Autos werden immer größer. Kinderwägen auch. Nur Wohnungen werden kleiner. Das ist doch eine erstaunliche Entwicklung. Andersherum wäre es doch sinnvoller – auch gemeinsinniger. Auf die Größe kommt es an: Das verrät viel über unsere Zeit.
Manchmal nehme ich als Erwachsener die Welt noch wie ein Kind wahr. Nun gut, vielleicht nicht so verspielt und phantasievoll. Nein, eher so aus der Perspektive eines kleinen Wesens, das in eine Welt der Großen geraten ist. Oder in eine Welt der Größe. Der Gigantomanie sogar. Als Bengel waren alle die Stühle zu hoch und die Bücher zu breit. Dann kam eine Zeit, da wuchs man und die Welt schrumpfte. Sie schrumpfte sogar immer weiter. Nicht wegen meines Wuchses, irgendwann hörte ich damit auf – jetzt wuchs nur noch der Bauch. Aber alles andere wurde kleiner, der Minimalismus war plötzlich trendy.
Nicht etwa ein Minimalismus in der Haltung, im Benehmen oder Auftreten etwa. Großkotz blieb Zeitgeist. Aber die ersten Mobiltelefone waren ja noch Telefonzellen, die man sich mit viel Mühe ans Ohr halten konnte. Dann wurden die Dinger immer winziger. Auch Autos speckten ab. Zuweilen packten Nike und Adidas ihre überteuerten Schuhe in Kartons, die größer waren als ein Smart. Lilliput ist allerdings wieder out. Heute zeigt man Größe. Zumindest auf der Straße. Da wird es eng und uns wächst die Statussymbolik über den Kopf. Fern der Straße sieht es da ganz anders aus.
Autos, Kinderwägen, Regenschirme, Mobiltelefone
So ein Buggy zwecks Kleinkindbeförderung war mal der letzte Schrei. Die Dinger waren ja auch praktisch. Waren zusammenklappbar und nahmen auch in der Bude nicht viel Platz weg. Mittlerweile haben Mütter und in Elternzeit abgestellte Väter aufgerüstet. Sie kariolen ihr Sonnenscheinchen mit Kampfkinderwägen durch die Landschaft. Mit riesigen Schlachtschiffen, in denen sich der Nachwuchs verliert. Mancher Fratz ging darin schon verloren und kam erst kurz vor der Einschulung wieder zum Vorschein. Diese Kolosse lassen sich freilich auch gut als Waffe nutzen, speziell in öffentlichen Verkehrsmitteln, um der Oma schneller in die Bahn zu verhelfen.
Da ja nun auch die Autos gemeinhin größer werden und der Run auf Smart-Modelle eine spleenige Randnotiz der späten Neunziger darstellt, muss so ein Kinderwagen gar nicht mehr zusammenfaltbar sein. Diese ungelenken Monstren, in denen die kleinen SUV-Fahrer von morgen dösen, nuckeln und quäken, kann man quasi so in den Kofferraum stellen. Gleich neben Opas Rollstuhl und der neuen Kühl- und Gefrierkombination von Bauknecht, die man sich gleich zum Mitnahmepreis einpackte.
Was die Verniedlichung von Alltagsgegenständen durch Minimierung der Größe betrifft: Bei Mobiltelefonen war das auch mal ein Riesenthema. In den Neunzigern hielt man sich noch Klötze im Telefonzellenformat ans Ohr. Das heißt, wenn man das überhaupt tat – denn damals waren noch längst nicht alle Leute so extrem wichtig, als dass sie sogar auf der Straße telefonieren mussten. Man überlegte sich sehr genau, ob man als Grenzdebiler betrachtet werden wollte. Dann wurden die Teile immer kleiner, man bewunderte die Kunst des Minimalen, lobte die technischen Möglichkeiten, eine Rechenleistung auf wenigen Milli- ja Mikrometern anbieten zu können, die zehnjährigen Personalcomputern seinerzeit noch nicht zur Verfügung stand.
Living in a box: 30 Quadratmeter reichen
Heute sind die Telefone wieder groß, gut sichtbar – besonders gut vorzeigbar. Das Smartphone heißt nur so – es ist größer als die Geräte, die es vor ihm gab. Im Grunde läuft das beim Handy wie bei fast allem, was wir vor unsere Haustüren schaffen. Ja, nicht mal Regenschirme werden kleiner. Ganz persönlich habe ich das Gefühl, dass sämtliche Leute bei Regenwetter ihre Sonnenschirme zweckentfremden. Denn sie nehmen den ganzen Gehsteig mit überdimensionierten Regendächern in Beschlag, hauen einem dabei schnodderig die Schirmecken ins Gesicht. Sie selbst stehen allerdings meterweit vom Geschehen weg, irgendwo im Zentrum der Überdachung. Ganz so, als hätten sie damit nichts zu schaffen.
Wahre Größe, Ware Größe. So gut wie alles wird größer. Der Gigantismus feiert fröhliche Urstände. Von wegen wir haben die Grenzen des Wachstums erreicht. Stimmt doch gar nicht. Es wächst sich doch so vieles aus. Jedenfalls dann, wenn man es nach Außen trägt. Das Mobile wird immer größer, nimmt Platz in Anspruch. Ob nun der fahrbare Untersatz für Kind und Autofahrer, die zu mobilen Immobilien modifiziert wurden – oder aber das Mobiltelefon und das mobile Dach für Schlechtwetter: Im öffentlichen Raum zeigt man was man hat. Auf die Größe kommt es eben doch an.
30 Quadratmeter reichen hingegen als Wohnraum aus. So erklärte uns das vor einigen Jahren die damalige Umweltministerin Hendricks. Die Menschen würden nämlich ihr Leben nach Außen verlagern. Sie arbeiten, machen Sport, treffen sich mit Freunden und gehen nur noch zum Schlafen heim. Wer hat heute noch Gäste? Wer lädt noch zum Abendessen ein? Man geht in die Kneipe, sitzt im Sommer, in denen es nachts noch knapp 30 Grad hat, beim Italiener auf der Terrasse. Für was also Platz verschwenden? Außerdem gibt es für jedes Platzproblem heute eine Lösung. Man muss nur einen Blick in den Ikea-Katalog werfen. Gibt doch ohnehin nur noch Singles!
Was doch alles ins Handschuhfach passt!
Tatsächlich häufen sich die Angebote knappen Wohnraums. Es gibt einige Projekte, in denen sich meist junge Leute minimalistische Zimmerchen anmieten und eine Küche und das Klo teilen. Mampf und Schiss als sozialer Kitt. Auch in Mode bei Neubauten: Ein-Zimmer-Wohnungen. Living in the box: Auch wenn man die damalige Ministerin für ihre Kleinkariertheit angriff, die Tendenz moderner Wohnungsarchitektur ist eindeutig. Sie spart Platz – sie ist aber nicht platzsparend. Letzteres wäre sie, wenn sie Nischen für Schränke einplante, Stauräume kalkulierte. Nein, sie spart woanders, sie spart sich den Platz für den Menschen, der dort unterkommen will.
Wohnraum ist teuer – alte Binse und als Wahrheit zutreffend. Aber ob man da etwas gesundschrumpft oder nicht viel mehr in Agonie, Melancholie und Krankheit reduziert, mag eine Charakterfrage sein. So ein Heim, in dem man keine Gäste empfangen kann, das nur noch Rückzugsort für einige Stunden Ruhe und Schlaf sein soll, dürfte jedenfalls nicht sonderlich gesundheitsfördernd sein. Im Zweifelsfall hat man einen SUV auf dem Parkplatz vor der Mieteinheit stehen. In dem ist dann mehr Platz als in der Koje. Wenn man nicht weiß, wohin mit den Klamotten, weil der Schrank schon voll ist: Im Handschuhfach findet sich sicherlich noch Stauraum.
Schon Erich Fromm hat uns ja empfohlen, vom Haben wieder zurück zum Sein zu finden. Nun bin ich kein großer Freund von Fromm – wie ich schon mehrmals kundtat -, weil er in gewisser Weise den christlichen Spagat zwischen Materialismus und Idealismus, zwischen Körper und Geist beibehält. Man muss sich aber nicht für eine Entität entscheiden, die conditio humana beinhaltet letztlich beides. Man ist und man hat. Man hat auch um zu sein – da kann man mit Plessner argumentieren. Wo es aus meiner Sicht problematisch wird, lax gesprochen: Wenn man ist um zu haben. Manchmal glaube ich, in einer solchen Zeit sind wir angelangt.
Die Extrovertiertheit des Habens
Und das nicht nur still und leise, sondern extrovertiert und lautstark. Man zeigt was man hat, um sagen zu können man sei. Man kehrt heraus, wie man die eigene Existenz untermauert: Mit Dingen – und in unserem Falle, mit großen Dingen, ja größer werdenden Dingen. Jeder soll sehen, wie ich unterwegs bin – also muss der Untersatz gut sichtbar sein. Alle sollen erkennen können, wie elterlich ich bin – aus dem Weg, ich brauche den ganzen Gehweg für mein Scheißerle!
Ich wiederhole mich, aber auf die Größe kommt es an. Mehr denn je. Man will gesehen werden. Denn nur wer gesehen wird, der existiert wahrhaftig in Zeiten, da man nur real ist, wenn man Marketing in eigener Sache unterhält. Wer fotographiert denn heute noch Urlaubsorte einfach so? Nein, man muss auf jedem Foto mit aufs Bild – sonst denken die Leute ja, man sei gar nicht da gewesen. Und wer nicht irgendwo war, der ist vielleicht noch nicht mal auf der Welt, gar nicht erst gezeugt worden, nur ein Hirngespinst. Dieser Minderwertigkeitskomplex dürfte so ziemlich das Grundgefühl unserer Zeit sein. Man gaukelt sich Selbstbewusstsein durch Selfies, Pflege der Außenwahrnehmung und Größenwahn vor.
Daheim ist man allerdings ein ganz kleines Licht. In einem ganz kleinen Heim. Warum die eigenen vier Wände aufblähen, wo man doch mit ihnen keinen Preis gewinnen kann? Das Home sweet home darf ruhig schrumpfen, denn in ihm findet ja nichts mehr Produktives statt. Produktiv im Sinne des Ego-Marketings. Es wäre Ressourcenverschwendung, wenn der moderne Mensch sich an seine Unterkunft verliert. Wir leben doch nicht mehr im Biedermeier! Klar, dass es letztlich ökonomische Faktoren sind, die diese Entwicklung forcieren. Andererseits zwingt niemand zu überdimensionierten Bau oder Kauf solcher Güter. Sie kommen aber an, weil sie dem Wesen der Zeit entsprechen.