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Vertrauen mit’m Knüttel

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Ab einer Sterblichkeit von einem Prozent aller Menschen, wären behördliche Maßnahmen zum Seuchenschutz empfehlenswert. Nein, das behaupte nicht ich. So sehen die Centers for Disease Control and Prevention die Sache. Dass man schnell auf Verbote baute, hat auch mit dem fehlenden Vertrauen in die Medien zu tun.

Nun komme ich doch nochmal auf einen Text von letzter Woche zu sprechen. Nun ja – wenigstens so ein bisschen. Auf Vernunft zu bauen, so urteilte ich ebendort, sei letztlich Quatsch. Pragmatismus sei hingegen der eine Grund, weshalb man Maßnahmen – zumal solche, die gar nicht praktikabel seien – nicht verschärfen sollte. Kaum formuliert, geriet mir das Schlusskapitel von Laura Spinneys wunderbarem Buch »1918. Die Welt im Fieber« in die Fänge. Sie berichtet davon, wie die Spanische Grippe die Forschung noch heute beschäftigt. Auch in puncto Pandemie-Management.

Insbesondere die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) haben sich damit beschäftigt. Nach deren Kriterien machen die Regierungen in Europa so ziemlich alles falsch. Denn Zwangsmaßnahmen würden das Gegenteil bewirken und die Bevölkerungen in die Resignation treiben. Spinney sprach zwei Jahre vor Corona den Medien eine entscheidende Rolle zu. Aber durch mangelndes Vertrauen könnte deren Rolle nach hinten losgehen – so ist es, betrachten wir die Situation in Deutschland, dann auch gekommen.

Leitfaden von 2007 oder Bußgelder, noch höhere Bußgelder!

Die CDC hielten es schon weit vor der Corona-Pandemie für wichtig, dass etwaige Maßnahmen zur Eindämmung effektiv gestaltet werden. In einem Leitfaden von 2007 rät man daher dazu, die Bevölkerung zur Mitwirkung zu motivieren: Hierzu seien aber Vorschriften ungeeignet. Die höchste Akzeptanz haben freiwillige Maßnahmen – dies begründet man damit, dass Gesundheitsvorsorge generell dann besonders vielversprechend ist, wenn sie auf freiwilliger Basis geschieht. Im Grunde wirken 90 Prozent des medinzinischen Sektors genau so: Ein Patient muss gar nichts – er wird nicht zur Genesung oder auch nur zur Vorsorge gezwungen. Wenn jemand von alleine zum Arzt kommt, meint er es gemeinhin ernst mit seinem Anliegen. Ausnahmen sind Notfälle, die nicht mehr selbst über sich verfügen können – oder die Kindermedizin.

Diese Erfahrung aus dem medizinischen Alltag zeigt, dass die beste medizinische Versorgung dann gewährleistet wird, wenn man Menschen nicht zur Behandlung zwingt. Daher befand die CDC, dass die beste Akzeptanz für einschneidende Maßnahmen wie Quarantäne, Schulschließungen und Versammlungsverbote dann entstehen, wenn »Polizeigewalt« vermieden wird. Deshalb wird von den CDC empfohlen, behördliche Maßnahmen nur anzuordnen, wenn der Anteil der krankheitsbedingten Todesfälle auf über ein Prozent steigt – ein Prozent aller Bewohner eines Landes wohlgemerkt.

Zuvor schon mit Zwangsmaßnahmen zu hantieren, sei grundsätzlich kontraproduktiv. Auch im Hinblick auf die Zeiträume, die eine Pandemie haben kann. Die Geschichte der Corona-Politik, jedenfalls für Deutschland, ist eine Geschichte der Zwangsverschärfungen. Es vergeht heute kaum noch ein Tag, an dem nicht ein Ministerpräsident Bußgelder und noch höhere Bußgelder einfordert. Das alles geschieht, während der Zuspruch für die AHA-Maßnahmen schwindet. Welche Steigerung kann der Zwangscharakter noch hinlegen? Verbote hätten das letzte Mittel sein müssen – man hat dieses Instrument letztlich verschwendet.

Die Medien haben es schon vorher verbockt

Man kann es auch griffiger zusammenfassen: Je früher man unter Zwang Maßnahmen anordnet, desto früher endet auch die Akzeptanz. Eine seriöse Information soll Verboten zuvor kommen. Hier kommen die Medien ins Spiel. Mit ihnen steht oder fällt der Seuchenschutz ohne Verbotsmomente. Die Autorin erklärt, dass man am Beispiel von 1918 gelernt hat, dass Zensur oder die Gefahr herunterzuspielen kontraproduktiv seien. Was wir jetzt erleben, nämlich die Gefahr nochmals zu dramatisieren, auch jungen Menschen beispielsweise einen schweren Verlauf von Covid-19 vor Augen zu führen, den es für diese Alterskohorte kaum gibt, zeugt ebenso von einer unaufrichtigen Berichterstattung, die nach hinten losgeht.

Was unbedingt notwendig ist, um Medien als Informationsportal zu einem selbstverantwortlichen Umgang mit einer Pandemie nutzen zu können: Das ist Vertrauen. »Ist es angesichts einer bevorstehenden Pandemie nicht schon vorhanden, kann auch die beste Informationspolitik nicht verhindern, dass die Bevölkerung sich den Empfehlungen verweigert«, schreibt Spinney.

An der Stelle nickt der kritische deutsche Rezipient. Der deutsche Medienbetrieb hat schon weit vor Corona die Grundlagen geschaffen, weswegen viele Menschen kein Vertrauen mehr zu ihm haben. Er hat Kampagnen gefahren, regierungsnah berichtet, Skandale unterdrückt, der Außenpolitik die Steigbügel gehalten und ideologisch ausgeblendet, ganze Bevölkerungsgruppen pathologisiert und belehrt. All die Verschwörungstheoretiker, über die gerade die Medien heute spotten und die sie kritisieren und die sie von der Politik gemaßregelt wissen wollen, sind ein Produkt dieses fehlenden Medienvertauens.

Nach der Pandemie: Ist Vertrauensarbeit noch möglich?

Die Berichterstattung Covid-19 betreffend, hat das Vertrauen nicht gerade gestärkt. Eine Insitution, der man schon mit wenig Vertrauen begegnete, gestaltete die eigene Informationsarbeit so eindimensional und unkritisch, so hysterisch und überzogen, dass letzte Vertrauenszugeständnisse auch noch verloren gingen. Zur schlechten Grundbedingung, die Medien als natürliches Informationsorgan zu nutzen, kam gleich aus dem Stand eine Untermauerung, weswegen viele Menschen dem Betrieb eigentlich das Vertrauen entzogen: Sie haben den Eindruck, dass kritische Distanz kein journalistischer Wert mehr ist – und dass jemand Laune hat, Menschen von oben herab zu belehren.

Diese Konstellation macht für Seuchenschutzmaßnahmen nicht gerade offen. Insofern poppt eine Frage auf, die sich ganz logisch aus diesem Missverhältnis ergibt: Musste die Politik vielleicht mit Verboten und Kontrollen handeln, weil sie mindestens ahnte, dass ihr Verkündigungsorgan, die ach so freie Presse, kein Vertrauen in großen Teilen der Bevölkerung genießt? Glaubte sie, dass ein Kurs, der zunächst eben nicht auf Verbote setzt, von Anfang nur deswegen zum Scheitern verurteilt ist, weil die Medien in großen Stücken eine so miserable Arbeit leisten?

Vermutlich ist die Antwort, wählte man sie bewusst: Nein. Was unterbewusst für die Entscheidung eines Kurses mittels Vorschriften spricht, lässt sich wahrscheinlich nicht beantworten, könnte aber in diese Richtung zielen. Dass die Situation jetzt so verfahren ist, die Fronten sich verhärten, zwanghaft zersplittert ist, ist auf das hiesige Medienversagen zurückzuführen. Wie allerdings nach dieser Pandemie noch jemals die Grundlagen für eine produktive Vertrauensarbeit geschaffen werden können in dieser Republik, bleibt fraglich. Politik und Medien haben in dieser Pandemie gemeinsam Grundlagen geschaffen, auch in Zukunft mehr und mehr Menschen zu verlieren: Nicht an den Tod durch Covid-19 etwa, sondern als vertrauensvolle Staatsbürger.

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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