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Tragische Helden wie wir

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Lieferanten: Sind Helden. Pfleger und Ärzte auch. Leute an der Supermarktkasse: Helden. Unsere »Helden vom Acker« fanden auch schon Berücksichtigung. Diese triste Zeit scheint zu einem wahren Heldenepos zu werden. Gemacht von Applaushelden.

Der Held ist so ein menschliches Ding. Keine Zivilisation ohne ihn. Die Helden der alten Griechen wurden zu Göttern – oder Götter wurden zu Helden. Beides bedingte sich. Rom machte Feldherren zu Helden; so sehr, dass bei Triumphzügen die heldenhaft Gefeierten einen Sklaven an ihrer Seite benötigten, der ihnen ins Ohr flüsterte, sie mögen trotz des Jubels nicht vergessen, dass sie letztlich nur ein Mensch seien. Im Mittelalter wechselten sich Könige, Ritter und Märtyrer als Helden ab. Später gedachte man der Philosophen und Aufklärer als Helden; noch später den Industriellen und den Kapitalisten – von Manchester bis Palo Alto.

Heldenhaft war im Jahrhundert großer Weltkriege dann jeder, der sein Land verteidigte. Das verklärte den Schrecken des Krieges, die herausquillenden Gedärme und die schmerzerfüllten Schreie junger Männer. Der Held des Wirtschaftswunders war dann der unfähige Ökonom aus Fürth, der aber gut Zigarre paffen konnte. Die Nachkriegsliteratur hatte nach all dem Kriegsheldentum dann den Antihelden für sich entdeckt; einen irgendwie nicht ganz zielgerichteten, nicht eingepassten Zeitgenossen, der nicht wusste wohin mit sich in der Welt. Der Antiheld hatte bis neulich regen Absatz gefunden, nur wenige Filme oder Serien kommen ohne ihn aus, Walter White war jedenfalls kein klassischer Hero. In den letzten Jahren wächst aber das Heldische wieder an. Im Alltag nämlich. Dahinter steckt aber nichts Edles – dahinter steckt Verklärung und Vertuschung.

Helden von heute, Trottel von morgen – und gestern

Als ich vor einigen Tagen bei YouTube guckte, empfahl man mir die »Helden vom Acker« zu gucken. Gemeint sind dabei jene Leute, die bis vor drei Jahren noch nicht mal den Mindestlohn erhalten haben, weil sie ja von ihren Dienstgebern Kost und Logis in Anspruch nahmen. Spargelsuppe in Containern als Teil des Lohnes: Das kam oft vor. Jetzt aber, da der Spargel im Feld zu bleiben drohte, man sogar wie im guten alten Kuba zur Erntehilfe aufrief, gedachte man der Feldarbeiter und verbrämte ihr hartes Tagwerk als etwas Heldenhaftes.

Zeitgleich lobte man auf ähnliche Weise Kassierer und überhaupt Angestellte der Supermärkte, die schnell wieder das Klopapier in jene Regale räumen, die vorher von den Kunden wüst geplündert wurde. Das seien die Helden der Corona-Krise, sie versorgen uns schließlich. Wie die Post- und Paketboten: Auch sie sind für uns da, machen das Zuhausebleiben einfacher. Lieferhelden seien das: So nennt man Pizzaboten ja schon seit geraumer Zeit, eine Bestell-App hat den Begriff gebräuchlich gemacht. An Pflegekräfte, die jetzt sogar als Pflegehelden firmieren, muss man ja wohl nicht extra erinnern.

All die zu Trotteln erklärte Gruppen von gestern, auf die unsere liberale Gesellschaft gepfiffen hat, bekommen jetzt einen Orden angeheftet. Schon vorher verrichteten sie unter erschwerten Bedingungen ihre Arbeit. Und als was galten sie? Nicht etwa als Helden, sondern als unzuverlässiges Personal, für das man wenig übrig hatte. Ja noch nicht mal ein nettes Wort, wie viele Supermarkt-Kassiererinnen immer wieder mal kundtaten. Wir haben uns als Gesellschaft so sehr vom Wert menschlicher Arbeitskraft entfernt, dass wir nichts daran fanden, die investierte Kraft anderer Menschen verächtlich abzutun.

Jetzt aber, wo das blanke Entsetzen wütet, wirft man sich jedem an den Hals, der etwas tut, was einem momentan persönlich nützt. Die Arbeit dieser Leute wird existenziell. Nicht etwa für die Arbeitskräfte selbst, die sonst trotz ihrer schweren Arbeit ums Überleben kämpfen müssen. Nein, für die, die die Arbeit in Anspruch nehmen. Der Überschwang wird zum einschleimenden Ausdruck einer Haltung, die schnell hochhebt – und ebenso schnell wieder vergisst.

Heldenhafte Pathetiker von heute, Gleichgültige von morgen – und gestern

Helden sind aber nicht nur Berufsgruppen, die uns jetzt noch versorgen, während alles andere heruntergefahren ist. Alle sind wir Helden. Denn nie war es so einfach ein Held zu sein – mit dem Spruch macht man den Menschen das heimische Sofa, das Daheimbleiben schmackhaft. Wer wollte nicht ein Held sein? Irgendwie scheint es da einen irrationalen Reflex zu geben, wonach jeder Mensch nach Heldischem strebt. Dabei sieht die Realität viel banaler aus. Menschen wollen Respekt und Anerkennung. In unserer kapitalistischen Welt zeigt sich das unter anderem durch faire Bezahlung.

Heldenmut aber wird gratis angedichtet. Man nutzt das Heroische als Stilmittel aus, um zu verklären und abzubügeln. Der zum Helden Erkorene wird beschwichtigt, mit Idealismus eingelullt. Statt fairer Arbeitsbedingungen gibt es Romantizismus und schwärmerische Ausflüchte. Und da wir alle Helden auf die eine oder andere Weise sind, anders als zu Urzeiten, da das Heldische auserwählten Kreisen vorbehalten war, flüchten wir uns in ein illusorische Gesellschaftsbild.

In diesem Eskapismus kommen wir alle nicht als fair behandelte Protagonisten vor, sondern als mit Attributen aufgeladene Kreaturen, die sich selbst einreden mehr zu sein, als die Gesellschaft bereit ist, uns als Werktätigen zu geben. Morgen sieht die Nummer dann vielleicht schon wieder ganz anders aus. Dann sind diejenigen, die heute Heldenverehrung erleben, wieder diejenigen, die den Unmut der emsigen Hochfrequenzgesellschaft ausbaden dürfen. Für ihre Sorgen herrscht dann nur Gleichmut.

Helden zu kontruieren ist zwar eine verlogene Marketingstrategie, sie birgt aber natürlich auch ein wenig Wahrheit. Im Held schlummert ja meist auch die Tragik. Wallenstein wurde letztlich doch erstochen und Batman mag ja technischen Firlefanz und Geld haben, aber sein Privatleben wird stets leer und einsam skizziert. Ob nun Acker-, Pflege- und Lieferhelden oder Helden der heimischen Couch: Wir haben es mit tragischen Helden zu tun. Wenn es gleich klingelt und der Bote bringt ein Päckchen in den vierten Stock, dann tut das kein Held in schillernder Rüstung, sondern wir nehmen die schlecht entlohnten Arbeitskraft eines tragischen Helden in Anspruch. Was er braucht ist kein Applaus, sondern einen Ausweg aus seiner Tragik.

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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