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Wir haben ein sehr ernstes Problem

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Täusch ich mich oder gibt es kaum noch Menschen, die mit Humor und Esprit durchs Leben gehen? Mir scheint, als haben sich alle dazu verschworen, aus Protest mit Leichenbittermiene herumzulaufen. Über was lachen Wokies eigentlich?

Ja, stimmt ja, so ein sonderlich ernster Mensch bin ich nicht. Nicht hier. Nicht in den Podcasts, die wir hier verbrechen. Und ehrlich gesagt auch nicht im realen Leben. Ernsthaftigkeit nervt mich. In Deutschland gilt sie jedoch dummerweise als Ausdruck von Seriosität und Anstand. Aber ich bin immer relativ skeptisch, wenn jemand viel Wert auf ein ernstes Auftreten legt. Wer das tut, so empfinde ich das jedenfalls, hat irgendwas zu kaschieren, meint es nicht aufrichtig, hat eine Leiche im Keller – in jenem Keller, wo er sprichwörtlich auch hingeht, wenn er lacht. Dass man in deutschen Sprichworten Leichen und gleichsam das Lachen im Keller unterbringt, halte ich eigentlich für keinen sprachlichen Zufall. In jenem Gebäudeteil, der unter der Erdoberfläche liegt, scheint die Metaebene der deutschen Bedeutsamkeitsschwere angesiedelt zu sein, die einem eines im Leben nicht zugestehen will: Esprit.

Todernste Zeiten

In den letzten Monaten hat sich das verschärft. Zugegeben, auch das ist wieder so ein subjektives Empfinden meinerseits. Ich habe ja nur mich selbst zum fühlen, kann mich in dieser Frage nur auf mich verlassen. Habe also nur mein Gespür dafür – eine objektive Analyse liegt mir nicht vor. Wie könnte sie auch? Analysen machen ernsthafte Menschen in ihren ernsthaften Berufen – dass es anders als ernsthaft sein könnte, das ahnen sie wahrscheinlich nicht mal. Mich irritiert seit jeher, dass Menschen auf flapsige Bemerkungen meinerseits nicht reagieren und total ernst antworten, als haben sie den Scherz nicht verstanden. Heute treffe ich häufiger auf solche Menschen als früher. Waren wir nicht gerade noch die Spaßgesellschaft?

Mehr und mehr rutsche ich auch deswegen in eine seltsame Neunziger-Nostalgie zurück. Damals habe ich die Welt jetzt nicht als besonders geistreich empfunden – menschlicher erschien sie mir schon. Aber heute gucke ich mir gerne mal auf YouTube alte Folgen von Harald Schmidt an – ja, sogar von TV Total. Raab konnte nie mit Schmidt Schritt halten. Nicht mal ansatzweise. Aber was der damals, ab 1999 so für Zoten riss – hin und wieder waren sie auch gut -, das ginge heute nicht mehr. Da werden Klischees bedient, die würde heute zu einem Shitstorm und womöglich zu einem Ende der Sendung führen. Und ein Nazometer wie bei Harald Schmidt oder einfach nur diese Koketterie mit dem Habacht-Vorsichtsantifaschismus der Spießbürger: Auch das ginge heute nicht mehr. Humor ist heute so schwierig geworden. Ja, so unlustig. Momentan gucke ich auch Seinfeld: Nicht mal diese Mutter aller Sitcoms würde heute als politisch korrekt durchrutschen.

Über was lachen eigentlich all diese perfekten Wokies? Das frage ich mich ganz ernsthaft. Nehmen wir mal Frau Stokowski vom Spiegel: Viel habe ich nicht von ihr gelesen – aber das, was ich gelesen habe, war stets schwerfällig, hatte wenig Leichtigkeit und absolut keinen Esprit. Einen etwaigen Witz konnte ich nie entdecken. Worüber lachen solche Leute? Was ist der Stoff, bei dem Frau Kuhnke kichert? Oder der Typ vom Volksverpetzer? Über Transenwitze vom Raab schüttelt der sich sicher nicht vor Lachen. Nicht etwa, weil die mittlerweile so einen langen Damenbart haben, nein, sondern eben weil sie böse inkorrekt, rechtsoffen und überhaupt altweißmännlich sind. Kann es sein, dass unsere Wokies gar keinen Spaß verstehen, keinen Sinn für Humor haben? Mir scheint es jedenfalls fast so, als sitze ihnen zuweilen die gesamte Schwerfälligkeit des irdischen Lebens auf den Schultern.

Der neue Mensch: Er lacht nicht – oder nur, wenn er soll

Was bin ich auch für ein Zeitgeistverächter! Die Spaßgesellschaft war gestern, sie ist lange vorbei. Ich war nie auf der Love Parade. Aber so eine Veranstaltung wäre heute ja gar nicht mehr denkbar. Irgendwann im Frühjahr hat der MDR gezeigt, wie man in diesen besonderen Zeiten eine seuchenschutzwirksamen Rave organisiert. Da standen sie in markierten Kreisen auf einer Wiese, alle trugen sie FFP2-Maske und verbogen sich im Tanzfieber zur miesen Musik. So sieht Spaß heute bei unseren politisch Korrekten aus. Spaß darf da keinen Spaß machen. Und wenn, dann nur so, dass er nicht moralisch angreifbar ist. Denn die Weltrettung und die Modellierung des neuen Menschentypen ist kein Vergnügen, keine Zerstreuung. Das ist ernste Arbeit. Rund um die Uhr. Gerade dann, wenn man mal nicht im Dienst ist, muss man ganz besonders aufpassen.

Bei so viel Beseelung, so viel Drang nach dem Richtigen, dem Wahren, dem Guten, bei so einem ausgeprägten Sinn fürs Pädagogisieren und Belehren, kann es gar keine legitime Form des Humors geben. Ja, für Wokies gibt es keinen Humor. Denn egal über was so ordinäre Leute wie Sie und ich auch lachen: Man muss es dekonstruieren, in seine Einzelteile zerlegen, die ethische Syntax bloßlegen. Die ganz Platthumorigen unter uns lachen über Home-Videos, wo der Oma das Gebiss rausfällt und dem kleinen Sören-Dietrich die Unterhose verrutscht. Beides ist in der Wahrnehmung von Menschen, die immer, überall, zu jeder Stunde im politisch-korrekten Analysemodus sind, nicht zum Lachen geeignet. Denn Senioren leide viel in diesen Zeiten. Wer über sie lacht, zeigt nur an, wie unsensibel er ist. Und ein halb aus der Hose lugender Kinderarsch, wir wissen es ja, ist der Einstieg in Kinderpornographie: Wer da lacht, der spielt der Pädophilie in die Hände.

Ja, klar, auch sie lachen über Witze. Wenn es gegen die Abgehängten geht. Gegen die Amis im Rusty Belt zum Beispiel, die Rednecks, die republikanisch wählen – oder wenn jemand Sachsenwitze erzählt. Bei ihrer Verachtung gegen Sachsen gleichen die Wokies mittlerweile den Konservativen vor und kurz nach der Wende. Für die waren Ostdeutsche, die sie sich immer sächselnd vorstellten, der Ausdruck der Rückständigkeit schlechthin. Natürlich darf man auch über diese Leute lachen. Aber doch bitte nicht nur, man kann und darf über alles lachen. Satire darf alles. Die Wokies bestreiten das mittlerweile auch. Und sie gucken sehr sehr ernst und gravitätisch, während sie der Satire ihr Recht aberkennen.

Die Bewegten von heute: Spaßbremsenguerilla

Dass es ganz offenbar einen Drang dazu gibt, einen Alleinstellungsanspruch in Sachen Weltanschauung zu manifestieren, konnte man unlängst in der taz lesen. Dort hieß es: »Schwarze, die sich negativ über Weiße äußern, und Weiße, die negativ über Schwarze reden – das wird nie das Gleiche sein, nicht in 100 Jahren. Queers dürfen Heteros ablehnen, aber nicht umgekehrt. Frauen dürfen Männer nicht dabeihaben wollen, aber nicht umgekehrt. Behinderte Menschen dürfen über Nichtbehinderte lästern, aber nicht umgekehrt. Jüdinnen und Juden dürfen sich über nichtjüdische Deutsche lustig machen – umgekehrt keinesfalls.«

Gleichwohl habe ich in den letzten Jahren diese Kreaturen, die sich Safe Spaces erbauen, Trigger-Warnungen wünschen und die eine umsichtige Wohlfühlsprache fordern, eigentlich nie lachen sehen. Bestenfalls lächeln, wenn sie in einer Talkshow hockten und als Frau oder Mann oder wer weiß was mit einer gewissen Expertise vorgestellt wurden. Dann lächelten sie süffisant in die Kamera, tut man doch so, wenn man im Fernsehen ist. Zu mehr reichte es im Regelfall nicht. Denn Humor ist ein ganz böser Ratgeber. Hat man auch gesehen, als im April Schauspieler dieses Landes Satire gegen die Corona-Politik machten. Denn Humor ist gefährlich. Das wusste schon der blinde Mönche Jorge de Burgos. Daher versetzte er alle Seiten jener Bücher mit einer giftigen Tinktur, die zum Lachen animieren könnten. Denn Lachen, so glaubte er, sei des Teufels. Und wer lacht, der dürfe ruhig verrecken.

Unsere Spaßbremsenguerilla von heute gleicht diesen Zeloten der Einfalt sehr. Sie ziehen sich sogar sackartig an, ganz wie der boshafte Mönch aus Umberto Ecos Roman. Ihre Fratzen erinnern an jenes entstellte Gesicht Fjodor Schaljapins, jenes Mimen also, der in der Verfilmung des Werks den Jorge gegeben hat. Unsere Bewegten von heute haben die Humorlosigkeit als Waffe reaktiviert. Nur sie erlaubt es, dass man jene entmenschlicht, die man für die Schlechten in dieser Welt hält. Humor vermenschlicht zu sehr. Und das können sich diese Kämpfer für eine Welt, die sie für besser halten, nicht leisten. Wer lacht, bringt deren Projekt in Gefahr, untergräbt deren vermeintliche und selbst inszenierte Kompetenz, die im Grunde aus Luft, schlechter Laune und selbstbewussten Halbwissen besteht – und die sich durch den mangelnden Humor eine Seriosität ausleiht, die sie nie durch Inhalte erlangen könnte.

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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