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Dürfen Wissenschaftler eine Meinung haben?

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Drosten oder Wodarg, wer hat recht? Während Christian Drosten seit Wochen durch die Talkshows tingelt und erster Ansprechpartner für die Politik ist, meldete sich Wolfgang Wodarg via Internet zu Wort. Was die beiden zu sagen hatten, hätte unterschiedlicher nicht sein können.
Aber wer hat recht?

Um es vorweg zu nehmen: Ich weiß nicht, ob Drosten oder Wodarg richtig liegt. Ich kann auch nur bedingt dem folgen, was ein Meteorologe sagt, selbst wenn er es mir in einfachen Worten erklärt. Zu Chemikern halte ich auch dann Distanz, wenn wir mit keinem Virus zu kämpfen haben, und wenn mir der Kfz-Mechaniker erklärt, was mit meinem Gefährt nicht stimmt, schaue ich ihn ehrfurchtsvoll und mit großen (fragenden!) Augen an.

Bei Herrn Drosten und Herrn Wodarg ist das nicht anders. Ich bin beeindruckt ob ihrer fachlichen Expertise, gleichwohl ich die natürlich auch nur sehr eingeschränkt beurteilen kann. Und ich bin verwirrt wegen ihrer Meinungsverschiedenheiten.
Einerseits.

Andererseits könnte man auch die Frage stellen, warum Wissenschaftler nicht unterschiedlicher Meinung sein sollten. Wir sprechen hier ja nicht über die Frage, ob 2 + 2 = 4 ist (auch wenn bereits das äußerst komplex sein kann, wie uns George Orwell beigebracht hat). Es geht hier vielmehr um die Einschätzung eines Virus, das auf der Welt sein Unwesen treibt. Oder eben auch nicht.

Ich würde mich gerne auf eine Seite schlagen, mit dem größten Vergnügen auf die von Wodarg, weil die einfach beruhigender ist. Aber ich kann das nicht, fühle mich dem einfach nicht gewachsen.

Was ich aber sehe, ist die Heftigkeit, mit der allgemein auf Wodarg eingeprügelt wird. Seine Einschätzung sei falsch, sagen die einen. Er verbreitet nicht weniger als Fake News, monieren die anderen. Drosten dagegen gilt als unaufgeregt und neutral.

Täuschen können sich beide, richtig liegen ebenfalls. Drosten sagte vor kurzem in diesem Zusammenhang etwas, das wir uns alle einprägen sollten: Dass er sich irren kann, und dass seine Einschätzung von heute schon morgen oder nächste Woche anders lauten kann. Er sagte das mit einer Selbstverständlichkeit, die wohl nur Wissenschaftler so offen aussprechen.

Und das ist ja auch der Punkt. Auch Wissenschaftler dürfen eine Meinung haben, wenn die wissenschaftlichen Antworten nicht eindeutig sind. Aber, so könnte man einwenden, was Drosten sagt, ist doch wissenschaftlich eindeutig. Die Wodarg-Befürworter könnten dieses Argument auch spielend leicht für sich in Anspruch nehmen.

Ich tendiere inzwischen dazu, beiden zuzuhören. Weil beide etwas zu sagen haben, auch wenn ich nicht beiden zustimmen will oder kann.

Was ich kann, und was ich tue: Ich hoffe, dass Wodarg recht hat, auch wenn ich fürchte, er könnte sich irren. Aber was er kann (oder Drosten), kann ich schon lange: mich irren.

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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