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Fünf Jahre Rechtsruck

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Herzlichen Glückwunsch – uns selbst. Heute vor genau fünf Jahren gingen die neulandrebellen an den Start. Viel ist seither geschehen. Und wir haben uns verändert. Manche machen uns das zum Vorwurf. Damit muss man leben: Tut uns also leid, dass wir uns weiterentwickeln.

Am 3. Januar 2017 erschien an dieser Stelle der erste Text. Obwohl es damals um Krankmeldungen gibt, ein Fun-Fact am Rande: Es war keiner zu Corona oder Gil Ofarim. Für alle, die sich nicht mehr recht erinnern können: Es herrschte mal eine Zeit, da gab es noch gar keine Pandemie. Man hatte ganz andere Themen. Manchmal auch einen Durchhänger, weil sich thematisch nichts richtig anbot. Seitdem wir im Ausnahmezustand sind, ist das anders. Natürlich hat sich auch unsere Themenauswahl dadurch sehr verändert. Manche haben mir in den letzten Monaten an den Kopf geworfen, ich hätte mich sehr verändert, früher hätten sie mich gerne gelesen. So ist das aber immer. Die einen gehen, andere kommen. Und wenn wir ehrlich sind, es kamen mehr zu uns als sie von uns gingen.

Wie kann man denn überhaupt jemand vorwerfen, er hätte sich verändert? Ist Veränderung nicht das menschlichste Prinzip überhaupt? Weil Menschen sich verändern, scheitern Ehen, ist man plötzlich am Arbeitsplatz unglücklich, sucht man sich einen neuen Freundeskreis, mag man kein Schnitzel mehr. Die menschliche Existenz – und damit auch das Denken und Publizieren – ist im ständigen Fluss, ist dynamisch und nicht etwa starr. Jemanden vorzuwerfen, er habe sich verändert: Man könnte ihm auch anlasten, dass er ein Mensch sei, denn Veränderung ist menschlich.

Neue Ziele, die wir genauso wenig erreichen werden wie unsere alten

Irgendwie ging es uns beiden, Tom wie mir, vor einigen Jahren noch um etwas anderes: Wir wollten einen alternativen Blick auf die konservative und neoliberale Deutungshoheit anbieten. Eine linke Alternative in Blogformat sein. Mein vorheriger Blog, den ich von 2008 bis Ende 2016 hatte, hieß demnach auch ad sinistram, links um also. Wer mich von damals kennt, kann mir wirklich vorwerfen, ich hätte mich nach rechts bewegt. Denn vieles von dem, was ich damals dort fabrizierte, würde ich heute strikt anders aufzäumen. Mancher Text von einst liest sie wie so eine verquaste 68er-Analyse, wenig lesenswert, aber voller hochgestochener Worte, die beeindrucken sollen. Ich war jung und wollte kleckern. Heute ist mir das egal. Man kann die Welt auch mit einfacheren Worten umschreiben.

Besser gesagt, man kann nicht nur: Man sollte es auch. Mein Anspruch ist stilistisch wie auch inhaltlich mittlerweile ein anderer. Um linke Alternative, linke Sichtweise, geht es mir gar nicht mehr. Klar, ich bin sicherlich weiter ein Linker, wenn es um Themen wie den Arbeitsmarkt geht – da schlägt ein Gewerkschaftlerherz in meinem Brustkorb. Aber ansonsten bin ich da gerne offen. Wenn mir – und da spreche ich ganz sicher auch für Tom – überhaupt etwas wichtig ist in diesen Zeiten, dann wohl der Umstand, dass wir eine Gesellschaft möchten, in der man sagen kann was man will, ohne gleich dafür belangt, ausgegrenzt oder isoliert zu werden.

Im Grunde geht es uns mittlerweile also sehr stark um die Meinungsfreiheit. Auch wenn jemand etwas sagt, was wir gar nicht so teilen, was unpopulär ist, aber nicht justiziabel: Wir finden es wichtig, dass er es sagen können darf. Und genau daran mangelt es dieser Gesellschaft täglich mehr. Im Alltag ebenso wie im Medienbetrieb. Man macht es den Menschen immer schwerer, auch mal was zu sagen, was nicht in die schmale Räumlichkeit des Meinungskorridors passt. Es fehlt an Menschen, die sich noch was trauen, weil Traute bedeutet, unter Umständen seine Arbeitsplatz zu verlieren. Eine Gesellschaft, die sich so einschüchtern lässt, ist nicht einfach nur auf Abwegen: Die mausert sich zu einem totalitären Regime, zu einer Tyrannei, die sukzessive ein Sozialkreditsystem etabliert.

Auf die nächsten fünf Jahre: Dann vielleicht aus dem Knast

Dagegen anzuschreiben: Das halten wir für die oberste Priorität, die wir mittlerweile haben. Wir werden dabei nicht sehr erfolgreich sein, denn wenn überhaupt verändert man vielleicht die Welt einzelner Leser – aber nicht die Welt, also den Planeten. Aber wie Sisyphos wagt man sich eben stets aufs Neue heran. Bis zu einem gewissen Punkt glaubt man ja auch, dass man den Fels diesmal über die Kuppe bekommt. Man muss ausblenden, dass es einen unüberwindlichen Punkt gibt. Wir wollen weiterhin sensibilisieren, dass Demokratie und Meinungsfreiheit eben nicht bedeuten, Unliebsames auszublenden oder gar zu verbieten: Man muss es aushalten können, es zu ertragen wissen. Denn nur so entsteht Dialog, Diskussion und Streitkultur. Nur so ringt man um Werte, Vorstellungen und Ideale. Wer andere Ansichten ausmerzen will, ist kein Demokrat.

Insofern führen wir als Blogger, fünf Jahre nachdem wir die neulandrebellen gegründet haben, eine recht biedere Existenz, denn wir vertreten Werte aus der Mitte der Gesellschaft. Da die Mitte aber auseinanderklafft, hat diese Position fast schon was von Extremismus. Man muss aufpassen, dass Ausgeglichenheit, Gelassenheit und Standhaftigkeit, eigentlich Eigenschaften des demokratischen Miteinanders, nicht dazu führen werden, bald geächtet, mundtot gemacht oder inhaftiert zu werden. Letzteres, ich sage das für jene dazu, die nach fünf Jahren meinen Humor immer noch für bloße Naivität und Ernsthaftigkeit nehmen, könnte ich auch zynisch gemeint haben. Aber ganz sicher ist das freilich nicht.

Denn was, wenn die Impfpflicht kommt und einer von uns – oder beide – weigern sich, mRNA verabreicht zu bekommen? Ich will keine Impfdebatte an dieser Stelle eröffnen, sie ist mir mittlerweile lästig. Aber auch den Diskussionen um die Impfung merkt man ja an, wie dringlich eine demokratische Stimme ist, die mitmischt. Das ist unter anderem unsere Aufgabe. Vielleicht schreiben wir ja unsere nächste Laudatio, wenn wir in einem Jahr Sechsjähriges haben, direkt aus einer Haftzelle. Aus dem Gefängnis heraus für Demokratie einstehen. Thoreau meinte mal, dass »in einem Staat, der seine Bürger willkürlich einsperrt, […] es eine Ehre für einen Mann [sei], im Gefängnis zu sitzen.« Wollen wir mal hoffen, dass wir nicht zu viel der Ehre abbekommen werden. Bis dahin, danken wir den Leserinnen und Lesern. Schickt uns bitte Feilen so in den Knast, dass sie nicht von den Wärterinnen und Wärtern gefunden werden. Danke schon mal vorab.

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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