ihr Arbeitgeber hat ihr fristlos gekündigt, die Meinung war dem Krankenhaus im Münchner Stadtteil Harlaching dann doch nicht genehm. Hatte die junge Frau recht? Das ist gar nicht der Punkt: Sie ist neben ihrer Tätigkeit als Pflegekraft ja auch eine Bürgerin dieses Staates, damit Teil des Souveräns. Ihr steht es zu, sich eine Meinung zu machen. Ob diese richtig oder falsch ist, davon steht in Artikel 5 des Grundgesetzes nichts. Man darf auch falsch meinen. Und vor allem darf man zweifeln. Aus einer philosophischen Warte heraus müsste man sogar festhalten: Staatsbürger müssen zweifeln. Der Zweifel ist das Substrat der Demokratie, er steuert die Meinungs- und letztlich Willensbildung. Menschen, die nicht zweifeln dürfen, leben nach alter, heute offenbar nicht mehr kommoden Rechtsvorstellung, in Kontrollstaaten, totalitären Systemen und ja: Diktaturen.

Dort nennt man solche Leute Dissidenten. Ihnen kommt die Rolle zu, die man im Mittelalter Ketzern und Häretikern zugeteilt hat. Ihr Zweifel an der Richtigkeit der Dogmen führte nicht etwa zur Diskussion, sondern zur Exkommunikation – flapsig gesagt, zur Kündigung aus der Kirche mit teilweise drastischen Folgeerscheinungen.

Du sollst pflegen, nicht meinen: Die Abschaffung des Staatsbürgers?

Im Zuge der Pandemie ist der Arbeitsalltag im Gesundheitswesen nun wahrlich nicht einfacher geworden. Krankenhäuser sind zu Hochsicherheitstrakten ausgebaut worden, Besucher sind nicht zugelassen, Patienten haben mehr oder weniger Stubenarrest. Die Mitarbeiter sind zur Überwachung und Kontrolle angehalten. Als hätten sie sonst nichts zu tun. Wer da aus dem Raster ausschert, die Politik dieser Art von Gesundheitsmanagement in Frage stellt, vielleicht sogar noch gut hörbar, begibt sich geradewegs an den Rand von künftigen Existenznöten.

Für jemand, der in einer Praxis oder einem Krankenhaus arbeitet, hat es unter Umständen ganz andere Folgen, sich auf eine Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen sehen zu lassen. Dem droht die betriebliche Ächtung, legt man nahe, vielleicht im falschen Sektor untergekommen zu sein. Der hat sich zu erklären, sofern er sich dabei erwischen lässt. Wie gesagt, auch Gesundheitspersonal rekrutiert sich aus Bürgerinnen und Bürgern. Sie sind sogar in ersten Instanz Bürger und nicht etwa Pfleger – letzteres kann man nämlich ablegen, man kann den Beruf wechseln. Aber Teil der Bürgerschaft bleibt man auch, wenn man arbeitslos ist – jedenfalls rein formaljuristisch betrachtet, im Alltagsleben gibt es freilich nach wie vor einen Sozialstatus, der versucht Menschen abzustufen. Es ist also eine Selbstverständlichkeit, dass Bürgerinnen und Bürger ihren Unmut laut und deutlich kundtun dürfen.

Natürlich muss man an dieser Stelle wieder mal auf die Diskrepanz zwischen Demokratie und Unternehmenskultur aufmerksam machen. Letztere ist eben grundsätzlich nicht demokratisch organisiert. Schon in normalen Zeiten nicht. In der Pandemie hat sich diese Kluft aber nochmals vergrößert. Unternehmen betrachten ihre Belegschaft noch mehr als üblich als Verfügungsmasse, die man nach Bedarf mit allerlei noch so sinnlosen Seuchenschutzregeln triezen darf, weil es das Hausrecht ja erlaubt. Wolf Wetzel wies neulich erst darauf hin, dass der deutsche Seuchenschutz vor allem die Bürger in der Freizeit traf; die Wirtschaft wurde hingegen nur wenig belästigt – man könnte diese These aufgreifen und noch hinzufügen, dass die Politik die ohnehin hierarchische Struktur der Unternehmen für sich genutzt hat, um Lohnabhängige betrieblich noch mehr zu entrechten.

Betriebliche Interessensvertretungen entmachtet

Betriebs- und Personalräte und Mitarbeitervertretungen wurden ausmanövriert, stattdessen setzte man ihnen die Entscheidungen von betriebsinternen Task Forces, Corona-Gremien oder Hygienekomitees vor die Nase, die es nur abzusegnen galt. Wer aufmuckte, hinterfragte und über Angemessenheit sinnierte, war schnell in moralischer Erklärungsnot, denn man »identifizierte« ihn als Gefährder. Die arbeitsrechtlich nicht legitimierten Task Forces gaben (und geben) dabei den Takt an, entkräften das Mitspracherecht der Belegschaft und im Laufe der Pandemie passte sich mancher Betriebsrat so an, dass er gar nicht mehr erst die Konfrontation suchte, weil er sich vorauseilendem Gehorsam auf Linie gebracht hatte. Was sich in vielen unterschiedlichen Unternehmen so etabliert hat in den letzten zwei Jahren, fand natürlich auch im medizinischen Betrieb statt. Auch da wurden die Personalräte und Mitarbeitervertreter Schritt für Schritt weiter entmachtet.

Denn im Zweifel, und das im wahrsten Sinne des Wortes, ist man schneller arbeitslos als man denkt. Die potenzielle Impfpflicht im Gesundheitswesen ist der Schlusspunkt einer langwährenden, jetzt seit nahezu zwei Jahren verschärften Entwicklung: Die Belegschaft gefügig, ja mürbe zu machen. Sie mental so sehr abzuwirtschaften, dass sie die schlechten Arbeitsbedingungen als unumgänglich betrachtet und nicht mehr aufmuckt. Dabei ist nun ganz einerlei, ob die besagte Impfpflicht nun kommt, nicht kommt oder bis zum Bedarf deaktiviert wird.

Letzteres wäre die schlechteste Entwicklung, die man sich denken kann. Denn die stets wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Belegschaften im Gesundheitsbetrieb schwebende partielle Impfpflicht wäre demnach als ein Druckmittel zu begreifen, als eine Drohung, die dann und wann aktiviert werden könnte. Sicherheit wird für viele dort Beschäftigte dann zu einem Fremdwort, schon morgen kann es ja sein, dass ein politischer Wichtigtuer aus populistischen Gründen wieder an der Pflicht herumfingert und damit die Belegschaften erneut in Panik versetzt, Mitarbeiter aufschreckt, gegeneinander aufhetzt, spaltet und so zu einer leicht steuerbaren Verfügungsmasse der Gesundheitsbetriebe entwertet. Berufliche Sicherheit wird so zu einem Fremdwort und die so entstehende allgemeine Verunsicherung hält gefügig.

Im Zentrum des Narrativs

Die Verwerfungen im Arbeitsalltag und im Arbeitsrecht durch die Pandemie finden sich in allerlei Bereichen. Auch in Firmen, die gar nichts mit der Heilung und Linderung von Krankheiten zu tun haben. Aber in keinem anderem Bereich wird der Zweifel am Narrativ als ein solcher Generalangriff auf die Regierung, mittlere und kleinere Funktionseliten und die Loyalität zu den Arbeitgebern bewertet. Denn im Gesundheitswesen arbeitet man im Zentrum dieses Narrativ. Am Nabel des Mythos. Dort ist jeder Argwohn eine potenzielle Gefahr, wie jener Frontsoldat, der die Befehle seines Vorgesetzten in Frage stellt, so unterstellt man jeder kleinen Pflegekraft, ja jeder OP-Putzfrau, sie würde sich, Kollegen und Patienten gefährden. Hinweise auf die Faktenlage interessieren im Betriebsablauf keinen. Die Leitungsebenen folgen stur den Parolen aus der Politik.

Narrativ meint hier übrigens nicht, dass es sich um die Erfindung einer Pandemie oder gar eines Virus handelt. Das Narrativ ist das, was außenherum etabliert wurde: Sinnlose Regelungen, Bevormundung, Freiheitsbeschränkung und eine Meinungskorridor, der andere Sichtweisen nicht nur ausgrenzt, sondern tendenziell kriminalisiert – all das als alternativloses Konzept anzunehmen, das entspricht der narrativen »Wahrheit«. Wer diese Wahrheit als Märchen betrachtet, erntet das volle Unverständnis – und im Gesundheitswesen strikte Abkehr, arbeitsrechtliche Konsequenzen und im schlimmsten Fall: Entlassung.

Dennoch gehen Tag für Tag auch Menschen aus diesem Bereich der Gesellschaft auf die Straße, um ihren Unmut kundzutun. Sie gefährden damit ihre Existenz, setzen ihre Zukunft aufs Spiel, viel mehr als Menschen, die in anderen Bereichen arbeiten. Dass sie es dennoch tun, sehe ich nun Woche für Woche. Sie sind mutig, weil man sie seit zwei Jahren derart in die Ecke gedrängt hat, dass sich selbst der mögliche Arbeitsplatzverlust nicht mehr wie eine Strafe anfühlt.

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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