Ein Kommentar
Markus Anfang, Trainer von Werder Bremen, hat einige Stunden vor einem Punktspiel der 2. Liga seinen sofortigen Rücktritt bekannt gegeben. Der Grund sind Vorwürfe, er habe seinen Impfpass gefälscht, also den Nachweis einer Impfung gegen Corona unrechtmäßig in den Pass eingetragen oder eintragen lassen.
Natürlich ging nach der Meldung ein Ruck durchs Land und ein Erdbeben durch die sozialen Medien. Man kennt das: Verantwortungslos sei Anfang, unsolidarisch, ein Betrüger, ein Asozialer, der – womöglich gemeinsam mit Kimmich – im Alleingang für überfüllte Intensivstationen gesorgt hat.
Abgesehen davon, dass das eine gute Meldung wäre – immerhin hätte man sonst auch die politischen Entscheidungen für das desaströse Gesundheitssystem verantwortlich machen können, was man bei dieser revolutionären Erkenntnis getrost sein lassen kann -, setzt die Debatte für mein Empfinden an der falschen Stelle an.
Und dabei geht es meines Erachtens weder um die Frage, ob Anfang eine Fälschung im Impfpass vorgenommen haben könnte (ich unterstelle zunächst einmal, dass er das nicht getan hat, das hängt mit dieser antiquierten Unschuldsvermutung zusammen), noch geht es darum, warum er sich bis jetzt nicht hat impfen lassen. Letzteres wäre natürlich nur der Fall, wenn der Vorwurf der Fälschung sich als wahr herausstellt. Gar nicht so einfach.
Es geht um Folgendes, und das ist ein rein theoretisches Modell, denn ich weiß ja nicht, ob Anfang betrogen hat oder nicht:
Da Anfang die Fälschung durchgeführt haben könnte, wird er jetzt von der Staatsanwaltschaft dafür belangt. Es wird geprüft, ob die Unschuldsvermutung erhalten bleiben muss oder die Staatsanwaltschaft zu einem anderen Ergebnis kommt. Am Ende wird dann ein Richter ein Urteil fällen. So in etwa wird es laufen.
Entscheidend ist aber, was vorher geschah. Denn wie wir alle wissen, gibt es offiziell keine Impfpflicht gegen Corona in Deutschland. Das führt normalerweise naturgemäß dazu, dass sich Person A für die Impfung und Person B dagegen entscheidet. Angenommen, diese höchst persönliche Entscheidung würde allgemein gesellschaftlich akzeptiert (was naheliegend wäre, da sie auch durch Gesetze abgedeckt ist), bräuchte sich niemand, der sich nicht impfen lassen möchte, darüber Gedanken zu machen. Es ist seine Entscheidung, Punkt.
Doch so ist es nicht, machen wir uns da nichts vor. Auch ein Kimmich hatte bekannt, sich zunächst gegen eine Impfung entschieden zu haben. Die mediale und öffentliche „Hinrichtung“, die darauf folgte, zeigte, dass eine persönliche Entscheidung, die auch noch rechtlich einwandfrei ist, einen Dreck wert ist. Das gilt im Übrigen nicht nur für Balltreter, sondern für alle anderen ebenso. Und die Eskalation von 2G, 3G, 2G+ und 3G+ macht es auch nicht leichter.
Bleiben wir also bei der oben angeführten Theorie, und spinnen wir das zu Ende mit dem Gedankenexperiment, dass sich herausstellt, der Verdacht gegen Anfang wäre wahr:
Ich unterstelle, dass in diesem theoretischen Fall der Druck auf den Trainer von Werder Bremen so groß gewesen wäre, dass er keine andere Möglichkeit sah, sich diesem durch die Fälschung zu entziehen und weiter seinen Job zu machen. Anders ist ein solch großes Risiko eigentlich nur schwer zu erklären.
Und das führt mich zu meinem abschließenden Urteil: Markus Anfang steht jetzt im Verdacht einer Tat, die er unter freiheitlichen Rahmenbedingungen gar nicht hätte ausführen müssen. Hätte er ohne Sorge davon ausgehen können, dass seine persönliche Entscheidung akzeptiert und respektiert wird, wäre eine Impfpassfälschung schlicht unnötig gewesen.
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass jeder Mensch, der etwas Verbotenes tut, dafür auch zur Rechenschaft gezogen werden und die Verantwortung tragen muss. Eine Straftat ist eine Straftat, und es wäre fatal, wenn man im Einzelfall entscheidet, ob sie geahndet wird oder nicht (wobei man nebenbei die Frage stellen könnte, wie Großkonzerne in die gesetzliche Pflicht genommen werden, wenn sie die Umwelt oder Menschen vergiften und dabei glimpflich davonkommen oder völlig folgenlos aus der Nummer raus gehen).
Im Fall von Markus Anfang sehe ich das allerdings ein wenig anders. Wäre ich ein Richter und die Beweise wären erdrückend, würde ich ihm zugestehen, unter einem enormen Druck gestanden zu haben, der zu seiner Tat geführt hat und ohne den die Tat gar nicht stattgefunden hätte. Das würde sich mindestens strafmildernd auswirken.
Die letzte Frage aber lautet: Wie geht eine Gesellschaft damit um, dass Menschen unter einen kollektiven Druck gesetzt werden, der weder rechtlich abgesichert noch moralisch zu erklären ist? In einer Demokratie müsste auch das einen Straftatbestand darstellen.
Der aber wird nicht geahndet.
Im Gegenteil.