8.8 C
Hamburg

Corona und Politik: Denken, stillgestanden!

Published:

Hinterher ist man immer schlauer. Oder auch nicht. Die Politik der Bundesregierung demonstriert seit Monaten, dass wachsende Informationen nicht zwingend zu neuen Erkenntnissen und Handlungen führen müssen.

Seit Wochen wird über die Maskenpflicht diskutiert. Zunächst schien sie überflüssig oder sogar schädlich zu sein, dann unverzichtbar, und nun bewegen wir uns irgendwo in der Mitte beider Positionen. Die Maskenpflicht also, sie ist jetzt der nächste Gradmesser für den sogenannten Erfolg der „Maßnahmen“. Dabei ist sie – zwar politisch und medial hochgekocht – nur ein Nebenkriegsschauplatz.

Maßnahmen und Meinungen – in Stein gemeißelt

Die derzeitige Lockerung der Maßnahmen wird wohlweislich von der Politik als höchst riskantes Unterfangen kommuniziert. Möglich, dass das stimmt, unmöglich, dass es sich anders verhält. Die Tatsache, dass Kanzlerin Merkel schon im Vorfeld eine

Öffnungsdiskussionsorgie

verhindern wollte, spricht eine klare Sprache.

Alternativen zur Alternativlosigkeit? Undenkbar! Dabei glänzt die Bundesregierung im Wesentlichen durch Unwissenheit, Ignoranz und Planlosigkeit. Und damit sind nicht die Masken gemeint, die derzeit so leidenschaftlich diskutiert werden. Merkel und ihre Mitstreiter haben das Denken weitgehend eingestellt, sie haben sich ein paar „Lieblingswissenschaftler“ zusammengeholt und lassen diese in stetigen Wiederholungen predigen, was vor ein paar Wochen oder Monaten (womöglich) noch richtig war.

Neben dem „Star“ Christian Drosten hat sich in letzter Zeit auch die Virologin Melanie Brinkmann den Ehrentitel „Hofberichterstatterin“ erarbeitet. Um sie soll es jetzt kurz gehen, wenn auch nur stellvertretend für eine Politik, die sich für den Stillstand nach dem Lock Down entschieden hat.

Alles bleibt, wie es ist?

Am 12. Februar 2020 erklärte Brinkmann in einem Video, dass Covid-19 auch durch Schmierinfektion übertragen werden kann.

Prof. Hendrik Streeck, ebenfalls Virologe, sagte bei Markus Lanz am 31.März 2020 dagegen, dass er keinen Nachweis für die Übertragung von Covid-19 mittels Schmierinfektion nachweisen konnte.

Dieser Widerspruch ist an sich kein Problem. Zwischen Anfang Februar und Ende März lag eine gefühlte Ewigkeit, man kann also Melanie Brinkmann keinen Vorwurf daraus machen, dass sie in ihrem Video einer Fehlinformation erlag. Man kann nicht einmal unterstellen, dass es überhaupt eine solche Fehlinformation war, denn bis heute ist – zumindest meines Wissens – diese Frage nicht abschließend geklärt.

Das Beispiel zeigt aber deutlich auf, was schiefläuft in der Politik. Streeck etwa ist für die Bundesregierung offenbar kein angemessener Gesprächspartner (von anderen Wissenschaftlern, die nicht „auf Linie“ sind, ganz zu schweigen), er darf seine Haltung und seine Erkenntnisse höchstens mal bei Markus Lanz kundtun, ansonsten ist er nicht sehr gefragt. Brinkmann dagegen lächelt uns von allen erdenklichen Medien aus an und erklärt, charmant und mütterlich zugleich, dass alles so bleiben müsse wie beschlossen, dass ein Ende oder auch nur der Gedanke an ein Ende der Lockerungen fatal wäre.

Derweil ist es Streeck, der in Heinsberg viel gearbeitet hat und an der Erstellung einer repräsentativen Studie mitwirkt. Eine solche Studie, so sie denn wirklich repräsentativ ist, könnte zu Informationen führen, die uns einen großen Schritt weiter im Kampf gegen das Virus brächten.

Doch die Bundesregierung zeigt zwar oberflächlich Interesse, hat aber selbst noch nichts getan, um solche repräsentativen Ergebnisse zu liefern. Sie diskutiert stattdessen lieber die Maskenpflicht und die Frage, wie sie warum, wann und wo in welchem Umfang eingeführt werden soll. Und natürlich müssen auch die Ministerpräsidenten ihren Senf dazugeben, die ihrerseits natürlich Tag und Nacht über Schutzmasken nachdenken.

In der Zwischenzeit kommen immer mal wieder neue Informationen zum Vorschein. Aber wen schert das schon?

Die Maßnahmen haben geholfen! Die Maßnahmen haben geholfen?

Wie gesagt: Hinterher ist man immer schlauer. Zumindest, wenn es ein konkretes Hinterher gibt. Im Falle der von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen kann man auf die Idee kommen, dass ja nach deren Inkrafttreten die Fallzahlen tatsächlich zurückgingen.

Nur ist dem gar nicht so. Tatsächlich waren schon Tage vor dem Inkrafttreten der Einschränkungen durch die Bundesregierung die Fallzahlen auf einen Reproduktionswert von leicht unter 1 zurückgegangen. Der magische Wert also, den die Bundesregierung angestrebt hatte, war schon vor den Maßnahmen erreicht. Es war einmal mehr Hendrik Streeck, der darüber sinnierte, dass womöglich die Absage von Großveranstaltungen ausgereicht habe, um den weiteren Verlauf spürbar positiv zu beeinflussen.

Streeck betonte, dass er nicht weiß, ob es sich so verhält, wollte es aber auch nicht ausschließen. Man weiß es also nicht, aber man weiß so vieles nicht.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) aber wusste es, denn es waren die RKI-Zahlen, die das Magazin „Multipolar“ als Grundlage für einen sehr lesenswerten Artikel verwendet hat.

Und die Bundesregierung? Hatte sie keine Ahnung über diese Zusammenhänge? Oder hatte sie sich – was eher zu vermuten ist – so sehr in die Einschränkungen „verknallt“, dass sie damit gar nicht wieder aufhören wollte? Ein Zeichen geistiger Beweglichkeit wäre es zumindest gewesen, wenn sich die Politik einmal damit beschäftigt hätte, was da zutage trat. Und in der Folge die eigenen Handlungen überdacht hätte. Womöglich hätte das zu einer konstruktiven

Gedankenorgie

geführt. Aber lassen wir das mit den Konjunktiven.

„Wir sind gut vorbereitet.“

Das Problem der Politik im Umgang mit Corona ist der Unwille, die gedankliche Richtung zu wechseln, wenn es notwendig oder sinnvoll erscheint. Angeblich waren wir von Anfang an auf das, was da kommen würde, vorbereitet. Allein diese Impertinenz schreit zum Himmel. Niemand (hoffentlich) wusste, was da auf uns zukommt, insofern mag die Behauptung, wir seien darauf vorbereitet, psychologisch nachvollziehbar sein. Haltbar ist sie keinesfalls, und die Reaktionen der Politik untermauern das eindrucksvoll.

Es wäre in einer Situation wie der jetzigen dringend nötig, immer wieder die Informationen zu verarbeiten und das eigene Handeln zu hinterfragen. Und dabei geht es um weit mehr als die bisher genannten Zahlen. Es geht auch um die gesellschaftlichen Verwerfungen, die psychischen Belastungen von Menschen, die Einsamkeit und die Isolierung, die schon für sich genommen zu einer Schwächung des Immunsystems führen, die also krank machen. Einmal mehr stellt sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit, und einmal mehr wird die Antwort darauf immer schwieriger. Es sei denn, man beharrt auf seinem Standpunkt und blendet alles, was an Erkenntnissen und Faktoren hinzugekommen ist, einfach aus.

Und so beschäftigen sich Spahn, Merkel und die Ministerpräsidenten weiter mit der Frage, wer welche Masken bekommt und wo sie – wenn überhaupt – getragen werden müssen. Zur Lösung der Gesamtproblematik trägt das nicht bei, eher zu weiterer Verunsicherung, zur menschlichen Isolierung und zum Denunziantentum.

Auch die repräsentative Studie, die so wichtig wäre, dümpelt in den Gedankengängen einiger weniger, die auf den weiteren Verlauf aber keinen Einfluss nehmen können. Die Bundesregierung jongliert mit Begriffen wie Fallzahlen, Reproduktionsraten, Mortalitäts- und Letalitätsraten, Dunkelziffern und – natürlich – Maßnahmen. Diskutieren will und wird sie darüber nicht, denn „Öffnungsdiskussionsorgien“ – das haben wir von Merkel gerade gelernt – will sie nicht. Und repräsentativ? Was soll das denn sein?

Auf der einen Seite hören wir fast täglich aus irgendeinem Munde „Ich bin ja nun kein Wissenschaftler, sondern Politiker“, auf der anderen Seite sind es dieselben Stimmen, die nicht bereit sind, die ganze Breite und Vielfalt der Wissenschaft, also auch andere Richtungen als der Virologie, zu nutzen. Was nötiger denn je wäre. Bis auf wenige Ausnahmen werden die Einschätzungen einiger weniger Wissenschaftler gehört, andere dagegen spielen bei den Entscheidungsfindungen der Bundesregierung keine Rolle. Dabei müssten nicht einmal alle gehört werden, es würde reichen, unterschiedliche Perspektiven zuzulassen und dann entsprechend die politisch notwendigen Entscheidungen zu treffen.

Doch dafür wäre es auch vonnöten, dass die eigene Haltung eben nicht in Stein gemeißelt ist, dass sie sich ändern kann, ja, muss, wenn die Rahmenbedingungen und die Informationslage es tun. Damit ist aber wohl nicht zu rechnen, denn – und das kann ja niemand wollen – sonst haben wir irgendwann womöglich noch

Rahmenbedingungsdiskussionsorgien.

Gott bewahre!

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

Related articles

spot_img

Recent articles

spot_img