Die Mehrheit der Deutschen findet meist das gut, was die Mehrheit der Deutschen gut finden soll – jedenfalls aus Sicht der Politik und der Medien. Mit meinem Umfeld kann ich die üblichen Umfragemehrheiten jedoch nicht mehr in Deckung bringen. Woran liegt das?
»Verpisst euch bloß, ihr Scheißwichser!« Das war mein Statement vor vielleicht sieben, acht Monaten, als ich nahe der Paulskirche von einem Kamerateams des Hessischen Rundfunk angesprochen wurde. Ehrlicherweise habe ich keinen Schimmer, was die von mir wollten, ich fuhr ihnen lieber gleich übers Maul. Zugegeben unflätig. Ich hatte damals einfach die Schnauze voll von diesem Medienbetrieb – besser geworden ist meine Aversion gegen unseren Journalismus im Laufe der Zeit jedoch nicht, was der geneigte Leser hier und da vielleicht erahnen mag. Vielleicht würde ich nicht in jeder Situation so grob reagieren – aber ab und zu mal vermutlich schon.
Womöglich hätten die rasenden Reporter mich ja was zur Corona-Politik gefragt. Unter Umständen auch nur, was ich meinen Lieben zu Weihnachten schenken möchte oder ob ich lieber die Stones oder die Beatles höre – also eine dieser sinnfreien Fragestellungen, die der geistig umnachtete Journalismus immer dann ersinnt, wenn er seine Arbeit nicht ganz verweigern will und auf Softthemen umschaltet. Falls ich aber doch zur Corona-Politik befragt worden wäre, hätte ich da nicht eine gute Chance gehabt, mal Luft abzulassen? Habe ich da etwa eine Gelegenheit verschenkt?
Es sind schlechte Menschen, die Falsches tun
Ach was, ich komme ja dort eh nicht vor. Wenn ich motze, wenn ich kritisiere, meine Bürgerwut kenntlich mache: In der Hessenschau lande ich damit nie und nimmer. Stimmt dieses Vorurteil eigentlich? Sicher weiß ich es nicht. Ich gucke die Hessenschau auch nicht wirklich, zappe höchstens mal hin. Aber immer wenn ich das tue, flimmern da Gesichter über die Mattscheibe, die nicht unbedingt mit kritischer Miene glänzen. Gezeigt werden offenbar die Versöhnlichen, die, die keine grundsätzlichen Bedenken haben, die die allgemeine Massenstimmung abbilden. Vielleicht ist es aber nur Einbildung meinerseits und meine Ablehnung dieses Medienbetriebes ist nur eine selbsterfüllende Prophezeiung?
Wer weiß? Aber ehrlich gesagt, glaube ich das nicht. Wer dem Medienbetrieb Naivität oder Unbedarftheit unterstellt, stellt letztlich nur seine Naivität und Unbedarftheit zur Schau. Diesen Eindruck hatte ich schon weit, schon Jahre vor Corona. Seit anderthalb Jahren hat er sich nur verstärkt, ja auch bestätigt und verfestigt.
Meine Erfahrung hat dazu geführt, dass ich so ausfallend werde. Meist kommt mir da Max Goldts berühmtes Zitat zur Bildzeitung in den Sinn, wonach man die Redakteure so unfreundlich behandeln sollte, »wie es das Gesetz gerade noch zulässt, [denn] es sind schlechte Menschen, die Falsches tun.« Na gut, ich gebe zu, jemanden einen »Scheißwichser« zu rufen, lässt das Gesetz nicht gerade zu – und Redakteure waren das sicher auch nicht: Aber ich habe mehr und mehr den Eindruck, dass jeder in diesem medialen System, insbesondere in jenem der Gebührenfinanzierung, etwas Falsches tut und damit ein schlechter Mensch ist.
Wer glaubt denn den Medien noch?
Die wollen doch kein Abbild der wirklichen Stimmung fabrizieren, keine Chronologie der Zeitgeistes einfangen: Was sie wollen scheint zu sein, dass sie ihre eigene Interpretation von der Welt bestätigt bekommen wollen. Als Passant bin ich da kein partizipierender Bürger, der den Medienbetrieb, den er auch noch finanziert, seine Sicht erzählen dürfte. Ich bin nützlicher Idiot, das schmückende Beiwerk von der Straße, das ein Feature in den Ruch von Bürgernähe und Alltagsbezug setzen darf,, wenn es so spricht, wie man sich das vorher ausgemalt hat. Für sowas bin ich mir echt zu schade. Und ich nehme an, diesen Journalismus mittlerweile ganz schön viele Menschen durchschaut.
Selbst Menschen in meinem Umfeld, die einem eher klassischen bürgerlichen Leben zutendieren, nicht große Ambitionen hegen, um politische Diskussionen zu führen oder gesellschaftlichen Einschätzungen abzulegen, äußern sich seit Monaten zu dieser Misere. Sie sind unzufrieden mit der Panikmache, fühlen sich nicht oder nur unzureichend informiert, mögen die wichtigtuerische Geschäftigkeit des Medienbetriebs nicht. Dabei machen sie keinen großen Unterschied zwischen privaten und öffentlichen Sendeanstalten. Was sie in der Zeitung lesen, betrachten sie mit Argwohn, lediglich dem Regionalteil schenken sie noch Glauben. Warum sollte der Bericht über den Kanninchenzuchtverein fingiert sein? Als es die ersten leisen Andeutungen zu Nebenwirkungen von Impfstoffen gab und die Presse dies umschiffte, glaubten sie ihr kein Wort mehr.
Trotzdem informieren sie sich natürlich in genau diesen Medien; alternative Medienangebote gegenüber sind sie genauso skeptisch. Liest man denn nicht überall, dass im Internet nur Fake News verbreitet würde? Am Ende steht sowas wie Resignation oder Fatalismus. Medien sind zwar da, man lauscht ihnen auch, aber hat keinen Bezug mehr dazu, hält sie auf Distanz, vernimmt sie wie Stimmen aus einer Welt, die man nicht kennt.
Mehrheiten sind Minderheiten, die noch reden wollen
So grob wie ich, würden diese Leute das Medienschaffenden, die ihnen über den Weg laufen, freilich nicht ins Gesicht sagen. Müssen sie auch gar nicht, so unzivilisiert soll bitte nicht jeder sein. Das wäre ja eine schlimme Gesellschaft, wenn plötzlich alle so auftreten würden. Aber ob sie bei einer Befragung welcher Art mitmachen würden, darf natürlich bezweifelt werden. Sie entschuldigen sich dann vielleicht freundlich, winken ab. Ihre Verachtung für Medienleute kaschieren sie hinter den Gepflogenheiten bürgerlicher Höflichkeit.
Wer dann am Ende wirklich befragt wird, sind jene Menschen, die sich ihre Mediengläubigkeit bewahrt haben. Die Minderheit derer, die finden, dass die Medien eine gute Arbeit machen. Daran sollte man denken, wenn sie uns wieder mal eine Umfrage präsentieren, in der die Mehrheit besonders zufrieden, besonders besorgt oder besonders für die Diskriminierung von wer weiß wem ist: Es ist nur die Mehrheit aus dem Pool jener Minderheit, die man als Mediengläubige bezeichnen könnte, die letzten, die mit der Presse noch reden wollen, weil sie keinen Groll hegen.
Es ist also ziemlich wahrscheinlich nur die Mehrheit der restlichen Deutschen, die dem Medienbetrieb geblieben ist, die man uns in solche Momenten vorsetzt. Die Umfragewerte müssten daher konträr interpretiert werden: Diese präsentierten Mehrheiten sind bloß Minderheiten, die noch mit dem Medienbetrieb reden wollen. Mit allen anderen haben diese Umfragewerte eigentlich gar nichts mehr zu tun.