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Na, wie gehts uns denn heute?

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Die Wirtschaft blickt wieder optimistischer in die Zukunft. Las man neulich, als das ifo-Institut mal wieder seinen Index präsentierte. Immer wieder diese Wasserstandsmeldungen. Mehr als Befindlichkeitsgewichse steckt hinter dem Index allerdings nicht.

Ich leide an einem Reizmagen. Im Laufe des letzten Silvesterabends ging es los. Gegurgel, Oberbauchdruck und Aufstoßen. Der Durchfall kam nachts, in den ersten Stunden des Jahres 2020. So zwischen Bett und Kloschüssel kam ich langsam zu der Einsicht, dass ich das nicht gemeint hatte, als ich auf ein gutes neues Jahr anstieß. Hätte man mich in diesen Stunden nach Zukunftsaussichten befragt, ich wäre nicht Herr meiner Sinne gewesen. »Das Jahr wird Scheiße!«, hätte ich gesagt. Und das nicht nur ein bisschen.

Wäre der Abend ein bisschen anders verlaufen, hätte mich ein heiterer Rausch aufgesucht, eine beschwingliche Alkoholnachwirkung ereilt: Bei einer solchen zukunftszugewandten Frage wäre ich vermutlich ganz anders an die Sache herangegangen. Zuversichtlicher. Optimistischer, wie man das im Fachjargon der Prognostiker nennt. Befindlichkeiten sind halt stets zu bedenken, wenn man Einschätzungen einholt. Der ifo-Geschäftsklimaindex tut das aber nicht. Er nimmt keine Rücksicht darauf, arbeitet aber nach demselben Prinzip wie mein fiktiver Fragesteller in der Silvesternacht, der mich auf dem Pott aufsuchte.

Günstiger, gleich bleibend oder ungünstiger?

Das ifo-Institut schreibt monatlich Manager und Unternehmensleitungen des Bauhauptgewerbes, des Großhandels und des Einzelhandels an. Sie sollen dann per Multiple Choice ihre persönliche Einschätzung der Geschäfts- und der Nachfrageerwartungen abgeben. Auf die Frage »Wie sind Ihre Geschäftserwartungen für das kommende halbe Jahr?« kann man dann zum Beispiel mit »günstiger«, »gleich bleibend« oder »ungünstiger« antworten. Zwar werden auch Fragen zur gegenwärtigen Situation gestellt, die werden aber von jenen, die die perspektivischen Fragen nach der Zukunft im Auge haben, subtrahiert – dieser Saldowert ist das zentrale Element des ifo-Geschäftsklimaindex‘.

Folglich kommt jenem Fragenkomplex, der mit der Erwartungshaltung für die Zukunft spielt, eine elementare Bedeutung bei der Berechnung dieser von Politik und Medien geschätzten Kennzahl zu. Das hat was von einem Orakel, von der Krake Paul – auch ein bisschen was von Glaskugel und Handlesen. Es geht also in erster Linie um Befindlichkeiten, die unsere Wahrnehmung und Einschätzungsgabe weitaus mehr beeinflussen, als wir uns das weithin eingestehen wollen.

Roland D. Gerste hat darüber erst kürzlich ein unterhaltsames Buch geschrieben. »Wie Krankheiten Geschichte machen« heißt es. Und nein, die Frau oben rechts auf dem Cover ist nicht Greta, die böse guckt – aber das nur nebenbei. Es geht in dem Buch darum, wie Krankheiten bei Königen und Präsidenten Reaktionen und Reflexe verursachten, das Denken dieser berühmt Erkrankten dominierten. Letztlich handelt es sich um eine Geschichte des Materialismus, denn nichts in dieser Welt ist einfach nur idealistisch oder ideologisch, ohne auch vom Handfesten, vom Körperlichen beeinflusst zu sein. Das platonisch-christliche Weltbild, in dem beide Entitäten säuberlich getrennt sind, erweist sich als Hirngespinst.

Hätte man also den gichtgeplagten, den am Zentralnervensystem geschädigten König Heinrich VIII. nach seinen Geschäftserwartungen gefragt, so hätte er selbst in einem klaren Moment eher nicht subjektiv geurteilt, sondern sich von seinem Zustand leiten lassen. Das ist nur menschlich. Es ist aber eher nicht wissenschaftlich, auf Grundlage so ermittelter Werte einen Index rauszuhauen, der dann auch noch für voll genommen wird.

Weicher Frühindikator: Befindlichkeitsindex von hohem Renommee

Der ifo-Geschäftsklimaindex gilt als wichtiger weicher Frühindikator der deutschen Wirtschaft. Man schätzt ihn, man zitiert ihn. Zu Mitte eines jeden Monats wird von ihm berichtet. Ob er fällt oder steigt, ob es Zuversicht oder Ängste gibt. Meist erhält er eine prominente Nennung in den Medien. Und kaum ein Medium, das ihn verschmäht. Nein, der Index ist eine kleine Institution, darüber hinwegzugehen gilt als Lücke in der Berichterstattung, die man sich nicht leisten kann. Die Diagnose wird wie ein Teil einer höheren Wahrheit behandelt, dem Mantra liberaler Wirtschaftspolitik beigefügt.

Wie er ermittelt wird, welches Gemisch aus Spekulation und persönlicher Befindlichkeit, aus Einschätzung und Eventualität, aber auch Kalkül und Manipulation in ihm steckt, ist dann schon eher kein Thema mehr. Höhere Wahrheiten hinterfragt man nicht. Das hat man sich von den Religionen abgeschaut, die fuhren lange Zeit gut mit dieser Losung.

Nun ist es ja nicht grundlegend nur die Befindlichkeit, die den Index zu einer Phantasiekennzahl macht. Man kann ihn ja auch gezielt manipulieren, die Wirtschaftsaussichten schlecht herbeibewerten, um gewisse Reformen oder politische Eingriffe anzuschieben. Denn auch die Politik glaubt dem Index unbesehen. Die Hohepriester seiner höheren Wahr- und Weisheit haben es auch ihnen eingeimpft: Der Index bildet einen ersten Ausblick ab, er ist ein Indikator mit Aussagekraft. Dass er oft danebenliegt, weil die Befragten ihre Stellung in der Wirtschaft betriebsblind zur Grundlage nahmen, schenkt man sich. Teile der Wahrheit über den Index könnten die Öffentlichkeit bloß verwirren.

Betriebswirtschaftler fragen und bewerten, um daraus Volkswirtschaftliches abzuleiten: Der Grundgedanke ist ein bisschen verwegen. Speziell dann, wenn man Betriebswirtschaftler nicht mit Zahlen sondern mit Spekulationen in die Gesamtrechnung nimmt. In diesem Augenblick sitzen irgendwo Unternehmensleitungen und füllen ihren Fragebogen aus. Erfüllt von Freude, weil die lästige Refluxösophagitis endlich von ihnen abließ. Oder verbittert, weil eine Refluxösophagitis sie gerade quält. Na, wie geht’s uns denn heute?

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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