8.8 C
Hamburg

Primaten auf e-Bikes

Published:

Da saß ich nun auf dem Sofa, der Hunger kam nach meinen schlechten Corona-Tagen zurück und ich brauchte Lebensmittel. Also was tun? Bei Rewe bestellen?  Das tat ich auch. Aber auf die Lieferung hätte ich lange gewartet. Und dann gab es da noch diesen einen Lieferdienst, der wie eine Horde Primaten klingt: Gorillas.

Und dann kam der Appetit zurück. Mit voller Wucht. Tagelang hatte ich kaum was gegessen. Vielleicht mal einen Banane oder ein Stückchen trockenes Brot. Mehr brachte ich nicht herunter. Kaum hatte ich es aber runtergewürgt, rumorten Magen und Darm. Nun aber war ich auf den Weg der Besserung. Es gelüstete mir nach frischem Brot, etwas Käse und ja, ein, zwei Scheiben Schinken. Normalerweise esse ich keinen abgepackten Schinken, ich hole ihn mir lieber beim Metzger. Doch jetzt war ich bereit für eine Ausnahme. In Quarantäne muss man Kompromisse machen, in der Not fressen so Teufel wie ich auch dicke Brummer. Wir setzten uns hin, wollten erstmalig in unserem Konsumentendasein bei Rewe bestellen. 50 Euro mussten wir vollbekommen – bei Erstlieferung gab es noch nicht mal Liefergebühren.

So füllten wir unseren virtuellen Einkaufskorb: 50 Euro hat man ja heute schnell zusammen. Wir freuten uns auf frische Lebensmittel, wir waren bereit, zwei, drei, ja auch vier Stunden darauf zu warten. Nachdem alles im virtuellen Einkaufswagen lag, sollten wir einen Termin festsetzen. Der nächste freie Termin war von jetzt ab in 48 Stunden. Wir bestellten dennoch, wir brauchten das Zeug ja ohnehin. Aber für den Augenblick mussten wir Abhilfe schaffen. Da erinnerten wir uns an einen Werbeclip: Gorillas nannte sich der Service. Wenn man in einer Großstadt lebt, wo es Gorillas gibt, heißt es ganz simpel: App herunterladen, aus einem übersichtlichen, aber an sich genügendem Sortiment auswählen und die Lieferung kommt prompt. Ja, wirklich prompt: Die App zeigte 16 Minuten bis Lieferung an. Und nach 16 Minuten hatten wir Schinken, Toast, Käse, Obst und Saft vor der Haustüre stehen. In dem Moment waren wir dankbar für diesen Service.

Schnell – zu einem hohen Preis

Es war noch nicht mal sonderlich teuer. Und dass trotz Liefergebühr und Trinkgeld. Wirklich erstaunt war ich über diese Schnelligkeit. Die App zeigte minutiös an, wie lange der Vorgang dauern würde. Ich hielt das erst für vollkommen unrealistisch. Als es punktgenau an der Tür klingelte, fiel ich fast vor Schreck vom Sofa. Nachdem wir uns gestärkt hatten, versuchte ich herauszufinden, wie dieses Konzept eigentlich funktioniert. Gorillas unterhält Lagergeschäfte, vor denen sich Mengen an festangestellten Lieferanten mit e-Bikes tummeln. Nun ja, was immer »festangestellt« heute bedeuten mag. Dummerweise werden diese Geschäfte oftmals in Wohnvierteln angemietet, sodass die Nachbarschaft schwer unter diesem Geschäftsmodell leidet.

Überall vor den Läden gammeln die Kuriere herum, die gerade nicht im Einsatz sind; e-Fahrräder stehen breit auf dem Gehsteigen. Wenn es dann auf Tour geht, preschen die Kuriere mit einem Mordstempo los und gefährden Fußgänger und mischen den Autoverkehr auf. Außerdem fahren täglich mehrfach Lastwagen vor, die für Nachschub im Lager sorgen. Viele betroffene Nachbarn beklagen außerdem, dass Kartonagen und Getränkekästen einfach in den Fluren ihrer unmittelbaren Liegenschaft gestellt werden.

Vor einigen Wochen erst haben Gorillas-Fahrer in Berlin gestreikt. Es ging um die schlechte Bezahlung. Der Stundenlohn wurde offenbar angepasst. Reich wird man freilich dennoch nicht: Mit Arbeit nie. Dafür wirbt man mit einer Corporate Identity, die so tut, als seien da Überzeugungstäter am Werk. Dabei ist das ein Knochenjob, man kämpft gegen die Uhr und andere Verkehrsteilnehmer an. Die Unfallgefahr lauert hinter jeder Ecke, um die gerade ein Fußgänger oder eine Omi mit Rollator abbiegt. Geschwindigkeit ist stets oberste Pflicht, sonst werden die ambitionierten Lieferzeiten nicht eingehalten. Man muss wie ein aufgestachelter Gorilla über den Asphalt preschen, wie ein irrer Primat, sonst scheitern die ambitionierten Lieferzeiten: Ob daher der Name kommt? Danach geht es nicht selten in einen hübschen Altbau, jugendliche Kundschaft im fünften Stock, Aufzug Fehlanzeige. Jetzt wären äffische Kletterkünste wünschenswert. Junge Leute verrichten logischerweise dieses Geschäft. In so einem Metier kann man sich Alter nicht leisten.

Schöne neue Arbeitswelt

Gorillas bietet in etwa 1.000 Produkte an. Das ist jedenfalls die Zahl, die das Unternehmen selbst nennt. In allen größeren Städten gibt es mittlerweile Filialen und mehrere Märkte, die allesamt recht zentral liegen. Gorillas wirbt weiter damit, dass die Produkte zum Supermarktpreis angeboten werden. Vergleicht man das Angebot, kann man dem bedingt zustimmen. Die Produkte, die Gorillas anbietet, bekommt man im Supermarkt nur unwesentlich günstiger. Eine ausgesprochen gut sortierte, ja reichhaltige Produktpalette bietet Gorillas im Segment veganer Produkte an. Sich vegan ernährende Städter könnten sich bei diesem Lieferservice vollumfänglich mit Lebensmitteln ausstatten.

Genau auf diese Klientel schielt Gorillas natürlich: Auf die woke Hipster-Kultur der Großstädte; auf diejenigen, die vegan essen und auf Klimaneutralität achten. Wenn sie bei Gorillas jene Lebensmittel ordern, die sie bevorzugen und das ganze Paket auch noch mittels Elektromobilität vor die Haustüre gestellt bekommen, wähnt sich diese grün-moralistische Klientel natürlich auf der besseren Seite der Gesellschaft. Fairer, klimatisch unbedenklicher, veganer kann man sich per App ja gar nicht aushalten lassen.

Die Arbeits- und Produktionsbedingungen von Gorillas werden dabei natürlich außer Acht gelassen. Ob solche Arbeitsverhältnisse fair entlohnt werden, gesund sind und das, was wir heute Work-Life-Balance nennen, berücksichtigen, kümmert die Zielgruppe freilich wenig. Arbeitsbedingungen sind für diese Klientel kein Thema. Nur in seltenen Ausnahmefällen bestenfalls, so wie neulich bei Margarete Stokowski von Spiegel Online, von der ich erstmalig Nachdenkliches über Arbeitsbedingungen las. Schnell stellte sie aber klar, dass sie nicht fehlendes Personal oder schlechte Ausstattung von Polizei und anderen Kontrollettis meinte, sondern die bösen Bürger, die Impfnachweis-Kontrolleuren mittlerweile genervt und auch laut begegneten. Mit klassischer Kritik an den Arbeitsverhältnissen haben es diese grün-moralistischen Sprachrohre allesamt eher nicht. Wie könnten sie also was daran finden, wenn ihnen die schöne neue Arbeitswelt Bequemlichkeit beschert, die ihnen das Prekariat direkt bis auf den Fußabtreter bringt?

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

Related articles

spot_img

Recent articles

spot_img