Hier, genau hier wo ich lebe, war auch 2019 wieder der heißeste Platz unserer traurigen kleinen Republik. Mitten in Frankfurt kocht man im eigenen Sud. So mitten im Hotspot, mitten in der Hitze ist es aber gar nicht so einfach, klimaverträglich zu denken.
Gratulation an mich selbst, denn ich habe es im Laufe meines Lebens in die Hitzehauptstadt dieser Republik geschafft. Heißeste Stadt 2018 und 2019 geht an Frankfurt! Danke für die Glückwünsche! Auf der Karte des Umweltbundesamtes findet sich nirgends im Land ein so roter, so hitzeflimmernder Ort, wie eben jenen einen Punkt, der Frankfurt markiert. Keine andere Gegend kennt so viele tropischen Nächte. Über 14 waren es im letzten Jahr.
Und ich lebe mittendrin, mitten im Hitzekessel, direkt im Kochtopf des Teufels und somit unmittelbar in der Hölle. In einer Hölle übrigens, die städtebaulich weitermacht, wie sie es bislang tat. Die Parks veräußert und Frischluftschneisen mit Beton aufschüttet – die Wolkenkratzer hochzieht und die flirrende Skyline zum Markenzeichen verklärt. Hie und da versucht man gegenzusteuern, aber es bleibt bei zaghaften Versuchen und halbherzigen Konzepten.
Na klar zweifle ich nicht am Wandel des Klimas, ich erlebe es doch Sommer für Sommer im deutschen Hotspot dieser besorgniserregenden Entwicklung. Schwierig ist es aber, so richtig klimabewusst zu bleiben, wenn man es dort aushalten muss. Von wegen »Klimaanlagen sind Klimakiller« – na sicher sind sie das. Aber sie sind quasi alternativlos. Der Hamburger Klimaplan sieht sogar ein Verbot von Klimaanlagen vor. Da lache ich nur bitter. Die haben ja gut reden im kühlen Norden …
Hottest shit in town
Wisst ihr, wie das ist, wenn man im Sommer durch diesen Moloch muss? Der Asphalt flirrt, man könnte gleich frühmorgens barfuß gehen, denn der Boden kühlt nur unmerklich ab. Mit der Restwärme des Vortages heizt sich der Boden Tag für Tag weiter auf. Bäume gibt es, aber sie sind in vielen Straßen Mangelware. Schatten bieten nur die Häuser, wenn die Sonne richtig steht. Von den Fassaden strahlt natürlich gleichwohl Wärme ab. Sie durchdringt auch die Wände, heizt die Wohnungen auf.
Die öffentlichen Verkehrsmittel füllen sich mit Wärme und Gerüchen, man steht dicht an dicht, das klebrige Hemd des Nachbarn auf dem klebrigen Hemd, das man selbst trägt. Viele taumeln, wirken schwach. Andere scheinen durchzudrehen. Alle sind sie dehydriert. Mitmensch sein in der Hitze? Schwierig – jedenfalls für mich. Ich bin sehr mit mir selbst beschäftigt und bewege mich langsam, muss haushalten mit meiner Energie. In dieser Stadt gibt es keine Abluft-, keine Frischluftschneisen. Alles verbaut, alles dicht. Wenn wir aus der Stadt rausfahren, mal am Wochenende, spüren wir gleich Temperaturunterschiede. Manchmal sind es vier, fünf Grad weniger, die man an den Stadtgrenzen misst.
Öffentliche Gebäude sind selten klimatisiert. Mein Arbeitsplatz ist es auch nicht. Man kommt ständig vom Regen in die Traufe – eine ganz schlechte Metapher aus einer Zeit, da Regen noch was Störendes bedeutete, wo Regen noch so reichlich vorhanden war, dass man auf ihn verzichten wollte. Heute müsste man sagen: »Von der Sonne in die Hitze« oder »von der Hitze in die Wüste«. In Wüsten wird es nachts allerdings empfindlich kalt. Klar, da stehen keine Häuser, die als Nachtwärmespeicher wirken. Dort entsteht keine Stauhitze, die nicht mehr »abfließt«. Jedenfalls läuft man von einer Hitzeschlacht in die nächste, immer auf der Suche nach einem Lüftchen.
Wenn ich im Sommer in der Stadtmitte unterwegs bin, laufe ich durch Peek & Cloppenburg. Dort habe ich noch nie was gekauft, aber die sind gut klimatisiert. Dieser Laden ist mit der hotteste Shit in der Stadt. Eben weil er so cool ist. Kommt man heim in seinen Altbau, fühlt es sich nur unwesentlich besser an. Die Helligkeit ist weg, die Sonneneinstrahlung ausgesperrt. Aber warm ist es dennoch. Man sitzt in Shorts da, mitten in einer Stadt, die nur Hitze kennt und deren Coolness es ist, als neue Hitzehauptstadt nicht umdenken zu wollen. Klar habe ich mir da ein mobiles Klimagerät besorgt. Politisch inkorrekt, weil klimaschädlich, stromfressend, CO2-erzeugend. Moral in der Hitzeschlacht? Kann ich mir nicht leisten.
Es gibt kein richtiges Streben im Falschen
Man sehe mir das bitte nach. Aber erst kommt die Abkühlung, dann die Moral. Natürlich ist mir klar, dass so ein Klimagerät keine Lösung ist. Nicht langfristig – nicht perspektivisch. Irgendwo muss man ja anfangen. Aber so mitten im Kessel hat man keine Wahl mehr. Von außerhalb redet es sich leicht. Masochisten quatschen auch leicht, deren Leidenfähigkeit mag ja beispielhaft sein. Aber sie ziehen ja auch einen Genuss aus der Peinigung – ich nun mal nicht. Tut mir leid, dass ich bei Hitze nicht mehr ich selbst, nicht mehr verantwortungsvoll bin.
Glück hat der, der das mit der Hitze gut verkraftet. Irgendwo an einem Wäldchen, an einer frischen Anhöhe, am plättschernden Bächlein, ja da halte ich es auch aus. Aber doch nicht in Krankfurt, in dieser aufgeheizten Betonwüste. Es gibt kein richtiges Streben im Falschen. Das wusste schon Adorno. Für mich sieht es so aus: Die Klimatisierung hitzegeplagter Landstriche wird zu einem klimaschädlichen Großprojekt der nächsten Jahre – werden müssen. Statt produktiv die klimatischen Veränderungen anzugehen, wird man zwangsläufig kontraproduktive Maßnahmen ergreifen.
Die Welt wird also, man verzeihe mir meinen Pessimismus, ganz sicher kein angenehmerer Platz werden. Wenn man erstmal ganz tief in der Krise sitzt, heißt Abhilfe schaffen doch auch nur noch: So gut es geht durchwursteln, es sich erträglich machen und hoffen, dass es vorübergeht.
In den Netzwerken tobt zur Hitzezeit natürlich wieder der Glaubenskrieg. Seit zwei Jahren beobachte ich das jetzt. Da sagen welche, sie sitzen im klimatisierten Wohnzimmer. Oder sie freuen sich auf ihren Job in einer Bäckerei, weil es da jetzt neuerdings eine Klimaanlage gibt. Und prompt wird vom Leder gezogen. Wie könne man nur so selbstgerecht und klimavergessen sein! Als ob das eigene Wohlgefühl kein Wert mehr sein darf, der als Argument zählt. Wie gesagt, all das in den Netzwerken, in diesen serverbasierten, stromfressenden, CO2-erzeugenden Treffpunkten des biederen Moralismus‘. Ich sitze dann kopfschüttelnd vor dem Rechner, nah am Klimagerät und hadere: Mit mir, mit euch, den Netzwerken, aber auch weil das Ding nicht so gut kühlt, wie ich es für mein Wohlbefinden bräuchte und dabei noch so verdammt laut summt.