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Ist es richtig, demonstrierende Schüler an ihre Schulpflicht zu erinnern?

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Diskussionen über Klimapolitik waren gestern. Jetzt geht es um die Schüler, die freitags demonstrieren. Dürfen die das? Gehört sich das? Oder ist die Erinnerung an die Schulpflicht kleinkariert? Die beiden Autoren der neulandrebellen sehen das unterschiedlich.

Ja, es ist richtig, denn …

… man kann nicht für ein Gemeinwesen einstehen, in dem sich Rechte und Pflichten als staatsbürgerliches Ideal abwechseln und gleichzeitig so tun, als seien gewisse Pflichten lässlich. Es gibt ja einige Argumente, mit denen die Kritiker der Freitagsdemos hantieren. Die einen finden, Bildung sei zu wichtig, man dürfe da nicht schludern. Die anderen schelten die jugendliche Klientel für ihr paradoxes Verhalten. Das erste Argument muss man nicht berücksichtigen. Zu viele Schuldstunden fallen aus, der angedachte Lehrstoff lässt einen nicht in die Befürchtung verfallen, Unterrichtsabstinenz würde uns jetzt um neue Einsteins bringen. Argument zwei nehme ich persönlich ernster, denn an dem Vorwurf ist schon was dran.

Man kann ihn freilich nicht generalisieren, aber klar ist auch, dass diese junge Generation einen Lebensstil pflegt (und aufgedrückt bekommt), der aus Konsum, Handy, Statussymbol-Attitüden und Helikoptereltern besteht. Der CO2-Ausstoß durch das Internet ist immens. Zwanzig Suchanfragen bei Google machen einer Stunde Glühbirnenleistung Konkurrenz. Die Digital Natives, die jetzt am Friday for Future protestieren, können nicht als treue Gretarianer so tun, als ginge es beim Klimaschutz um eine Generationenfrage. Sie sitzen mit im Boot, auch sie müssen umdenken. Das könnte ihnen schwerer fallen als uns, die wir noch eine Welt kennen, in der nicht alles dauerhaft online war. Die Sache mit der Generationengerechtigkeit, die man in den Diskurs bringt, ist ohnehin eine Frechheit gegenüber denjenigen der älteren Generation, die schon viele Jahrzehnte umweltbewusst handeln.

Aber darum geht es mir gar nicht. Mein argumentativer Ansatz, weswegen man Schüler an ihre Schulpflicht erinnern sollte, ist ein ganz anderer. Er rekrutiert sich aus der Liberalismuskritik. In den letzten Monaten habe ich häufig die liberale Haltung kritisiert, das anything goes, das mittlerweile zur Syntax unserer Gesellschaft mutiert ist – und das ebendie langsam aushölt. Der Gemeinsinn hat als Narrativ abgewirtschaftet. »Du bist dir der Nächste, deshalb sei was immer du sein willst« ist das Surrogat. Der Staatsbürger hat als idealtypische Vorstellung stark eingebüßt. Wir dürfen heute als Konsumbürger wirken. Aber Kunden können sich nun mal unverbindlich umschauen, sie können etwas kaufen, müssen es aber nicht. Der Staatsbürger hat allerdings Pflichten ganz so, wie er Rechte hat. Das sehe ich durchaus kantianisch.

Dass man nun in weiten Teilen der Öffentlichkeit so tut, als sei die Schulpflicht lässlich, halte ich demnach für ein staatsbürgerliches Versagen. Zum Leben in einer Gemeinschaft gehören Alltagsverbindlichkeiten, Umstände die eingehalten werden müssen. Mal von etwaigen Ausnahmeregelungen abgesehen. Das mag für viele spießig klingen, scheint mir aber im Sinne eines kommunitaristischen Standings unabkömmlich. Jene Claquere, die den jungen Leuten heute sagen, dass sie es richtig machen, am Freitag die Schule zu schwänzen, reihen sich ein in eine Haltung, die seit Jahren die Gesellschaft aushöhlt: Es ist das postmaterialistische, identitätsthematisch inspirierte Geschwätz des Neoliberalismus. Unverbindlich, optional und angebotsorientiert.

Dass junge Menschen in Massen protestieren, finde ich allerdings ausgezeichnet. Sie haben eben nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte. Dazu gehört, dass man seinen Unmut formulieren darf. Gerne auch in Protestaktionen. Das kann ihnen keiner verbieten. Nur in der Schulzeit hat das nichts verloren. Wie kann man als Erwachsener junge Menschen so fehlleiten und gleichzeitig darüber jammern, dass es in dieser Gesellschaft offenbar keine Verbindlichkeit, kein Pflichtgefühl mehr, dafür umso mehr Egomanen gibt? Und dass sich immer weniger an Regeln und Gesetze halten? Das passt nicht zusammen. Das ist paradox.

Nein, es ist falsch, denn …

… es handelt sich dabei um einen ziemlich durchschaubaren Taschenspielertrick.

Es ist wie bei Streiks (ja, ich weiß, es handelt sich hierbei nicht um Streiks, aber das Prinzip der Gegenwehr auf Seiten der Kritiker ist das gleiche). Die sind ja grundsätzlich in Ordnung, streiken ist ein Recht, das Arbeitnehmer in Anspruch nehmen können. Finden alle super, voller Begeisterung liegen sie sich in den Armen und feiern die Errungenschaften vergangener Arbeitskämpfe.

Aber streiken, während Muttis ihre Kleinen in die Schule fahren oder Papis ihren Flieger zur nächsten wichtigen Konferenz kriegen müssen? Soweit kommt‘s noch! (Politisch korrekt klingt das dann so [ändert aber auch nichts]: Aber streiken, während Papis ihre Kleinen in die Schule fahren oder Muttis ihren Flieger zur nächsten wichtigen Konferenz kriegen müssen? Soweit kommt‘s noch!)

Mit dem Widerstand ist es halt wie mit der Redefreiheit: generell eine coole Sache, die wir alle mit vollem Herzen verteidigen wollen, aber insgesamt eher störend, wenn sie in Anspruch genommen wird und dabei falsche Dinge gesagt werden.

Aber zurück zur Schulpflicht.

Das Gekeife, dass die Meinung der Schüler ja wichtig sei, außerhalb der Schulzeit aber keineswegs an Relevanz verlieren würde, greift ebenso wenig wie der Hinweis, dass Bürger nun einmal neben Rechten auch Pflichten hätten.

Zum einen hätten die Demos der Schüler und Schülerinnen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eben nicht die Aufmerksamkeit erhalten, wenn sie das samstags machen würden. Zum anderen wollen wir doch jetzt nicht kleinlich werden, oder? Seit Jahrzehnten arbeiten Wirtschaft und Politik erfolgreich daran, das Klima auf die stille (heiße) Treppe zu setzen. Mit Erfolg, wie wir feststellen müssen. Und nun bekommen Schüler langsam Schiss, dass ihr Leben, das noch deutlich länger dauert als das ihrer Eltern und Großeltern, womöglich in der zweiten Hälfte (oder früher) eine heiße, aber keineswegs prickelnde Angelegenheit werden könnte. Mehr noch: sie stellen fest, dass es auf genau dieses Desaster hinausläuft, wenn sich nichts Grundlegendes ändert.

Die Luft wird dünner. Und das führt zu dicker Luft. Zu Unmut, Wut und Protesten.

Und die Reaktionen der Kritiker von Schülerdemos: Muss man mal sehen, wie das gehen soll mit dem Klima, kostet ja auch Geld, wir müssen sehen, wie wir das mit den Arbeitsplätzen geregelt kriegen, andere Länder sind auch doof, weil die nicht mitmachen, während wir damit auch schon wieder weitgehend aufgehört haben, und außerdem sollen da doch lieber Profis ran. Die schaffen das!

Klingt auch in meinen Ohren (obwohl ich die Volljährigkeit bereits vor einigen, wenigen Jahren erreicht habe) nicht unbedingt glaubwürdig. Klingt eher so, als hätten die Entscheidungsträger zwar die eine oder andere Idee und Einsicht, mit der Umsetzung müsse man aber vorsichtig sein und vielleicht dem ganzen Problem noch 20, 30 oder 50 Jahre geben.

Nur: Mit Fug und Recht sagen die jungen Menschen, dass sie sich ziemlich sicher sind, diese Zeitspanne nicht mehr zur Verfügung haben. Und da sollen sie brav zur Schule gehen? Über ihre beruflichen Perspektiven nachdenken? Womöglich gleich noch die Familienplanung in ihre Überlegungen einbeziehen? Immer samstags? Nach fünf Tagen Schule und Unterrichtsausfall, weil der Staat es nicht mal auf die Reihe kriegt, genügend und qualifizierte Lehrkräfte zur Verfügung zu stellen? Also, nee, echt jetzt. Das kann nicht wirklich überzeugen.

Und dann gibt es da ja noch einen anderen Punkt, der gern unter den Tisch fallen gelassen wird.

Es geht um den Fortbestand der Menschheit. Klingt komisch, ist aber so. Wir provozieren unser Lebensumfeld seit Jahrzehnten, und immer wieder gab uns dieses Umfeld Signale, die darauf hindeuteten, dass das nicht gut ankommt. Wir spüren die Auswirkungen unseres Handelns inzwischen von Jahr zu Jahr deutlicher, heiße Sommer, Stürme, Überschwemmungen, der Niedergang des ewigen Eises, das Anwachsen des Meeresspiegels – all das sind Zeichen dafür, dass wir es übertrieben haben und weiterhin übertreiben.

Und die Reaktion darauf? Ja, schon schlimm, aber soooo schlimm nun auch wieder nicht. Und in jedem Fall nicht so schlimm, als dass man sich freitags gruppendynamische Vormittage auf der Straße machen kann, wenn man doch besser in ausgefallenen Physikstunden sitzen könnte.

Ich weiß nicht, wie lange ich es schon höre (und zuweilen selbst sage), dass die Jugend doch völlig verblendet ist, sich nur mit ihren Smartphones beschäftigt und kein Interesse an gesellschaftlichen Themen hat. Das tut sie seit einigen Wochen nicht mehr, sie steht auf, meldet sich zu Wort und macht darauf aufmerksam, dass sie diesen Scheiß nicht länger mitmachen will. Ist dann aber auch nicht richtig. Protest ja, aber bitte so, dass keine einzige Regel verletzt wird.

Das ist eigentlich das Schlimmste an den Verurteilungen der Schülerdemos: dass auf Recht und Ordnung verwiesen wird. Und zwar von Leuten, die maßgeblich dafür verantwortlich zeichnen, dass Recht und Ordnung seit Jahrzehnten mit Füßen getreten werden. Und die das auch weiterhin tun. Allerdings nicht außerhalb ihrer Dienstzeit. Nein, mittendrin, und sie lassen sich dafür auch noch bezahlen.

Redaktion
Redaktion
Die Redaktion der neulandrebellen setzt sich zusammen aus den beiden Gründern: Tom J. Wellbrock und Roberto J. De Lapuente. Später kam noch Gert Ewen Ungar zur Redaktion hinzu.

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