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Rollerfahren mit Andi

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Ernsthaft? Elektrische Roller? Das ist das Thema des Verkehrsministers im Moment? Wir haben ein Problem mit der massenweisen Beförderung von Menschen. Mit Straßen und Schiene – aber Herr Scheuer fährt e-Roller und macht daraus eine Chefsache. Die Debatte um das Ding zeigt nur den verkehrspolitischen Stillstand auf, in dem wir uns befinden.

Ich saß in einem Wartezimmer, als mich die Bilder zur Pressekonferenz des Verkehrsministers zum Thema elektrischer Roller erreichten. Das schien ein sehr wichtiges Ereignis zu sein. Wie immer eigentlich, wenn Andreas Scheuer was anpackt. Da wird selbst der Abwasch zum Event. Oder ein Happening wie jenes in Ingolstadt, als man das Flugtaxi vorstellte – mit einem Dummie, der weder flog noch betretbar war. Ganz egal, der Minister ist die Show. Nicht die Innovation. Wenn es denn überhaupt eine gibt bei der amtierenden Verkehrspolitik. Jedenfalls ging es nun um den e-Roller, großer Hof in Berlin. Der Minister fährt auch Roller durch die Flure seines Ministeriums, heißt es. Er mag seine Trittharley. So sehr, dass er viele Hoffnungen in sie steckt. Nicht nur persönlich, sondern für uns alle. Der e-Roller stellt für ihn ein unverzichtbares Mittel zur neuen Mobilitätsoffensive dar.

Wahrscheinlich ist der e-Roller die erste verkehrspolitische Maßnahme dieses Mannes, in der man ein kreatives Moment erahnen kann. Bislang betonte er ja nur, dass es weiter, immer weiter so gehe. Gründe zur Veränderung sah er wenig – oder sogar keine. In dieser Haltung gab er sich destruktiv, denn die Bürgerinnen und Bürger nehmen die Verkehrssituation anders wahr. Der öffentliche Nahverkehr lässt zu Wünschen übrig, die Straßen sind vollgestopft, Staus gibt es auf Autobahnen und in Städten gleichermaßen. Feinstaub for free. Die Infrastruktur ist desaströs. Aber von ihm gab es Durchhalteparolen und das strikte Bekenntnis, dass an sich alles richtig laufe. Nebenber gab er sich als pater automobiliae, als Schutzherr einer Automobilindustrie, die betrogen, ausgebeutet und Kaufversprechen nicht erfüllt hat.

Rollen auf der Standspur

Jetzt kam also endlich was Konstruktives von Herrn Scheuer. Der elektronische Tretroller. Er soll das Pendeln revolutionieren. Hoffentlich. Spätestens allerdings nachdem man endlich einen modus vivendi auf den Straßen gefunden hat. Denn eigentlich ist es so: Ein Run auf den e-Roller würde entweder die Radwege oder die Straße überfordern. Da Radwege noch längst nicht in jeder Straße vorhanden, ja auch gar nicht realisierbar sind, werden lahme e-Roller-Fahrer lieber nicht ängstlich die Straße nutzen, sondern auf den Gehweg ausweichen.

Wie das aussieht, brauchen wir uns nicht auszumalen. Die Realität auf Deutschlands Straßen kennen wir alle. Neulich hat man in einem Anflug von Gaga-Debatte über die Rüpelhaftigkeit von Radfahrern salbadert. Als ob nur die Radfahrer Rowdies wären! Das liebste Kind deutscher Erfolgspolitiker, der Autofahrer nämlich, steht dem doch ins Nichts hinterher. Und Fußgänger sind ja beileibe auch nicht alle Engelchen. Der Verkehr ist eine Hackordnung, ein evolutionäres Ringen auf Rädern und Füßen. Jeder sucht sich eine vorteilsversprechende Nische. Ohne Rücksicht auf Verluste. Mit e-Roller-Fahrern kommt eine neue Spezies dazu, wird die Nahrungskette neu geordnet.

Es gibt keine Struktur, um den Traum des Verkehrsministers, nämlich die e-Roller-Revolution, verträglich auf die Straße zu bringen. Bei plötzlich ansteigenden Anmeldezahlen sind sie eine Bereicherung für das Verkehrschaos, benötigen ein eigenes Leit- und Wegesystem, um sich und andere nicht zu gefährden. Wo man aber nochmal gesonderte e-Roller-Spuren einzeichnen kann, bleibt fraglich. Scheuers phantastische Vorstellung und die Regelungen, die er in seinem Ministerium hat ausarbeiten lassen, korrespondieren gar nicht miteinander.

Gibt’s doch gar nicht … doch mit Roller!

Aber zum Glück müssen wir uns gar keine zu großen Sorgen machen. Der e-Roller ist ein nettes Gimmick, sicher wird er im Freizeitsektor für viel Freude sorgen. Als Beförderungsmittel, gar als Fortbewegungsmittel für Pendler, wird er eher nicht verwendet werden. Die Dinger sollen bestenfalls 20 Stundenkilometer erreichen, im Regelfall sind sie langsamer. Wenn jemand regelmäßig von Frankfurt-Zeilsheim nach Frankfurt-Fechenheim zur Arbeit pendelt, sprich von West nach Ost, dann ist er ohne rote Ampeln mehr als eine Stunde unterwegs, je nach Modell vielleicht sogar anderthalb Stunden. Und das in bequemster Körperhaltung und mit Arbeitstasche an der Hüfte. Frankfurt ist eine ziemlich dörfliche Großstadt, man baut in die Höhe, weil das Stadtgebiet beschränkt ist. In Berlin, wo die Distanzen ganz andere sind, verspricht so ein e-Roller weitaus längere Anfahrtszeiten. Am Ende werden es diejenigen sein, die heute mit dem Fahrrad oder zu Fuß zur Arbeit kommen, die auf das hippe Teil umsteigen.

Wir haben wirklich gravierende Probleme, was die Massenmobilität betrifft. Alles spielt Andreas Scheuer runter. Was er auspackt ist ein Roller. Seine jugendliche Agilität ist mitunter falsch interpretiert worden. Der Mann ist kein Jugendlicher, er ist schlicht ein infantiler Charakter, der gerne spielt – und durch die Gegend stromert und rollert. Dass er das jetzt auch noch der Öffentlichkeit zeigen darf, das freut den Andi schon sehr. Hoffentlich entdeckt er jetzt nicht auch noch das Waveboard als Freizeitspaß. Falls doch, wird es bitter für uns Verkehrsgeplagten. Man wird uns das Waveboard als Alternative anpreisen. Denn mit den welligartigen Moves des Brettes, kann es uns gelingen, durch die Ansammlung von Feinstaubwolken zu mäandern.

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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