7.8 C
Hamburg

Lasst uns doch mal wieder kontexten

Published:

Schlimm genug, dass so ein Algorithmus keinen Kontext checkt. Dass es die Leute auch immer seltener tun, zeigt allerdings an, dass sie der algorithmischen Sturheit nacheifern und so zu blutleeren Maschinenmenschen werden.

Nachdem uns neulandrebellen die große Weisheit der Zahlenreihen bei Facebook aussortierte, weil wir – genauer gesagt ich – ein Bild eines Turnschuhs posteten, der aussah wie der fliegenschissbärtige Führer, kommen wir nach dem dortigen Neustart nicht mehr so richtig in Schwung. Facebook ging es ganz offenbar darum, dass auf dem Bild eben nicht nur der Treter, sondern auch der Hitler – als Vergleich quasi – zu sehen war. Wenn seine Visage registriert wird, greift das Netzwerk gnadenlos durch.

Vor einigen Tagen habe ich ein Bildchen von einigen KKK-Kerlen mit Kapuzen hochgeladen und dazu geschrieben, dass es in den Staaten sehr wohl Leute gäbe, die die Maskenpflicht ernstnehmen. Keine zehn Minuten später war ich für sieben Tage ausgesiebt. Das Bild der maskierten Amerikaner war Grund genug. Wieder wurde der Zusammenhang nicht erkannt. Algorithmen sind mit die dümmsten Wesen auf Erden. Sie machen es uns nicht einfacher, bei Facebook nochmal Fuß zu fassen. Aber wir fremdeln eh mit der Plattform, daher sind wir jetzt auch nicht allzu traurig.

Heil Hitler, Herr Uhl!

Szene aus der BR-Produktion »Löwengrube«, einer Serie über die fiktive Münchner Familie Grandauer, die sich von 1897 bis in die Fünfzigerjahre erstreckt. Anfang der Fünfzigerjahre kommt Kurt Soleder, ein Schwager der Familie, die Treppe des Mietshauses herunter. Sein Nachbar Uhl läuft an ihm vorbei. Soleder hebt die Hand, er grüßt deutsch, »Heil Hitler, Herr Uhl!«, der erwidert nur kleinlaut, »Guten Morgen, Herr Soleder!« Damals war der Hitler-Gruß schon verboten, Soleder der unverbesserliche Faschist, er konnte es einfach nicht lassen – oder wie ist das sonst zu bewerten?

Wer nur diese Szene kennt, wird das jedenfalls so oder so ähnlich vermuten. Die ganze Geschichte lief aber anders ab. Soleder ist mit einer Jüdin verheiratet, er arbeitete beim Rundfunk und hielt wenig von den Nazis. Wegen der neuen Herrn und seiner große Klappe verlor er seinen Job. Der Nachbar Uhl war Blockwart in jenen Jahren und drangsalierte die Soleders auf eine widerlich auf Freundlichkeit machende Art und Weise. Nach dem Krieg tat der Ex-Blockwart so, als habe er zu den Opfern gehört, als konnte er diese ganze braune Bande nicht leiden. Er biederte sich den Soleders an, als sei nie was gewesen. Kurt Soleder hat das nicht vergessen, er verachtet Uhl und er lässt ihn das spüren.

Eben auch damit, dass er ihn mit deutschem Gruß begegnet. Wer den Hintergrund kennt, wird in Soleders Hitler-Gruß nicht etwa eine Straftat sehen, eine schlimme Verfehlung, sondern im Grunde ja das glatte Gegenteil. Mit Hitler-Gruß macht er die Unfassbarkeit sichtbar, dass er weiter Tür an Tür mit einem lebt, der ihm und seiner Frau das Leben schwer gemacht hat und der jetzt auch noch so tut, als seien beide Parteien gewissermaßen nur Opfer der Umstände gewesen. Im Kontext betrachtet ist Kurt Soleder also nicht als Nazi zu bewerten, der noch immer so grüßt, sondern als jemand, der mit diesem Kniff seine Zugehörigkeit zur Gegenseite aufzeigt.

Demokratie: Keine Selbstverständlichkeit?

Solche Hintergründe beleuchtet so ein dummer Algorithmus natürlich nicht. Er versteht keinen Spaß, keinen Zynismus, keine Ausdrucksweise, die das Gegenteil dessen meint, was man eben zum Ausdruck bringt. Er ist eben das, was Sprachwissenschaftler schon mindestens seit dem lingustic turn wissen: Unbeseelt. Eben genau wie die Sprache an sich, die erst durch den Menschen menschlich wird und die sich daher nicht berechnen lässt. Er sieht zum Beispiel ein Bild von Hitler, daneben einen Turnschuh, der Hitlers Attribute aufzeigt und erkennt den Zusammenhang nicht. Er schlägt aus, weil da ein Bilderkennungsprogramm Hitler entdeckt hat. Zu mehr ist er nicht fähig.

Zu mehr wird er aber befähigt. Die neuesten Pläne der Bundesregierung sehen nun vor, dass etwaige Sperrungs- oder Löschungsgründe gleich noch vom Anbieter der Plattform zur Anzeige gebracht werden müssen. Das heißt, mal auf mich bezogen, dass ich nach dem Posten eines Bildes von Ku-Klux-Klan-Typen unter Umständen einen Brief der Staatsanwaltschaft ins Haus bekommen könnte. Weil mich Facebook angezeigt hat. Ziemlich sicher ist nun, dass es nicht zur Anklage kommt – aber sicherlich zur prophylaktischen Anzeige seitens des Betreibers, so wie er ja jetzt schon wirklich alles, was nur in den Ruch von Strafrelevanz kommt, aus dem Weg räumt.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht hat das Vorhaben vor einiger Zeit präsentiert: Kritisiert wurde der Plan allerdings kaum. Oder gar nicht? Man hat sich offenbar im netzwerkerischen Zeitalter damit abgefunden, dass zwischen den Zeilen nichts mehr stattfinden kann. Kontext und Zusammenhang sind aberzogen. Man merkt das immer wieder mal. Schon vor Jahren wütete man im Netzwerk, weil die Bundeskanzlerin gesagt habe, Demokratie sei keine Selbstverständlichkeit. Sie sagte aber mehr: Gerade sie als Ostdeutsche wisse, dass man um Grundrechte kämpfen muss. Kontext? Den gab es bei der Reaktion nicht, die Frau wolle uns in die Diktatur befördern, las man nur noch.

Der Kontext des Kontexts

Nun bin ich ja nicht gerade sonderlich verdächtig, die amtierende Bundeskanzlerin besonders gut leiden zu können. Aber auch sie ist in Zusammenhängen zu betrachten. Die allgemeine Bereitschaft dazu war bis vor einigen Jahren sicherlich noch ausgeprägter. Die Kurznachrichten-Mentalität hat da was verformt, wir kommunizieren nur noch in Stichworten, in einem strukturellen Pidgin. Für erklärte Zusammenhänge fehlt da Zeit und Sprache.

Aber ohne Kontext reduziert man nicht nur die Aussagen seiner Mitmenschen auf einen Kern, der spekulativ bleibt. Man engt auch seine eigene Sichtweise ein. Der Kontext ist die Syntax der menschlichen Kommunikation. Die Entkontextualisierung ist eine Masche, die auf Vereinfachung und Überblickung abzielt. Sie möchte Ordnung in ein Chaos bringen, in dem eine unsympathische Kanzlerin eben nur als Demokratieabbauerin wahrgenommen werden kann. Grauschattierung und Nischen kommen in diesem Kontext absolut nicht mehr vor.

Das Social Media facht diese Wahrnehmung noch an, macht es zur Massenpsychose. Es steht für eine schöne neue Welt, in der es Zwischentöne nicht gibt, Doppeldeutigkeiten ausgeklammert und Zynismus als Angriff auf die Höflichkeit entwertet wird. Nach dieser Maßgabe kommunizieren wir künftig nur noch klar, deutlich und stets freundlich. Wir blenden Unangenehmes aus, leben in einer fröhlichen Welt und reißen nicht aus Laune aus dem Kontext, sondern weil sich so viel leichter Ruhe und Ordnung verwirklichen lässt. Nun nennt mich einen alten weißen Mann, der es nicht besser weiß: Aber so ein Zusammenleben ist spießig, uninteressant und nicht lebenswert. Eine Gesellschaft, in der Menschen die algorithmische Blindheit der Netzwerke annehmen: Das ist keine Alternative für irgendwas. Es ist die Utopie der Langweiler. Wir sollten sie ihnen gründlich vermiesen …

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

Related articles

spot_img

Recent articles

spot_img