Vor einigen Jahren, da suchte ein Herr J. von einem Hausmeister-Service einen Mitarbeiter. Zur Ergänzung des Teams, wie es in der Annonce hieß. Ich hatte keine Ahnung von der Hausmeisterei, rief allerdings trotzdem an und bekam prompt einen Vorstellungstermin.
Mir saß dann ein Mann gegenüber, dem aus der Nase Härchen wie schwarze Brummerbeine lugten.
»Schon mal einen Rasen gemäht?«, fragte er und stütze seine Ellenbogen auf den wackeligen Schreibtisch vor ihm.
»Nein, so richtig eigentlich noch nie.«
»Was meinen Sie mit eigentlich noch nie?«
»Manchmal habe ich als Kind Grashalme aus der Erde gerissen.«
»Das ist nicht dasselbe. Für einen Arbeitsantritt ist das sogar ein bisschen wenig, finden Sie nicht?«
»Ich weiß nicht, ich bin bisher auch ohne Rasenmähen durchs Leben gekommen. Besitze ja keinen Rasen.«
Der nasenbehaarte Mann überlegte eine Weile und blätterte dabei in einem Taschenkalender.
»Kommen Sie am Montag vorbei. Ich schicke Sie mal mit einem Kollegen mit. Wir haben mehrere Objekte und Sie schauen sich mal an, ob das was für Sie ist.«
»Können wir so machen.«
»Können wir so machen? Wollen Sie nun oder nicht? Sie sind doch zu mir gekommen, also nehme ich an, Sie wollen die Stelle haben. Ist doch so, oder?«
Ich grinste nur dumm. Der Kerl ging mir auf die Nerven, aber er hatte recht, ich wollte die Stelle – als Übergangslösung. Man sollte Idioten immer dann angrinsen, wenn man nicht gleich was findet, was man ihnen an die Stirn donnern kann. Das hat auch den Nebeneffekt, dass es ohne Gerichtsverfahren abgeht.
»Da lassen wir Sie mal einen Rasen mähen. Ich sage es Ihnen gleich: Bei uns müssen sie richtig klotzen – und leiden.«
Das mit dem Leiden setzte er nach einer kurzen Pause an den Schluss. Es wirkte ein bisschen einstudiert.
»Leiden? Haben Sie leiden gesagt?«
»Haben Sie ein Problem damit?«
»Mit Leiden schon. Ich wollte Arbeit – kein Leid.«
Er lachte. Kapos von Strafkolonnen lachten in schlechten Filmen meistens, wenn sie ihre Leute bluten lassen.
»Wir hatten hier mal einen Kollegen, der war schon lange dabei. Aber irgendwann ging ihm die Kraft aus und wir können es uns hier nicht leisten, jemanden mitzuziehen, der nicht die volle Leistung bringen kann.«
Er nickte mir verschwörerisch zu und ich schüttelte nur ratlos den Kopf, stand auf und vertagte mich auf Montag.
Am Montag war ich pünktlich. Der Kollege, mit dem ich über die Objekte tingeln sollte, war auch schon da. Er war genauer gesagt eine Kollegin. J. war allerdings noch nicht zugegen. Also standen wir vor verschlossenen Türen.
»Warum hast Du keinen Schlüssel? Und wo ist der Kerl überhaupt?«, fragte ich die junge Frau.
»Keine Ahnung. Kommt manchmal vor, dass er zu spät ist. Schlüssel bekomme ich erst, wenn ich fest angestellt bin.«
»Ach, du hast nur einen Zeitkontrakt?«
»Nein, ich mache bei ihm Probearbeit. Das Jobcenter bezahlt mich und ich bewähre mich gewissermaßen beim ihm.«
»Das heißt, mir zeigt heute mal jemand all die Arbeiten und Aufgaben, der selbst noch gar nicht offiziell zur Firma gehört. Das ist ja interessant. Du musst aber schon lange auf Bewährung sein, dass du so gut Bescheid weißt.
»Seit knapp vier Monaten jetzt. Heute Nachmittag will er mit mir über meine Zukunft reden. Ich bin guter Dinge.«
Ich schüttelte nur den Kopf und zündete mir eine Zigarette an. Was bei dem Geschüttel übrigens gar nicht so einfach war.
Nach einer Weile fiel mir das Firmenschild auf.
»Sag mal, warum steht hier an der Türe zum Büro M. & G. und nicht J.?«
»Herr J. hat den beiden den Laden abgekauft. Er war früher bei denen angestellt und dann hatten die zwei Vorbesitzer keine Lust mehr und J. war zur Stelle.«
»Wie lange ist das jetzt her?«
»Das war kurz bevor ich mit der Probearbeit bei ihm angefangen habe.«
»Wie viele Hausmeister hat er denn?«
»Harry und mich. Harry ist schon was älter, aber cool. Vorher gab es da noch einen, ich weiß nicht mehr, wie der hieß, aber den hat J. gefeuert. Der Mann hat jahrelang für M. & G. gearbeitet und war der Kollege von J. Die beiden konnten sich nicht riechen und dann hat er ihn wegen Arbeitsverweigerung rausgeworfen.«
»Ich glaube, ich kenne die Geschichte schon. Ich vermute, er war nicht leidensfähig.«
Die Kollegin auf Abruf guckte mich nur ratlos an.
Nach einer weiteren halben Stunde und einigen Zigaretten bog J. endlich um die Ecke. Er trug ein heftgroßes Schild bei sich, auf dem Rechtsanwalt S. stand.
»Ah, Fräulein Susanne, schön Sie zu sehen«, sagte er zu meiner potenziellen Kollegin für diesen Tag und starrte ihr auf die Brüste. Mich beachtete er hingegen nicht. Vermutlich wegen zu wenig Brust.
»Schau mal, was ich hier habe.«
Er zeigte ihr das Schild und sie gaffte ihn ratlos an.
»Kannst du lackieren und pinseln?«
Sie antwortete, sie könne es ja versuchen.
»Dann lackieren Sie das Ding mal hellgrün und schreibe mit dem Pinsel Hausmeister J. & Kollegen drauf. Soll ich es Dir aufschreiben? Und schreib ordentlich, ja …«
Er lavierte vom Du zum Sie und Susanne tanzte nach seiner Pfeife.
»Sie sind ja auch da«, sagte er, nachdem er mich dann doch endlich wahrgenommen hatte.
»Die Fahrt mit Susi muss heute ausfallen. Es sei denn, Sie wollen warten, bis sie ihren künstlerischen Auftrag erledigt hat.«
Ich schüttelte den Kopf und bewegte mich langsam rückwärts weg.
»Warten Sie bitte noch einen Moment«, rief er mir nach.
»Was ich vergessen habe Sie zu fragen: Beziehen Sie eigentlich Arbeitslosengeld?«
»Nein«, log ich. »Wieso?«
»Das ist schlecht. Ich hätte Sie mal für zwei oder drei Tage auf Probe arbeiten lassen. Aber wenn Sie keine Sozialleistungen beziehen, werden Sie ja wohl kaum bereit dazu sein, oder?«
»Nie und nimmer«, sagte ich energisch.
»Verstehe … ich rufe Sie diese Woche an, dann machen wir nochmal einen Termin aus. Vielleicht geht ja trotzdem was. Und Sie freuen sich doch sicherlich auf eine Ausfahrt mit Frau Susanne.«
Er lächelte zu ihr hinüber, als er das sagte. Und sie lächelte zurück. Sie sahen aus wie ein verliebtes Paar auf Stunden- und Honorarbasis. Ich wollte mir nicht vorstellen, dass es dieser eigenartige Arsch noch näher an sie heran schaffte.
»Melden Sie sich einfach«, sagte ich und zog fort.
Ich hörte noch, wie er Susanne Komplimente machte und wie sie kicherte und mir tat es leid um das naive und ausgebeutete Ding.
Von J. und seiner Praktikantin hörte ich nie mehr was. Bis heute bin ich nicht darüber hinweg …