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Respekt!

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Ich weiß gar nicht, wieso – irgendwie mußte ich heute an meine Oma selig denken. Eine kleine, schmächtige Frau, kaum ein Meter sechzig groß, die zwei Weltkriege überstanden hatte und nach dem zweiten war sie dann plötzlich »alleinerziehend«, nur ohne festen Unterhalt, weil der, der den hätte bezahlen müssen, der war einfach tot.

Über Burnout und wie es früher war: Ein Gastbeitrag von Christian v. Sandow

Also hat sie sich einen riesigen alten Schreibtisch in das Wohnzimmer ihrer kleinen Zweiraumwohnung gestellt und das war fortan das Postamt in ihrem Ort. Morgens gegen 7.00 Uhr kam das Postauto und brachte viele dicke Bündel mit sogenannten »Zeitungen« (so ähnlich wie heute die Werbung, nur zigfach größer und schwerer, aber auch nicht interessanter – sowas haben die Menschen damals gelesen, weil es noch keine Blogger gab) und »Briefen« (wie e-Mails, aber auch auf Papier) und jede Menge Paketen und Päckchen und manchmal großen Säcken. Das hat sie dann alles hin und her gestapelt auf ihrem Küchentisch und sortiert und auf ihr Fahrrad geladen und das hat sie dann durch den von den Treckern knöcheltief zerfahrenen Sandweg geschoben und den ganzen Kram im halben Ort verteilt und dann die nächste Fuhre geholt und die übernächste und weiter ging’s und immer weiter bei Sonne und Regen und Schnee und Eis und natürlich bissig-postbotenhassenden Hunden sechs Mal die Woche. Alles alleine und mit dem Rad und nicht bloß einen Zettel in den Briefkasten schmeißen wie son DHL-Kutscher. Nur die Klimakatastrophe gab es noch nicht, damals drohte uns noch die nächste Eiszeit.

Irgendwann am Nachmittag wurde dann das Mittagessen gekocht: Kartoffeln und Gemüse aus dem Garten holen (ggf. gleich noch säen, pflanzen, gießen, Unkraut jäten), Fleisch und Eier hatte sie meist von ihrer Tour von den Bauern mitgebracht, und Holz für die Kochmaschine (so ähnlich wie Mikrowelle, aber viel größer und voll so ökomäßig ohne Strom) hacken und heizen und schnippeln und rühren. Hinterher Büro (ohne Computer, nur mit Kopfrechnen), die Leute kamen Briefmarken kaufen und Pakete einliefern, Geld aufs Sparbuch einzahlen oder telefonieren. Viele, viele Leute, meist bis spätabends. Sie hatte (außer dem Bürgermeister) das einzige und zudem auch noch öffentliche Telefon im Ort und grad die Frauen waren ja damals auch schon ähnlich mitteilungsbedürftig wie heute. Ferngespräche »nach drüben« mußte sie anmelden, das dauerte dann mehrere Stunden bis Tage und wenn irgendwann das andere Ende »da« war, hat sie schnell den Hörer daneben gelegt und sich – gerne auch mal nachts um 3.00 Uhr – ihre Postbeamtenjacke übers Flanell-Nachthemd geworfen und ist losgeflitzt, den wartenden Telefonierwilligen aus dem Bett zu holen. Das mußte verdammt fix gehen, denn telefonieren war sauteuer und der Zähler lief und wenn es zu lange gedauert hat, war die Verbindung weg und das Spiel ging wieder von vorne los. Zwischendurch natürlich auch noch Kindererziehung und Haushalt und »Wäsche« wurde auf dem Rubbelbrett in der Zinkwanne in der Waschküche gemacht. Da wird es wenigstens richtig sauber. Eine Doppelbelastung oder eine Waschmaschine hatte sie zeitlebens nicht.

Als sie dann Rentner wurde, haben sie sie zum »Post-Hauptsekretär« befördert. War sie mächtig stolz drauf und mit Rente plus Gehalt plus Zulagen hatte sie dann fast 900 Mark bar auf Kralle. Nicht ganz so viel wie ein Parteisekretär, aber immerhin weit mehr als die allermeisten anderen. Und darum hat sie das dann auch noch 15 Jahre so weiter gemacht, bis das alte Postfahrrad ihr endgültig zu schwer wurde auf dem sandigen Weg.

Harte Zeiten, noch gar nicht so lange her und doch so unendlich fern: Heute beklagt sich eine »50 ist das neue 30« blutjunge kinderlose Millionärin mit Chauffeur und Personal und einem ganzen Büro voller Zuarbeiter über »Burnout«. Respekt!

Keine Frage, auch Politiker arbeiten oft ziemlich hart und ich bin der Vorletzte, der ihre Leistung schmälern wollte. Sie werden dafür auch fürstlich bezahlt und pensioniert und ich gönne es ihnen. Aber anbeten möchte ich sie dafür nicht. Dann lieber die vielen Millionen Männer und Frauen, die für ein Bruchteil solcher Einkommen Tag für Tag fleißig unsere Welt am laufen halten und gar nicht die Zeit haben, dauernd in irgendwelche Fernsehkameras zu grinsen.

Vielleicht sollten wir bei Gelegenheit alle mal kurz innehalten und mal so ein ganz klein bißchen die Relationen wieder zurechtrücken: Ja, wir müssen immer noch arbeiten und ja, manchmal ist das verdammt anstrengend und Spaß macht es auch nicht immer. Aber wir haben längst unzählige Maschinen und Computer und Mikrowellen und Handys und weiß der Teufel, was alles für Technik, die uns das Leben geradezu lächerlich erleichtert. Freuen wir uns doch auch mal, daß das so ist! Grad ist Wochenende und das Wetter soll ja schön werden: Holen wir uns doch mal wieder ein kleines Blumensträußchen und gehen wir unsere Mütter und Väter und unsere Omas und Opas, die den ganzen Krempel erfunden und uns unsere »Work-Life-Balance« überhaupt erst ermöglicht haben, besuchen, zuhause oder im Heim oder halt eben auf dem Friedhof und sagen wir doch einfach mal wieder: »Danke«. Das ist auch Respekt…

Gastautor
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Der Inhalt dieser Veröffentlichung spiegelt nicht unbedingt die Meinung der neulandrebellen wider. Die Redaktion bedankt sich beim Gastautor für das Überlassen des Textes.

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