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Der Schutz der Getrieberädchen

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Seit Monaten hört man überall, dass der Staat das menschliche Leben schützen muss – und durch die Corona-Maßnahmen auch geschützt hat. Das ist ein Märchen. Er hat sich selbst geschützt – und tut es im Grunde noch.

Zum Schutze des menschlichen Lebens: Eigentlich ist das der Satz des Augenblicks, die Parole des Jahres 2020. Ständig vernimmt man diese Losung. Viele haben sie wiederholt. Die Politik hat ihn immer wieder bemüht. So ein Satz kommt ja auch gut. In ihm steckt eine profunde Quintessenz, wer ihn zur Grundlage politischen Handelns macht, wertet sein Tun schließlich auf. Wer Leben schützt, der liegt nie falsch.

Das Problem ist nur: Der Schutz des Lebens war nie die Metaebene der Corona-Politik. Er war und ist keine grundgesetzlich fixierte Wertvorstellung. Es ging und geht bei allen Maßnahmen bestenfalls im Nebeneffekt um menschliches Leben – das staatliche Leben sollte geschützt werden. Dieses sicherzustellen war das oberste Prinzip. Das konnte man besonders gut bei der Verargumentierung des Lockdowns beobachten.

Schutz des menschlichen Lebens? Nein, der Schutz eines staatlichen Versagens!

Um mal mit einem Namen zu hantieren, personalisieren wir mal kurz. Und wer wäre da besser dazu geeignet, als Karl »Gottexperte« Lauterbach? Der nutzt Twitter mittlerweile genauso exzessiv wie der strohblonde New Yorker aus Washington. Es gab während der Corona-Monate eine Zeit, da hat der Mann eigentlich täglich dargelegt und dargetwittert, wie wichtig der Schutz des Lebens doch sei – daher seien alle Maßnahmen nicht nur richtig, sondern geradezu noch zu  lax. Lauterbach gilt als einer der wichtigsten Initiatoren des sogenannten Pflege-TÜV, ein vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) erfragter Index, der Altenheime per Notensystem rankt.

Die Krux ist nun, dass dieser TÜV nicht sonderlich kritische Maßstäbe anlegt. Wer zum Beispiel im Seniorenheim einen Speiseplan in großer Schrift aufhängt, der bekommt eine Eins. Auch dann, wenn das Essen vom Caterer kommt und qualitativ minderwertig ist. Ein Heim, das selbst gut kocht und keinen Speiseplan hat, wird schlecht benotet. Karl Lauterbach war über Jahre der Ansicht, dass dieser TÜV besser sei als gar keine Vergleichsmöglichkeit. Die Pflegenoten sind im Regelfall recht gut, ein Heim, das mit 1,4 bewertet wird, zählt nicht automatisch zu den besten im Lande. Die Hürden sind so niedrig, dass es bei einer gut geführten (und meist gefaketen) Dokumentation, keine schlechten Bewertungen geben kann.

Anders gesagt: Dieser TÜV ist ein grober Beschiss. An Bewohnern und deren Familien. An der Öffentlichkeit sowieso. Man macht uns was vor, labelt etwas als vorbildlich, was in der Praxis oftmals nicht mal den rechtlichen Standards entspricht. Und es war eben jener Herr Lauterbach, der sich jetzt über Wochen und Monate als Lebensschützer aufspielte, der das oft miserable, menschenunwürdige Leben alter Menschen hinter so einem Label verkappt sehen wollte.

Wir dürfen das Gesundheitssystem nicht überlasten!

Was schützt man eigentlich jetzt, wenn man Altenheime isoliert und deren Bewohner niemand mehr empfangen dürfen? Doch nicht das, was einem Leben entspricht. Klar, es gibt auch Heime, in denen ordentlich versorgt wird. Aber größtenteils werden Senioren in einem Zustand isoliert, der gegen die Menschenwürde verstößt. Die Drei-Liter-Erwachsenenwindel gibt es auch jetzt noch, diese großartige Erfindung der Pflegeindustrie, die das Wechseln minimiert und so der Personalknappheit Rechnung trägt. Hier wird doch nicht Leben, hier wird staatliches Versagen geschützt.

Entpersonalisieren wir mal dieses Thema ein wenig. Lauterbach ist nur eine Charaktermaske dieses Systems und einer Pandemiepolitik, die sich hinter der Parole des Lebensschutzes versteckt hat, um so aus dem Rechtfertigungsdruck zu geraten. Der Lockdown war ja die Maßnahme schlechthin, die dem Schutz des menschlichen Lebens geschuldet war. So will es zumindest das Narrativ. Wer genau hingehört hat, sich nicht emotionalisieren ließ, der musste zu einem anderen Eindruck kommen. Der Lockdown sollte dafür sorgen, dass das System – speziell das Gesundheitssystem – nicht überlastet wird.

Wir erinnern uns alle an diese Grafik, die man uns zeigte und die belegte, dass bald Millionen krank, viele davon sogar schwer krank sein würden. Die Krankenhäuser würden überlaufen. Dann zeigte man eine weitere Grafik, eine auf der die Linie weniger stark nach oben fuhr. Hier schwollen die Krankenzahlen nicht so stark an. Die Situation würde entzerrt, Versorgung könne gewährleistet werden, das System nicht zusammenbrechen. »Wir dürfen das Gesundheitssystem nicht überlasten«, erklärte nicht nur die Bundeskanzlerin. Es kam bekanntlich anders, es wurden nicht Millionen krank – es waren viel, viel, ja viel viel weniger …

Menschliches Leben: Ein Rädchen im Getriebe

Im Grunde zeigte das doch alles: Nicht der einzelne, der konkrete Mensch zählt, sondern die Erhaltung der staatlichen Funktionstüchtigkeit. Sicher: Dass dabei auch Leben gerettet werden können, ist eine schöne Nebenwirkung – aber nicht das Hauptanliegen. Der Erhalt menschlichen Lebens ist bestenfalls als Notwendigkeit zu sehen, denn Menschen sind die Getrieberädchen des Staatsapparates. Man hat ja viel darüber gehört, dass der Lebensschutz das höchste Gut des Grundgesetzes sei. Alle anderen Grundrechte seien gewissermaßen nachrangig. Das ist jedoch falsch.

Verfassungen sind Verwaltungsanordnungen. Sie gewähren dem Individuen zwar Rechte, wollen aber in erster Linie die Funktion des Staates garantieren. In Situationen des Notstandes geht es genau darum: Den Herrschaftsapparat am Leben zu halten. Was hier mitspielt ist Angst – die Angst der Herrschenden, denn jede Krise birgt die Gefahr des Herrschaftsverlustes, des Zusammenbruchs der Ordnung und damit deren Ende als Herrschende. Es ist eben nicht das Individuum, das geschützt wird in seinem Lebensrecht. Es geht um die gesamte Bevölkerung, um die Volksgesundheit als Grundlage des Machterhaltes.

Nur funktionierende Getrieberädchen gewährleisten, dass es weiter so geht wie vormals, dass man sich am Ruder hält und nicht die Kontrolle verliert. Dass man die Maßnahmen der letzten Monate unter dem Label des Schutzes des menschlichen Lebens verbucht, kaschiert nur diese niederen Instinkte, die eigentlich hinter den Maßnahmen stecken. Denn wieviel der Einzelne wirklich zählt, was man vom Wert des menschlichen Lebens wirklich hält, sieht man in Seniorenheimen, bei der Isolierung Alter und Kranker und bei all den in Kauf genommenen Krankheitsverschleppungen, die quasi verordnet waren. Das waren und sind halt keine wichtigen Bauteile des Staats- und Machtapparates, sind entbehrliche Module, verzichtbare Elemente – Bauernopfer und Kollateralschäden, die jeder Kurs des Machterhaltes mit sich bringt.

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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