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Freier Verkehr- verkehrte Freiheit

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Der Wirtschaftsminister ist für »Freiheit im Straßenverkehr« – sagte der Wirtschaftsminister neulich vor Journalisten. Freiheit im Straßenverkehr? Dieser Autarkieanspruch deutscher Verkehrserotomanen ist so ziemlich die dümmste Vorstellung, die man vom Verkehr haben kann.

Geht es nach dem Wirtschaftsminister, so wird es keine weiteren Regelungen für e-Scooter in deutschen Städten geben. So ließ das der Wirtschaftsminister neulich ins Protokoll diktieren. Weshalb Peter Altmaier von sich selbst in der dritten Person spricht, ob das ein Julius-Cäsar-Komplex ist: Man weiß es nicht sicher. Vielleicht sieht er sich selbst ja auch kritisch, distanziert sich schon mal sprachlich von sich selbst. Dergleichen soll ja vorkommen.

Was wir hingegen sicher wissen: Der Wirtschaftsminister distanziert sich nicht von der »Freiheit im Straßenverkehr« – und die e-Scooter brauchen keine weiteren Regularien, denn wir haben »mehr als genug Verbote«.

Das Recht des Schwereren

Besonders dieses letzte Zitat verrät, wie mancher in diesem Land der Auspufftrichter und Lenker – nicht nur als Politiker – den Verkehr begreift: Als liberalisierte Kampfzone, in der Verbote nur in Ausnahmefällen wirken sollen. Verbote im Straßenverkehr sind demnach nämlich unnatürliche Barrieren. Als Garanten für Sicherheit, Verkehrsfluss und Rücksichtnahme scheint man man Verbote offenbar gar nicht erst in Betracht zu ziehen. Dabei ist dieser freie Verkehr nichts anderes, als eine verkehrte Freiheit.

Deutschlands Straßen unterliegen einer fragilen Ordnung. Jedenfalls könnte man das glauben, wenn man denen zuhört, die darüber philosophieren oder gar entscheiden. Wenn man da interveniert, Begrenzungen obligatorisch macht, Verbote erlässt, Regelungen aufbringt: Es könnte alles zerbrechen, aus den Fugen geraten. Der deutsche Verkehrsfluss ist nämlich ein liberalisierter Bereich, funktioniert nur wegen der Selbstheilungskräfte des Verkehrsmarktes. Eine unsichtbare Hand richtet alles. Eingriffe sind nur die dumme Störung einer natürlichen Ordnung, unterbinden quasi die freie Wildbahn, verstoßen gegen den Artenschutz.

Eine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Deutschlands Autobahnen entspricht somit nicht der artgerechten Haltung. Denn wer ein Auto fährt, speziell eines mit hohen PS-Zahlen, der braucht freien Auslauf. Der TT darf nicht an seinem Geschwindigkeitsdrang gehindert werden. Das wäre widernatürlich. Es ist nicht etwa das Recht des Stärkeren, von dem man oft liest, das an dieser Stelle gelten soll. Nein, es geht hier um das Recht des Schwereren: Wer den schweren Bleifuß auf dem Gaspedal hat, der hat sich Vorteile im Straßenverkehr redlich verdient. Schwere Füße gehören in der deutschen Wahrnehmung vom Straßenverkehr zu einem Phänomen, das man akzeptieren muss und nicht ändern kann.

Lass se machen: Das deutsche Laissez-faire-Verkehrsmodell

Gewisse Verkehrsregeln müssen zwar sein, ganz ohne geht es nicht. Aber sie müssen eine Ausnahme sein – und bleiben. Denn wer durchreglementiert, so glaubt man, beeinträchtige die Verkehrslaune. Als ob die Freude der Verkehrsteilnehmer am Geschehen ein maßgebliches Kriterium für Planung wäre. Bei den e-Scootern, dem neuesten Teilnehmer auf Deutschlands Straßen, spielt man jetzt das Spiel um die natürliche Selektion im Straßenverkehr weiter. Verbote dürften da keine mehr entstehen. Auch wenn es mittlerweile einige, teils schwere Unfälle gab, Kinder damit fahren, Fußwege belagert und befahren werden und Betrunkene mal kurz einige Blocks auf dem Ding hinter sich bringen.

Der Wirtschaftsminister sagt einfach: Lass se machen. Und meint damit: Laissez-faire. Das ist der liebste Spruch der Verkehrspolitik: Machen lassen. Wird schon gut gehen. Und falls nicht, dann ist das Schicksal. Denn Verkehr ist in Deutschland eine Schicksalsfrage. Man kann da nicht viel machen, außer die Teilnehmer machen lassen und auf das Beste hoffen. Man übt sich in Fatalismus, Eingriffe könnten das natürliche Gleichgewicht nur in Schieflage bringen. Wie mittelalterliche Mediziner steht man vor den Symptomen und lässt lieber mal die Finger davon, denn jeder Handschlag könnte ein falscher sein …

Die Verkehrslage in Deutschland wird schon immer bevorzugt mit dem Prädikat der Freiheit ausgestattet. Freie Fahrt für freie Bürger halt. Das kommt an, das eigene Gefährt, sei es bloß ein Golf oder gar nur ein e-Scooter, wird so zum Marlboro-Mann-Pferd, das in die große Freiheit juckelt. Immer dem Horizont entgegen – wenn es keinen Stau gibt. Stau: Auch so eine Schicksalsfrage. Verkehrsexperten raten zwar zu verbindlichen Höchstgeschwindigkeiten, um Staubildung zu vermeiden. Aber das beeinträchtigte ja die Freiheit. Und die geht über alles. Verkehrsregulierung ist in diesem Land ganz sicher eine Ideologiefrage.

»Freiheit von …« und »Freiheit zu …«

Und die Ideologie hantiert mit der Freiheit. Besser gesagt mit der »Freiheit zu …« und nicht der »Freiheit von …« – eine Unterscheidung, die zwei völlig verschiedene Konzepte bedient. Margaret Atwood hat das (in einem anderen Zusammenhang) sehr verständlich in ihrem Roman »Der Report der Magd« skizziert. In ihrer Dystopie werden jene Frauen, die noch Kinder bekommen können, als Brutkästen gehalten. Mehr als auf den Akt des Hausherrn zu warten, geschieht in ihrem Leben nicht mehr. Im alten Amerika waren sie emanzipierte Frauen mit Familien und Beruf, mit Vorlieben und Abneigungen. Ihre jetzige Erzieherin erklärt ihnen die Veränderung damit, dass sie vorher die Freiheit hatten, zu arbeiten, zu lieben, zu flirten. Ein steter Wettbewerb sei das gewesen um zu sein. Nun hätten sie die Freiheit von Druck, von Ungleichbehandlung und von Unsicherheit erlangt. Sie seien befreit von Mühsal und Stress.

Die Szene ist vielleicht der Schlüsselmoment des Romans. Mit Verkehr hat er nichts zu tun. Jedenfalls nichts mit Straßenverkehr. Er widmet sich aber dem Freiheitsbegriff. In der Serie geht das verloren. Welche Freiheit nun im hiesigen Straßenverkehr verteidigt wird, liegt auf der Hand. Die Freiheit zu rasen, die Freiheit so zu fahren, wie ich es gerade möchte. Eine Freiheit mit dem e-Scooter wenig Regeln einhalten zu müssen. Die Freiheit von Unsicherheit, Rücksichtslosigkeit, Stau und gesunden Verkehrsfluss ist damit keinesfalls gemeint.

Wenn der Wirtschaftsminister nun sagt, der Wirtschaftsminister fände, dass die »Freiheit im Straßenverkehr« wichtig sei, dann meint er die erste Variante der Freiheit. Die könnte man aber auch als Privileg oder Vorrecht übersetzen. Und nicht als Erlösung oder Emanzipation. Genau in diesem Unterschied zwischen den Freiheitsbegriffen liegt das Dilemma der liberalen Rhetorik. Sie setzt der Eingrenzung die Freiheit als positiven Gegenpart entgegen und tut so, als würde in der Regulierung der Verhältnisse eine Gefangenschaft ruhen. Genau das ist aber häufig nicht der Fall. In ihr schlummert die Befreiung von gewissen Missständen. Auch das ist ein Stück Freiheit. Nämlich das Stück Freiheit, das den Gemeinsinn fördert.

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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