»Gewalt ist grundsätzlich, grundsätzlich in unserer Demokratie kein Mittel der Durchsetzung.« Das behauptete unlängst Leipzigs Oberbürgermeister Jung. Echt – ist das so?
Eigentlich hätte ich über diesen Satz hinweggelesen. Er kam mir via Handy in die Quere. Da wischt man ja von einem zum nächsten, fast wie in Trance. Auch bei einer Meldung, die mit diesem Satz einleitete, wischte ich zunächst weiter – und gleich wieder zurück. Die Doppelung des Grundsätzlichen sprach mich an. So macht man das eigentlich im Spanischen, wenn man einen Umstand stark betonen will. Nun ja – und in Leipzig wohl auch. Manchmal sind es Nichtigkeiten oder Finessen, die uns zum Verharren und zum Nachdenken bringen.
Dieses grundsätzlich grunsätzlich hielt mich bei der Sache. Da gab sich einer Mühe, etwas sehr strikt klarzumachen. Aber ist das grundsätzlich grundsätzlich so, wie der OB behauptet? Unter allen Umständen? Ohne Ausnahme? Geht sein Satz nicht von Prämissen aus, die es vielleicht gar nicht (mehr) gibt? Fraglich fraglich …
Grundsätzlich! Grundsätzlich?
Jung geht in diesem Satz von einer Prämisse aus, die im politischen Talk quasi ständig repetiert wird: Sie lautet Demokratie – meint aber an sich: Funktionierende Demokratie. Oder: Demokratie, in der der Souverän es in der Hand hat. An diesem Umstand kann man gelinde gesagt – zweifeln. Nicht erst seit dieser Bundeskanzlerin wissen wir ja, dass wir in einer marktkonformen Demokratie leben. Der eigentliche Skandal damals, als sie das so klarstellte, war ja nicht diese Erkenntnis. Sie sprach es bloß aus – gewusst haben wir das bereits Jahre vorher. In einer so gearteten Demokratie sind die Ideale und Werte ja nicht dieselben, wie in jener Sonntagsredendemokratie. Das muss man beachten.
Insofern ist der eingangs genannte Satz grundsätzlich schon mal nicht ganz genau. Er bemüht einen Demokratiebegriff, in der die Bürgerinnen und Bürger die Geschicke in der Hand haben. Als Handlanger haben sie sich Abgeordnete gewählt. Exekutoren des Volkswillens, die zwar dem eigenen Gewissen verpflichtet sind, aber gut beraten wären, wenn sie die Probleme der Leute ernstnehmen. Wie sonst würden sie je wieder gewählt? Werden sie natürlich trotzdem. Irgendwas ist da offenbar kaputt.
Gemeint ist freilich auch nicht diese Postdemokratie, dieses System, das sich fesche Riten angeeignet hat, die irgendwie nach Volksherrschaft riechen, nach intakter Demokratie, die aber so nicht existiert. Als kürzlich einige Reichsbürger den Reichstag stürmen wollten, sagten einige sehr betroffene Politiker, dies wäre nun ein Angriff auf das Herz unserer Demokratie gewesen. Dabei sind die Hinterzimmer, in denen ach so demokratisch Gesetze zusammengestümpert werden, gar nicht alle im Reichstag. Schon gar nicht auf der Frontseite des Gebäudes. Da hätten die Kaisertreuen mal lieber den Hintereingang genommen. Dort wird Demokratie gemacht – oder das, was man für sie ausgibt.
Ist also in einer Sonntagsreden-, einer Postdemokratie, einem System, in dem sich der Lobbyismus einen schönen Schein von demokratischer Erdung gibt, ist in einem solchen Apparat grundsätzlich grundsätzlich keine Gewalt erlaubt? Ich will niemanden langweilen, aber auch der Begriff Gewalt benötigt eigentlich Definitionen – die wir jetzt mit Blick auf die Lesbarkeit dieser Zeilen weitestgehend unterlassen.
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Als kurzer Hinweis muss genügen, dass das, was man uns zuweilen als Gewalt andrehen will, Reaktion auf Gewalt ist. Oder mindestens ein Affekt, weil man als Bürger nicht mehr gehört wird. Für jemand, der sich noch einbildet in einer intakten Demokratie zu leben, in der nicht Einzelinteressen Entscheidungen diktieren, sondern so ein antiquierter Terminus wie das Allgemeinwohl, kann Ignoriertwerden wie ein Gewaltakt auf einen einwirken. Besonders wenn Behörden, Instanzen, Gremien, die uns Bürgern dienen sollten, auf Durchzug schalten. Da entsteht Ohnmacht, die nicht immer kontrollierbar ist.
Im Osten dieses Landes hat man früher mal Eingaben gemacht. Man hat der Partei seine Sorgen und Probleme geschrieben. Nicht immer wurde einem geholfen. Manchmal kamen nur Lippenbekenntnisse. Ich gebe nur wieder, was man mir darüber gesagt hat. Als Westdeutscher neige ich da vielleicht zu einer Romantisierung: Aber die Kommunalpolitiker wussten damals schon, was die Leute umtreibt. Und sie gaben es nach oben weiter. Davon scheint man heute weit entfernt zu sein, es wirkt fast so, als würden Politiker in Watte gepackt, damit sie die Realitäten nicht mehr kennen und schnieke Sonntagsreden halten können.
Ohne jetzt von einem Recht auf Gewalt sprechen zu wollen: So ganz von der Hand kann man ein gewisses Recht auf Widerstand mit gewissen, ja gewaltigen – nicht gewalttätigen – Mitteln, ja auch nicht weisen. Mit Hoffen, Bangen und nett Lächeln kommt man in einem Regime, in dem Bürgerinteressen wegverwaltet werden, ja auch nicht weit. Lebten wir in der Harmoniedemokratie, die sie meinen, ja dann, dann könnte man ja grundsätzlich grundsätzlich mit Jung konform gehen. Aber so? Gewaltfreiheit vorbeten, damit alles so bleibt wie es ist, so gleichgültig gegen uns und so profitgeil für die Konzerne – man könnte das auch als eine ganz perfide Form von Gewalt bezeichnen. Als Machtmissbrauch allemal.
In diesen selbstgerechten Reden sagen sie dann, dass grundsätzlich grundsätzlich dies und das nicht geht. Sie tun dabei so, als schöpften sie aus dem Vollen. Ob sie nun nicht wissen, wie es wirklich ist oder es ausblenden: Wer kann schon in Köpfe sehen? Dass aber ein Oberbürgermeister ahnen könnte, dass sich Leute von der staatlich unterlassenen Wohnungspolitik verlassen und verascht fühlen: Das hofft man dann ja doch. So grundsätzlich grundsätzlich …