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Eine unbequeme Wahrheit

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Die Klimawende ist natürlich ein realistisches Ziel. Wir müssen bloß verzichten, kürzertreten, wieder ein bisschen mehr wie 1830 leben: Dann klappt das schon mit dem Klima. Und weil das wohl die einzige realistische Alternative ist, ist die Klimawende dann doch wiederum kein realistisches Ziel.

Ich wundere mich regelmäßig über diese Aufbruchsstimmung und Zuversicht, wenn es darum geht, das Klima zu retten. Der Kanzlerin Ausspruch, dass wir das schaffen, scheint in etlichen klimatischen Sonntagsredenmomenten schier allen auf der Zunge zu liegen. Das hört sich dann immer so an, als sei die Rettung nur eine Sache des Willens. Man müsse es nur genug wollen, dann ist die Klimawende in greifbarer Nähe. Es ist völlig egal, wen man in dieser Debatte fragt: Dass es vielleicht gar keinen Weg aus der Misere geben könnte, sagt keiner. Alle sind sie beseelt davon, dass es den einen Ausweg gibt. Und schon alleine das halte ich für befremdlich. Ich glaube nicht an diesen Rettungsoptimismus. Die Welt funktioniert nicht als Wille und Vorstellung. Sie funktioniert nach inneren Zwängen. Und die kann man nicht mehr so einfach abstellen.

Was mir außerdem aufstößt: Keiner sagt die Wahrheit. Alle drucksen sie herum. Sogar die vermeintlich schonungslos ehrliche Haut namens Greta. Denn natürlich gibt es genau einen Ausweg, genau einen Pfad, der zur Klimarettung führt: Wir müssten wieder zurück zu einem Lebensmodell wie – sagen wir mal – 1830. Und genau darin steckt das Problem: Das will keiner. Aber es ist die Wahrheit: Klimarettung bedeutet, sich zurück zu orientieren. Kennen Sie jemand, der das will? Ich nicht. In nostalgischen Stunden stelle ich mir freilich vor, dass damals das Leben authentischer war. Aber einen Acker bestellen möchte ich trotzdem nicht müssen. Und so ein kühles Bier direkt aus dem Kühlschrank: Ich verzichte gerne auf Etliches – aber darauf nicht. Was nützt mir die Klimarettung, wenn das Bier warm ist?

Tiefer, langsamer, näher

Die gute Nachricht ist: In die Steinzeit zurück müssen wir nicht. Das sagen ja oft jene Klimaskeptiker – auch so ein Wort! -, die es besonders brutal deutlich machen wollen. Wahrscheinlich reicht es, wenn wir die Uhr knapp 200 Jahre zurückdrehen. Aber ehrlich gesagt, der Steinzeitkommunismus, den man vor vielen Jahren in Kambodscha fand, war weitaus klimaverträglicher als jede ökologisch noch so gut aufgestellte Kleinstadt in Deutschland. Nur so leben will im Grunde keiner müssen. Es ist unbequem, nicht oder kaum planbar und über die Sterblichkeit reden wir erst gar nicht. Gut, die soziale Frage wäre damit natürlich auch gleich mit beantwortet, denn in so einem Modell gibt es diese Frage schlicht nicht, weil sie keiner mehr stellt – wer Hunger hat, fragt wenig und jagt viel.

Mit der Steinzeit hausieren zu gehen, beinhaltet einen Grundgedanken, den auch ich teile: Zivilisation bedeutet immer, dass Menschen ihren Fußabdruck hinterlassen, Ressourcen verwerten, ja auch ausbeuten. Es bedeutet, sich aus dem Naturzustand zu erheben, um sich die Natur untertan zu machen – das klingt jetzt biblisch, ist deswegen aber noch lange nicht falsch. Doch wahrscheinlich ist Zivilisation auch möglich, ohne gleich das Klima zu zerschießen und den Planeten unrettbar zu plündern. Nur ist es mit ziemlicher Sicherheit nicht die Highspeed-Zivilisation von heute, die diesen Spagat vollbringen wird. Sie ist gar nicht dafür gemacht – und sie ist überdies auch nicht dafür ausgelegt, eine Exit-Strategie aus den eigenen Gesetzen zu vollziehen. Alles, was darauf aus ist, die Highspeed-Prinzipien zu bremsen, führt unweigerlich zum Zusammenbruch – und damit zu Verteilungskämpfen, Unruhen und Bürgerkrieg.

Den Koloss zu entschleunigen, ihn runter zu bremsen, führt freilich auch zu Besitzstandswiderständen. Wie will man einer ganzen Generation denn erklären, dass nicht mehr 2021 sein soll? Dass wir jetzt ins Biedermeier zurückrudern? Wie will man es denen erklären, die den Wohlstand unserer Zeit leben konnten, Menschen also, die meist aus unseren Gefilden stammen? Und wie will man es erst denen darlegen, die irgendwann mal da hin wollten, wo der Westen heute steht? Die auf einen Kühlschrank, auf ein Auto warten und hoffen, bald auch mal Flugreisen unternehmen zu können?

Ach so? Es gibt Hoffnung? Was denn bitte? Die Elektromobilität? Ach nee, ich bitte recht schön: Das ist doch keine Perspektive. Dazu braucht es im großen Stil seltene Erden – und die sind, nun ja: Selten! Schwer abzubauen, fast immer unter Einsatz von Menschenleben. Und ob 44 Millionen E-Autos – so viele PKWs gibt es momentan in Deutschland – einfach mal so aus dem hiesigen Stromnetz versorgt werden können: Ich melde stille Zweifel an, nicht zu laut, ich möchte die Tagträumer ja nicht wecken.

Der übernächste Krieg wird nur noch mit Pfeil und Bogen entschieden

Gut, für manche Öko-Seele ist das natürlich ein Ausweg aus dem Dilemma – jedenfalls aus dem eigenen Dilemma, ein reines Gewissen haben zu können. Denn besser wird die Welt ja nicht. Nur vielleicht die eigene kleine Öko-Blase. Der biologische Fußabdruck wird ja exakt mit jenem Fuß vermessen, der ansonsten jene tritt, die für wenig Geld und wenig Arbeitssicherheit Lanthan, Lithium oder Kobalt abbauen müssen. Wenn jetzt auch noch jene schwarzen Menschen, die wir in anderen Debatten ganz vorsichtig und menschenlieb als PoC vorgestellt bekommen, sich daran halten und ihren Wunsch nach einem modernen Leben mit einem E-Auto krönen, dann wird die Welt ganz ganz bald ein besserer Ort mit prima Klima und vielen glücklichen Picknickkörben auf allen Wiesen.

Nochmal: Natürlich müssen wir es schaffen, das Klima zu regulieren. Müssten! Konjunktiv bitte. Was aber ist eigentlich, wenn wir es nicht schaffen aus oben genannten bzw. angerissenen Gründen und Bedenken? Zweifel dieser Art werden als Defätismus abgetan, als Schwarzmalerei, als Unkerei und Endzeitstimmung. Dabei sind Zweifel nichts davon – sie sind berechtigt. Wie eigentlich immer. Zweifel sind der Rohstoff jeder intelligenten Debatte. Und in dieser Frage sind Zweifel Teil einer unbequemen Wahrheit.

Albert Einstein war der Ansicht, dass der übernächste Krieg wieder mit Pfeil und Bogen entschieden würde. Er spielte auf den Overkill, auf einen drohenden Atomkrieg an. Nach einem solchen, so glaubte er, landen wir wieder in der Steinzeit. In so einem Szenario, entschuldigen Sie meinen Pessimismus, könnte es mit der Klimawende noch was werden. Wenn wir mal ausblenden, dass dann alles verseucht ist – bitte jetzt nicht kleinlich werden, seien Sie so gut. Ein solches Szenario ist vermutlich das einzig denkbare, in dem sich die Menschheit zurück orientiert, steinzeitlicher wird – freiwillig geschieht das nie und nimmer. Wer verschenkt denn freiwillig seinen Lebensstandard? Nur nach der größten anzunehmenden Katastrophe findet man sich damit ab – und das eben nicht ganz freiwillig. Manche nennen die Menschheit daher dumm. Ich nicht: Ich halte das für normal – und für menschlich.

Haben wir also einen Plan B, falls die Menschen hienieden nicht dazu bereit sind, sich freiwillig vom (nennen wir es mal) Wohlstand – oder wie Menschen in der Dritten Welt: von der Idee des Wohlstandes – zu verabschieden? Pläne über unterirdisches Leben vielleicht? Wäre auch nicht mein Favorit. Aber was soll man machen, mir wäre lieber unter Tage zu bloggen als gar nicht mehr. Und es wäre mir lieber, wenn man da ehrlich wäre und nicht so verdruckst optimistisch und anpackerisch. Denn wenn Menschen mit besten Absichten was anpacken, braucht man fast immer einen Alternativplan.

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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