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1984 mit’m Mundschutz

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Wonach man sich jetzt sehnt: Eine Corona-App zur Ortung von Infizierten und ihren Angehörigen. Die soll aber anders als jene sein, die in China Verbreitung fand. Rechtsstaatlicher nämlich. Ach ja?

Dass in einem Land, in dem schon zu gesunden Zeiten Datenschutz nicht nur nicht geachtet, sondern auch noch als staatsfeindliche Idee betrachtet wird, jetzt spielend digitale Pandemiekontrolle betrieben werden kann, verwundert eher nicht. In China wird man ohnehin stets durchleuchtet und nach digitalen Ratingparametern kategorisiert, da spielt eine Covid-19-App kaum noch eine Rolle. Dass am Ende jeder Chinese weiß, ob in seiner Nachbarschaft jemand erkrankt ist, gehört da polemisch formuliert zum Lebensgefühl.

Bei uns sieht das anders aus. Seit knapp zwei Jahren hat der Datenschutz eine noch viel größere Rolle in unserer aller Leben eingenommen. Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) hat unser Bewusstsein geprägt, jede Erhebung eines Datenfitzelchens muss seither genehmigt werden. Man hat als Europäer also die Herrschaft über seine individuellen Daten inne. Da mal eben eine Corona-App einzuführen: Das verstößt »gegen alles, woran wir als Verbraucher glauben« – dramatisch und abermals polemisch ausgedrückt. Ein rechtsstaatlicher Gebrauch ist indes gar nicht denkbar.

36 Jahre später: 1984 mit’m Mundschutz

Schon eine ganze Weile her, dass wir in einem Überwachungsstaat angelangt waren. Nein, ich meine jetzt nicht die DDR. Die ist gegen das, was die digitale Überwachung heute zu leisten vermag, ein primitiver Voyeursklub geblieben. Gemeint ist an dieser Stelle Orwells Dystopie. Jene, die er im Jahr 1984 ansiedelte. Der britische Autor konnte sich gar nicht vorstellen, welche Möglichkeiten uns heute zur Verfügung stehen. 36 Jahre nach jener Zeit, die Orwell als Topos wählte, stehen wir im Augenblick vor einem Überwachungsalptraum par excellence.

Die Handydaten zwecks Ortung einfach abgreifen: Davon kamen die Krisenmanager, kam namentlich Jens Spahn, vor einigen Tagen schnell wieder ab. Datenschützer liefen Sturm, was offenbar noch beeindruckte. Aber so eine App: Das wäre doch eine ganz andere Kiste! Da müsste jeder Nutzer ein Häkchen unter die Datenschutzbestimmungen machen und schon ist er einverstanden mit der Nummer. Nicht ganz doof, denn nach diesem Prinzip funktioniert die DSGVO ja auch – sie schützt ja an sich wenig, verlangt aber viel Einverständnis um Rechtssicherheit herzustellen.

Datenschützer haben letzte Woche klargestellt, dass man nicht grundsätzlich gegen eine solche App sein müsste. Freiwillig müsste es halt bitte bleiben. Aber das ist doch der Witz des Monats: Wenn man eine solche App verwirklicht sehen will, dann kann das doch gar nicht auf Freiwilligkeit basieren. Dann möchte man schließlich Lückenlosigkeit realisieren und nicht auf die Laune derer angewiesen sein, die man überwachen will. Nur mit einem Corona-App-Zwang macht die ganze Chose Sinn.

Jauch und Co.: Werbeträger für die App?

Freiwilig soll auch die App PEPP-PT sein. Sie personalisiert auch nicht, versprechen die Geeks, die sie entworfen haben. PEPP-PT schlägt nur aus, wenn man sich in der Nähe eines Corona-Herdes befindet. Wohlgemerkt, wir sprechen von Menschen, von kranken Menschen. Wenn einer an einem vorbeihuscht, der diese App freiwillig auf seinem Handy hat, gibt es Alarm. Was das mit den Dynamiken auf den Straßen macht, kann man sich ausmalen. Das forciert Panik, ebenso leicht auszudenken, dass man dann einen Sündenbock sucht, vielleicht den Obdachlosen von da drüben, der sieht schließlich krank aus, komm, den bewerfen wir mit Steinen, die Sau! Selber schuld!

Man sieht aber schon, wie naiv die Idee ist, dies alles auf Freiwilligkeit basieren zu lassen. Nein, man wird die freiwillige Zustimmung bei der Installation der Corona-App belassen, die aber in ein gesetzliches Korsett verpflichtender Nutzeranwendung betten. Man wird mit der Pistole auf der Brust fragen, ob man damit einverstanden ist. Nur auf diese Weise hätte man davon auch was.

Klar, natürlich kann man auch Kampagnen einrichten, die zu freiwilliger Installation raten. Es gibt immer genug Promis, die sofort bereit sind, für ein Ministerium ihre Visage in ein Kameraobjektiv zu strecken. Kaum hieß es, man solle daheim bleiben, schielte einen Günther Jauch von den Plakaten und Videowänden dieser Republik an. Hashtag-Wir-bleiben-zuhause und so. Mag die Absicht dahinter edel, auch in gewissen Bahnen richtig sein: Es gibt in diesem Land immer besonders wichtige Figuren, die ihre Staatstragenheit ungeniert anbieten. Warum also nicht auch, wenn es um die Apps aller Apps geht, um die Lebensretter-App, die digitalisierte Gestapo? #MielkeZumMitmachen

Ein Chip wird kommen …

Nein, es ist arglos und gutgläubig, wenn man davon ausgeht, die ganze Geschichte ginge als freiwilliger Akt über die Bühne. Kann ja sein, dass momentan jeder zweite Bundesbürger bereit dazu ist, seinen Verstand aufzugeben, um sie einer solchen Corona-App zu übertragen. Aber Apps sind schnell geladen und noch schneller wieder gelöscht. Wenn die Stimmung kippt, dann ist das Projekt des digitalen Mitmachüberwachungsstaates in Gefahr. Wenn die Anwender sie löschen: Was dann? Ich wiederhole mich: Das muss aus Sicht der Überwacher als Pflicht kommen – sonst ist das alles für die Katz‘.

Als nächster Schritt folgt dann natürlich die Pflicht, ein Mobiltelefon mit sich zu führen. Was nützt es, wenn man die Leute zum Download zwingt, die aber das Handy daheim liegen lassen? Wer das tut, macht das natürlich absichtlich, denn wie jeder weiß, ist das Handy eigentlich ein Körperteil. Wer es in so einer Situation nicht am Körper hat, der ist Saboteur.

Dumm nur, dass wir als moderne Hybridprimaten gewissermaßen lose Körperteile haben. Am besten wäre es da, wenn man nichts vergessen kann, weil man es fest am, ja im Körper trägt. Man sagt zwar oft, man habe seinen Kopf vergessen – aber das ist nur eine Metapher. Den vergisst niemand. So ein subkutaner Chip wäre natürlich grandios, da muss man nichts erzwingen. Nur halt die Implantierung. Wenn die allerdings erledigt ist, kann die Digitalisierung beginnen. Und Günther Jauch wird uns passend dazu von Plakaten zulächeln und sagen: Mach mit – mit’m Chip. Und dann sehen wir seine OP-Narbe am Handrücken, die nicht richtig verheilt, weil er immer noch zuhause sitzt und sich nicht mehr raustraut.

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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