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Politik der Verschwörung

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All diese Spinner und Wirrköpfe, die nicht einfach hinnehmen, was man ihnen an Infos bietet, ja, die sich sogar auf Verschwörungstheorien zurückziehen, scheinen vielen da draußen unerklärlich. Sind sie aber gar nicht. Sie sind das Produkt einer politischen Vertrauenskrise. Und an Vertrauen mangelt es nicht erst seit neulich.

Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns. Damals, als wir noch alle ein anderes Feindbild aus Übersee hatten, als diesen toupierten Narziss aus dem Wolkenkratzer, als noch ein vermögender Texaner mit ehemaligen Alkoholproblemen und aktuellen Bibelzwangshandlungen im Oval Office saß, hat uns dieser Satz schockiert. George W. Bush hatte ihn nämlich genau so gesagt. Nach den Anschlägen auf das Welthandelszentrum gab es nämlich auch Stimmen, die nicht nur so verwundert taten wie der Mainstream. Nein, damit sind nicht die gemeint, die hinter WTC einen Dynamit-Insidejob vermuteten, die klassischen Konspirationsjunkies. Sondern die, die auf Amerikas Rolle in der Welt zu sprechen kamen.

Das waren ja nicht nur die typischen linksradikalen Antifanten, die das spöttisch abhandelten, sondern auch gestandene Leute. Politologen und Denker – nicht immer dasselbe – wie etwa der Franzose Emmanuel Todd. Für sie war klar, dass sich die Weltpolizei im Ausland eben nicht stets wie der Freund und Helfer präsentiert hatte. Damit war der Anschlag nicht legitimiert – aber erklärt. Dagegen konnte es nur eine Abwehrhaltung geben: Jemand der sowas behauptet, der spricht dem Antiamerikanismus zu. Einer Weltanschauung, die – wie der Sachbuchautor Tobias Jaecker es mal formulierte – ein »Zusammenspiel von Dualismus, Projektion, Selbstaufwertung und – zugespitzt – Verschwörungsdenken« ist.

Helicobacter conspiratii oder sozialisierte Entsozialisierung?

Die, die also nicht mit den Vereinigten Staaten sind, im Grunde könnte es man mit den Worten des berühmten Undenkers Rainald Becker sagen, sind nichts als Spinner und Wirrköpfe, denen Madonna und Robert De Niro nicht schnell genug Paroli boten. Verschwörungstheoretiker halt. Ob sie als solche auf die Welt kamen oder Produkt einer Umwelt sind, ist mitunter schwer zu sagen in einer Zeit, da alle drei Minuten ein neues Gen entdeckt wird. Womöglich gibt es ja auch ein Conspiracy-Gen. Außerdem erfährt die Wissenschaft ständig was Neues über den menschlichen Darm, der eigentlichen Schaltstelle der Wahrnehmung. Wer weiß, vielleicht gibt es Bakterien, die Verschwörungsfreude gegünstigen, irgendeinen Helicobacter conspiratii zum Beispiel.

Dann wäre eine gewisse Angeborenheit, eine körperliche Immanenz ja dokumentierbar. Bis dergleichen allerdings bewiesen ist, könnte man auch auf wesentlich weniger komplexe Umstände zurückgreifen: Auf Vertrauensbildung und Vertrauensbindung eventuell.

Denn wer sich verschwörerischen Gedanken hingibt, der vertraut ja nicht dem, was offiziell und allgemein anerkannt als die wahren Umstände deklariert wird. Er vertraut nicht dem Massenstrom, hat das Vertrauen abgelegt oder gar nie entwickelt. Außerhalb des allgemeinen Kontextes sucht er nach Antworten. Lassen wir den Aspekt mal beiseite, ob er da was findet oder nicht, was eine allgemeinen Betrachtung verdienen würde: Jedenfalls ist er ein Abtrünniger, ein Ausgestoßener aus dem Vertrauensmodus, in dem wir unser Leben eingerichtet haben. Sie sind aus dem Vertrauen ausgeschert.

Mulder und Scully oder It is a crisis of confidence

Was so einen Vertrauensbruch erzeugt? Das hat Christopher Carter vor vielen Jahren mal auf den Punkt gebracht, als er meinte, das er ein »Kind von Watergate« sei. »Dort habe ich mein Misstrauen in die Regierung entwickelt«, sinnierte er. Nun ist Carter nicht zu einem klassischen Verschwörungstheoretiker geworden, er konnte dieses grundsätzliche Lebensgefühls des Vertrauensverlustes gut auffangen und auch noch kommerziell auskosten: Er entwickelte 1992 für den US-Sender Fox die Fernsehserie »Akte X« – einer unterhaltsamen Blaupause für Verschwörungskram und Vertuschungsaktionen der Regierung, die viele nicht nur unterhielt, sondern freilich auch bestätigte, auf Ideen brachte und »zum Durchblick verhalf«.

»It is a crisis of confidence«, hatte der Nach-Watergate-US-Präsident und pietistische Erdnussfarmer Jimmy Carter in einer Ansprache an die Nation geurteilt. Die politische Führung hatte versagt. Nicht erst seit Nixons Aktion im Watergate-Hotel. Über Jahre richtete man sich an der Macht ein, schickte junge Männer in einen sinnlosen Krieg, schürte bürgerkriegsähnliche Zustände in den eigenen Straßen. Die Spaltung schritt voran, der Wohlstand des Golden Age schmolz, die amerikanische Wirklichkeit zeigte ich nun als das, was Unterground-Autoren wie Charles Bukowski schon immer wussten: Als ein Horrorszenario aus Kommerz und verlogener Suburb-Idylle.

Anders gesagt: Das Vertrauen schmolz – und man schuf sich »alternative Fakten«. Eine ganze Generation wurde wie Carter zu Kindern von Watergate erzogen. Sie stellten ihren Glauben an jene ein, die die Nation führen sollten, verloren den Respekt vor den Autoritäten. Manche entpolitisierten sich ganz und gar. Die nachfolgenden Jahrgänge nahmen viel von dieser Staatsverdrossenheit an. So sehr, dass sie nichts Kritikwürdiges an einer Wirtschaftslehre fanden, in der sie nie und nimmer als Gewinner angedacht waren. Der Verfall trieb Blüten. Die Idee eines Landes, in dem Tellerwäscher zwar nicht immer Millionäre, wohl aber zu einigermaßen lohnenswerten Wohlstand kommen konnten, so sie nur fleißig waren, wurde abgewickelt. Nichts lohnte sich mehr. Das Vertrauen zwischen Politik und Bevölkerung schmolz noch weiter.

Verschwörungswahn oder Tatsächliche Verschwörung der Eliten gegen die Allgemeinheit?

Die neue Ökonomie machte es wie gesagt noch schlimmer. Sie ist ja eigentlich als Nökonomie zu bezeichnen, die sich weigerte, die Prozesse innerhalb einer stark dynamisierten, mehr und mehr finanzkapitalisierten Wirtschaft, als staatlich regulierbar einzuordnen. Die Reagonomics schoben das große Misstrauen an, »Die Abwicklung: Eine innere Geschichte des neuen Amerika« von George Packer skizzierte diese Entwicklung wortgewaltig und mit einer gewissen erzählerischen Spannung. Man darf sich über die Verschwörungstheoretiker, die die Straßen der Vereinigten Staaten offenbar im Griff und synchron dazu sogar einen eigenen Präsidenten im Amt haben, nicht mehr wundern. Sowas kommt von sowas.

Die Eliten haben sich mit einer Ideologie der Ungleichheit, einer Ökonomie des Unausgeglichenheit und einer Triebfreude an der Ausbeutung der Schwächeren zu einer Verschwörung verabredet. Das ist nicht bildlich gemeint, nicht so, wie es Verschwörungsjünger oft meinen. Man spricht sich nicht bei einer Sitzung ab. Es entwickelt sich. Bis es normal ist. Und dann hält man daran fest. Wider aller Argumente und Fakten, die gegen diesen Kurs sprechen. Das Festhalten ist die Verschwörung. Das Vertrauen in die, die für die Allgemeinheit im Einsatz sein sollten, schwindet währenddessen weiter. Wird zum neuen Watergate. Ohne Hotel. Ohne Einbrecher und Deep Throat. Aber mit denselben Konsequenzen für die Gesellschaft. Man wendet sich ab, sucht Alternativen. Verschwört sich gegen das allgemeine Bild, das man uns vermittelt.

Kurz und gut: Man wird zum Verschwörungstheoretiker gemacht. Dazu sozialisiert – was schon ein ulkiges Wort für einen Umstand der eigentlichen Entsozialisierung ist. Sprechen wir doch zunächst mal darüber, bevor wir über Verbote von Fake News sprechen, bevor wir Verschwörungscliquen als Spinner und Wirrköpfe titulieren. Sprechen wir davon, wie man Menschen aus der Vertrauensbindung nimmt und sie sich neu orientieren. Oft in die falsche Richtung, oft psychotisch – keine Frage. Es fehlt eben an Sinnstiftung in einer Kultur, in der enggeschnallte Gürtel und ewige Wettbewerbsfähigkeit die einzigen angeordneten Ziele sind.

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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