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Du sollst es Vater und Mutter verwehren

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So ein kinderfreies Hotel hat echt Vorzüge. Die Kinderfreiheit etwa? Ach nee, die jetzt weniger. Dass es dort keine nervigen, aufmerksamkeitsdefizitären Helikoptereltern gibt: Das ist der große Vorteil einer solchen Unterbringung. Ansonsten ist es ein bisschen schade, dass Kinderfreiheit stets ohne Kinder abläuft.

Das Angebot hat uns gleich überzeugt. Noch bevor wir den Preis, die Lage, die Ausstattung gesehen haben. Adults only! stand dick unter den Bildern. Nehmen wir! Keine Kinder im Hotel: Was sind wir doch für Glückskinder! Nun ja – Glückserwachsene. Kein Kindergeschrei. Kein Geheule. Obwohl: So schlimm ist das gar nicht. Sind halt Kinder. Die kriegen sich ja auch wieder ein. Ein kinderfreies Hotel hat doch einen ganz anderen Vorzug: In ihm laufen keine Eltern mit ADHS herum. Keine quietschenden, auf im Mittelpunkt stehende konditionierte Erzeuger, die ihre lieben Kleinen wie kleine verehrungswürdige Putten aus dem Himmelreich anschmachten oder anplärren. Die Kinder sind ja meistens nicht das Problem – die Eltern sind es.

Eltern sind eine komische Gattung. Geworden. Ich weiß gar nicht, ob unsere Eltern auch so waren. Heute ist das Kind ja auch ein Statussymbol. Das war früher sicher anders. Eltern früher haben sich nicht so viel geschissen um ihren Nachwuchs. Man ließ ihn auch mal laufen. Heute wird alles getaktet, säuberlich geplant, Kinder sind überwacht wie nie zuvor. Da entsteht schnell der Eindruck, dass moderne Eltern viel fürsorglicher sind. Neulich begegnete mir eine Mama in der Tram. Sie war tief ausgeschnitten, im Dekolleté ein eintätowierter Name: Tyler. Sie war in ihr Mobiltelefon vertieft, der Kinderwagen stand vor ihr. Und Tyler hieß der Kleine im Wagen. Der wollte mit seiner Mutter sprechen, was fragen, aber sie bügelte ihn glatt: Sei ruhig, Tyler. Iss doch deine Brezel, Tyler. Tyler, jetzt sei still. Sie würdigte den Kleinen dabei keines Blickes. Klar, Mutter sein ist Stress. Aber wenn eine Frau Mama sich den Namen ihres Kindes auf die Busenhaut stanzen lässt, glaubt man zuweilen ein bisschen naiv daran, dass da jemand ganz innig ist mit seinem Spross, dass das Verhältnis ganz deep ist.

Da täuscht man sich schnell: Es geht bei vielen Eltern um Status, darum zu zeigen, was man da hat, wie man sich verwirklicht hat. Ob nun Brusttattoo oder Lehrer einschwören auf die Einzigartigkeit des eigenen Kindes: Alles Statusgehabe – nur je nach eigenen Prioritätsstandards exerziert. Kinderkriegen ist aber nun wirklich nichts Besonderes. Allerdings bemerke ich seit längerem, dass es viele Eltern da draußen gibt, die ihre Nachkommenschaft als ein Geschenk für die Gesellschaft bewerten. Und wir als Gesellschaft müssten sozusagen froh sein, dass sie sich vermehrt haben. Ich gehe damit konform, dass eine Gesellschaft Familien mit Kindern begünstigen sollte. Das ist der abstrakte Dank an ihre Elternschaft. Eine persönliche Dankbarkeit kann man jedoch nicht verlangen. Das dachte aber wohl jene Mutter, die irgendwo zwischen Aachen und Köln in einen völlig überfüllten ICE stieg und wahllos Leute aufforderte, sie mögen für sie und ihren Kleinen einen Vierersitz räumen. Keiner tat das, der Kleine hockte ja bequem im Kinderwagen. Irgendwie spürte man, dass sie eine andere Erwartungshaltung an uns alle hatte.

Eingestiegen war sie schon mit einer bitteren Miene. Jemand aus meinem Umfeld, der in einer Kita arbeitet, bestätigte mir: Viele Mütter haben so eine Leidensmiene auf Lager. Leidensmutter nennen wir sie daher oft im Spaß. Sie fühlen sich nicht bevorzugt genug, haben den Eindruck immer zu viel leisten zu müssen. Sie dürfen nicht mal jedes Jahr zur Ferienzeit ihren Urlaub antreten, weil auch die kinderlosen Kollegen mal zur Saison urlauben wollen. Wo ist da die Gerechtigkeit? Ich weiß, es ist nicht politisch korrekt, wenn man das sagt, ich tue es trotzdem: Keiner muss Kinder kriegen. Schön, wenn man es tut. Aber eine Verpflichtung gibt es nicht. Tut man es aber, hat man freilich einen gewissen Anspruch auf gesellschaftliche Rücksicht (und sollte man noch viel mehr haben, wenn man alleinerziehend ist) – aber dieser Anspruch kann immer nur ein Teilanspruch sein. Ein bisschen Eigenverantwortung steckt aber auch noch drin im Elterndasein. Das vermisse ich zuweilen, wenn ich Eltern tratschen höre. Insbesondere Leidensmütter sind als Erzählerinnen in der Tram immer spannend. Bei ihnen klingt das so, als hätten sie das alles für mich in Kauf genommen. Für meine Rente oder so. Und dann zeigen Typen wie ich noch nicht mal Dank oder Rücksichtnahme.

Vor einigen Monaten ging durch die Gazetten, dass es auf Rügen ein Lokal gäbe, in dem ab 17:00 Uhr keine Kinder mehr erwünscht seien. Die Empörung war groß. Wie könne man nur unsere Zukunft aussperren? Dabei ging es weniger um die Kinder, als um deren Eltern. Die wollten Einlass mittels der moralischen Keule über die sozialen Netzwerke erzwingen. Erst kriegen sie Nachwuchs für uns alle und dann dürfen sie nicht mal in ein Lokal: Viele der empörten Kommentare konnte man auf diese Quintessenz reduzieren. Der Wirt meinte dann natürlich auch, dass das Problem nicht die Kinder seien. Die Eltern seien problematisch. Sie würden ihren Kleinen alles durchgehen lassen, sie rumschreien und rumsauen lassen und nichts dazu sagen. Rücksicht von den Bedienungen fordern und auch noch pampig werden, wenn man die Eltern ermahnt. Weil Kinder nun mal nicht ohne ihre Eltern zu haben sind, hatte sich das Lokal entschlossen, Kinder nicht mehr einzulassen.

Erst neulich haben Unbekannte ein kinderfreies Restaurant nächtens beschmiert. Kurz nachdem einige Leute ihren Unmut über das Geschäftsmodell geäußert hatten, waren die Schaufenster eingeschwärzt. Kinderhasser haben das wohl verdient in diesem Lande. Wobei aus der Sache kein Schuh wird: Eigentlich verabscheut man ja die Eltern. Das wissen sie wohl auch, weswegen sie besonders wütend werden.

Du sollst es Vater und Mutter verwehren: Das könnte das elfte Gebot unserer so nervtötenden Zeit sein. Dass darunter die Kinder leiden, das ist schade. Aber es ist wohl leider generell oft so, dass Kinder unter ihren Eltern leiden. Auf viele Arten. Weil sie nicht wahrgenommen werden, weil man sie dauerbetreut und durchtaktet, sie in jungen Jahren schon dem Leistungsdruck unterstellt – und weil man durch nervige Elternhaltung dafür sorgt, dass man lieber ganz auf moderne Familien in Hotels und Gaststätten verzichtet.

Schade, dass in diesem kinderfreien Hotel, in dem wir unterkamen, gar keine Kinder waren. Sie bräuchten sicher auch mal dringend Urlaub von der Bagage, die sie als Eltern haben.

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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