Nicht dass die Auftragslage sonst ruhig und gemütlich wäre. Auch wenn Weihnachten nicht vor der Tür steht, geht den Lieferanten und Zustellern nämlich nie die Arbeit aus. Pakete gehen immer. Es wird bestellt wie blöd. Und wieder zurückgeschickt – noch blöder. Es gibt nur eine Möglichkeit, die Paketschwemme in den Griff zu kriegen: Sie zu einem teuren Spaß machen.
Advent, Advent, die Hütte brennt. Zur Weihnachtszeit steht die Logistikbranche mehr in Flammen als zu jeder anderen Jahreszeit. Das Aufkommen ist kaum mehr zu bewältigen, Personal knapp – trotzdem wirbt die Branche natürlich mit Zuverlässigkeit. Besonders kurz vor dem Fest. Sie gibt Zustellungsgarantien. Auch wenn Sie das Päckchen kurz vor Heiligabend am Schalter abliefern, verehrter Kund: Es kommt rechtzeitig an. Früher hat man die Kunden noch in den Postämtern per Anschlag erinnert, sie mögen doch bitte die Geschenke für ihre Lieben rechtzeitig zur Post bringen. Sonst gibts am Ende lange Gesichter.
Ausbaden müssen es die Zusteller und Paketlieferanten. Sie schieben Überstunden, klingeln auch noch um 22:00 Uhr. Wenn man die Jalousien hochzieht und den fleißigen Werktätigen nachguckt, sieht man manchmal schemenhaft eine Begleitung auf dem Beifahrersitz: Den eigenen Nachwuchs. Ihr Paket, lieber Kunde, ist nicht selten eine Familienangelegenheit. Das Aufkommen wächst trotz Überstunden und Mehrarbeit weiter an. Wir sind eine Couchgesellschaft geworden, lassen uns bringen, was zu bringen ist. Der Müllberg wächst parallel zum Paketeberg. Die Logistiker suchen ja auch Mitarbeiter. Händeringend. Trotz schlechter Arbeitsbedingungen wächst die Flotte. Aber noch lange nicht ausreichend. So viele potenzielle Fahrer, wie man bräuchte, gibt es gar nicht.
Warten auf Drohne?
Daher warten wir ja schon seit Jahren auf die Lieferdrohne. Es gibt sie ja schon. Amazon hat sie in Aussicht gestellt. Man hat mit ihr expermimentiert, sie beschränkt getestet. Seit einiger Zeit ist es jedoch wieder ruhiger geworden um die Drohne. Stattdessen hatte Amazon neue Ideen – welche, wo wieder Menschen ausliefern müssen. Amazon Key zum Beispiel. Vermutlich hat man gemerkt, dass so eine Drohne bestenfalls nur in Einzelfällen Abhilfe schaffen kann. An einem normalen Tag befördert die Deutsche Post zwischen 4 und 5 Millionen Pakete – man stelle sich mal den verdunkelten Himmel vor, weil die plötzlich mit unzählbaren Drohnen ausgeliefert werden sollen.
Das ist, zumindest noch heute, ein unrealistischer Ansatz. Nein, man wird menschliche Arbeitskraft brauchen. Woher die kommen soll ist unklar. Alle möglichen Sparten klagen ja über Personalnotstand. Wenn man all die Zahlen addiert, die fehlenden Kindergärtnerinnen, fehlenden Pflegekräfte, fehlenden Zollbeamten, fehlenden Polizisten etc., und dann eben noch die fehlenden Zusteller: Das geht ja in die Millionen. Das kriegen wir wahrscheinlich nur geregelt, wenn wir – um Marx wahr werden zu lassen – »morgens jagen, nachmittags fischen, abends Viehzucht treiben«, in der Frühschicht Polizist spielen und im Spätdienst Pakete zustellen.
Ganz kurz, man ahnt ja, dass mancher Zeitgenosse Zuwanderung als Ausweg aus der Misere sieht. Fachkräfte werden auch woanders gebraucht. Sie aus ihren Ländern zu locken, ist nun nicht gerade ein verträglicher Akt. Viele der Berufe, die über Kollegenmangel klagen, setzen zudem beste Deutschkenntnisse voraus. Wir müssen vielleicht so ehrlich sein: Der Mangel lässt sich nur marginal beseitigen. Eigentlich nur eindämmen, wenn die angewachsenen Aufgaben und die quantitative Zunahmen in allen Sparten – denn daran liegt es wirklich, heute wird in jedem Job mehr gemacht als noch in den Siebzigern – stark eindämmt werden.
Was nichts kostet, ist nichts wert
Man kann das Angebot nicht ausweiten, aber die Nachfrage einschränken. Dass das Aufkommen so gestiegen ist, hat ja wesentlich damit zu tun, dass die Ressource Arbeitskraft in jener Branche viel zu billig zu haben ist. Eigentlich ist die Logistik ja eine Boombranche – die Gewinne kommen nur nicht bei denen an, die sie erzeugen, auf LKWs verladen und die Treppe hochschleppen. Hinzu kommt ein Wettbewerb, der »das Bringen« zu einer Serviceleistung degradiert, zu einer Selbstverständlichkeit des Online-Kaufes. Dass dieser Service inklusive ist, natürlich »frei Haus« angeboten wird: Mit dieser Großzügigkeit ködert man die Kundschaft, gibt ihnen einen Exklusivanspruch, wertet jedoch den Dienst am Kunden, geleistet von arbeitenden Menschen, zu einer Randnotiz ab.
Die soll bitte leise, unauffällig, am besten kostenneutral angeboten werden. Rücksendungen sind natürlich gratis – der Kunde hat den Anspruch, dass das so sein muss. Immerhin ist er der letzte König in einer nicht mehr monarchistischen Zeit. Regulierungen scheitern fast immer daran, dass die Politik den Konsumbürger, dummerweise auch Wahlbürger, nicht zu sehr verärgern will.
Das ist das Problem. Kostenfreie Lieferungen gibt es nämlich nicht. Wer sich Klamotten bestellt, die frei Haus kommen, möchte bloß verarscht werden. Die Kosten sind schon inkludiert – was spricht gegen eine gesetzliche Verpflichtung, die Versandkosten ausweisen zu müssen? Und was wäre denn so falsch daran, Retouren nicht mehr kostenneutral für die Kundschaft anbieten zu dürfen? Ohne jetzt von den Vorteilen für Umwelt und Klima sprechen zu wollen: Wenn zur Schau gestellte, ausgewiesene Kosten dazu führen, das Paketaufkommen zu mindern, weil ja nur was wert ist, was auch was kostet, dann sollte man es tun. Das ist die einzige Möglichkeit, bis es vielleicht doch eine technologische Lösung gibt, die auch realistisch umsetzbar ist. Bis dahin sollte die Politik ein Gesetzespaket auf den Weg bringen, um es Zustellern leichter zu machen mit den vielen Paketen.