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Die Belastungslüge

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Wann immer was auch immer gefordert wird, ist schnell ein Argument aus dem Hut gezaubert: Das belastet die Bürgerinnen und Bürger, und es belastet die Wirtschaft. Dabei sollten wir doch erst einmal damit anfangen, wie es zu Entlastungen kommen kann.

Wenn die Bewegung „Fridays for Future“ eines gezeigt hat, dann, dass Widerstand zu Diskussionen führen kann. Und dass sich nach einem gewissen Maß an Widerstand niemand mit politischer Verantwortung dagegen wehren kann, auf das Boot aufzuspringen, um sich als tatkräftig und verständnisvoll zu präsentieren. Was die Bewegung allerdings auch gezeigt hat, ist das defizitäre Denken, das aus berechtigten Forderungen folgt. Möglich scheint alles, was mindestens 20 Jahre in der Zukunft liegt. Was dagegen heute zu tun wäre, gilt schnell als nicht machbar. Weil es zu Belastungen führt.
Mit dieser Rhetorik wird jeder konstruktive Ansatz im Keim erstickt.

Belastungsentlastungen …

Beim Klima, bei der Rente, bei den Löhnen, der Bildung, beim Wohnen, der Infrastruktur, der Gesundheit, der Pflege – bei all dem und vielen mehr verlaufen die Diskussionen auf der Entscheiderebene eigentlich immer gleich. Kaum wird eine Forderung formuliert, die vielen Menschen, oft sogar den meisten Menschen helfen kann, ihr Leben in bessere Bahnen zu lenken, beginnt eine Diskussion über Details und Zeiträume. Das ist nicht grundsätzlich verkehrt, denn natürlich muss jede Forderung erst einmal abgeklopft werden auf ihre Berechtigung, auf die Möglichkeit der Realisierung und auf den Zeitplan, innerhalb dessen all das stattfinden soll.

Doch früher oder später kommt der Punkt, der alles zunichtemacht: Belastungen. Insbesondere die Wirtschaft darf nicht belastet werden (Peter Altmaier ist hier der derzeitige König der Wirtschaftskuschler, getoppt bestenfalls von Christian Lindner). Und wenn dann auch noch die „Märkte“ beruhigt werden müssen, spätestens dann ist Schluss mit allen noch so gut gemeinten Forderungen. Sobald die Märkte und die Wirtschaft in quälendes Schmerzgebrüll ausbrechen, steht fest: das geht nicht. Das belastet nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger (was schon eine eigenwillige Logik ist). Wir müssen uns also – so der allgemeine Tenor – etwas Besseres einfallen lassen. Und bis das funktioniert hat, bleibt es eben so, wie es ist. Man will ja nichts schlimmer machen, niemanden … belasten.

Belastung CO2-Steuer

Die CO2-Steuer ist ein gutes Beispiel, und das insbesondere, wenn man sie inhaltlich gar nicht bewertet. Genau das tue ich hier nämlich nicht, sie dient einzig und allein dazu, die Belastungslüge zu verdeutlichen.

Geneigte Leser mögen ihre Suchmaschine anwerfen und in das Suchfeld „CO2-Steuer“ und „Belastungen“ eingeben. Heraus kommt (je nachdem, ob man eingeloggt ist und welches Suchverhalten man bereits an den Tag gelegt hat – wir dürfen nicht vergessen, dass Google eine sehr persönliche Angelegenheit ist, mit an die Nutzer angepassten Suchergebnissen) in der Regel so etwas:

  • ZUSÄTZLICHE BELASTUNG – CDU-Chefin warnt vor sozialen Folgen einer CO2-Steuer

  • Hinter der CO2-Steuer verberge sich nichts anderes als eine zusätzliche Belastung auf Treibstoff, Diesel, Benzin, Heizöl und Gas.

  • CO2-Steuer ohne zusätzliche Belastung für Familien und Geringverdiener

  • CDU und CSU ringen um ihren Kurs für eine grundlegende Energiesteuerreform. Kritiker warnen vor Belastungen für die Bürger.

Das könnte jetzt munter so weitergehen. Und selbst die dritte Headline, die andeutet, dass Familien und Geringverdiener keineswegs mit (zusätzlichen!) Belastungen rechnen müssten (denken Sie jetzt nicht an den Eiffelturm und dann auch gleich nicht an Belastungen), trägt doch dieselbe Botschaft der Einschränkung in die Welt hinaus.

Ich will hier eine mögliche Co2-Steuer gar nicht bewerten, schon deshalb nicht, weil ich mich bisher nicht intensiv genug mit ihr beschäftigt habe, um ein schriftliches Urteil zu fällen. Es geht mir um die Argumentation, die – entweder in die eine oder in die andere Richtung – auf das Gefühl der Belastung hinausläuft. Genau das wird den Menschen vermittelt. Und die CO2-Steuer dient hier, wie gesagt, nur als Beispiel.

(Hier zwei Links, über die man sich zwei Betrachtungen ansehen kann:

Die (un)soziale CO₂-Steuer

Noch eine Verbrauchssteuer?

Wir brauchen Entlastungen!

Das ständige Gerede von Belastungen führt in eine Richtung, die den Gedanken an Entlastungen inzwischen kaum noch zulässt. Wann auch immer eine Forderung im Raum steht, oder auch nur der Vorschlag, in einem Bereich zu Verbesserungen zu kommen, wird mit Belastungen gekontert. Wie erwähnt, sind die Wirtschaft und die Märkte das primäre Ziel der politischen Fürsorge, doch im gleichen Atemzug werden auch die Bürgerinnen und Bürger nicht vergessen zu erwähnen, die sich ebenfalls auf Belastungen einstellen müssen (und wer will das schon?).

Diese Argumentationslinie ist schon deswegen so absurd, weil der allgemeine Tenor zum wiederholten Male der ist, wie gut es Deutschland geht, wie niedrig die Arbeitslosenzahlen sind, wie stark die Löhne und die Renten gestiegen sind, wie gut wir bei der Bildung, der Rente, der Gesundheit, der Pflege und der Infrastruktur aufgestellt sind.

Würde das stimmen, dürfte es eigentlich kein Problem sein, über wirkliche Entlastungen nachzudenken und diese auch umzusetzen. Doch wenn es konkret wird, werden aus leuchtenden Farben düstere Kleckse, die uns allen klarmachen, dass wir dem Untergang geweiht sind, wenn wir jetzt so dreist werden, Verbesserungen, Entlastungen erzielen zu wollen.

Eine verantwortungsvolle Politik argumentiert nicht in einer Tour über Belastungen, schon gar nicht über Belastungen der Wirtschaft und der Märkte. Eine verantwortungsvolle Politik schafft Entlastungen, in erster Linie für die Bürger und in zweiter für die Wirtschaft. Eine verantwortungsvolle Politik weiß, dass Unternehmen abhängig von der Leistung der Menschen sind, die für sie arbeiten. Sie wertschätzt die Arbeit der Menschen, die zu wirtschaftlichem Erfolg und Wachstum beitragen.

Dementsprechend haben wir es schon seit Langem nicht mit einer verantwortungsvollen Politik zu tun, sondern mit einer, die die großen Unternehmen in ihren Fokus nimmt, die alles ermöglichen will, um deren Gewinne zu steigern, und zwar um jeden Preis.

Die kürzlich geführte Debatte um Entlastungen (sprich: Verbesserungen) für die Paketzusteller macht das einmal mehr deutlich. Eine verantwortungsvolle Politik lässt keinen Sklavenmarkt zu. Sie tut alles, um einen solchen zu verhindern. Und sollte das für die Paketdienste zu Belastungen führen, dann argumentiert eine verantwortungsvolle Politik auf eine sehr einfache Weise. Sie sagt:

Der Sklavenhandel ist abgeschafft. Denn er war für die betroffenen Menschen: eine Belastung.

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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