Als Autor oder – weniger hochtrabend gesagt – als Blogger bin ich zwangsläufig auf der Jagd nach Themen. Dabei würde ich mich so oft lieber rausziehen aus der Sache – und nichts mehr sagen. Denn was für Unsinn uns mittlerweile beschäftigt: Ich kann das nicht mehr ernstnehmen. Geschweige denn dagegen was ausrichten. Und wenn ich noch ehrlicher bin: Ich glaube an nichts mehr.
Vor einigen Tagen saß ich mit derjenigen, die ich meine bessere Hälfte nennen würde, wenn es nicht so schrecklich kitschig klänge, auf einer Bank mitten in der Natur. Wie wir darauf kamen (auf das Thema, nicht auf die Bank), weiß ich nicht mehr sicher, aber es ging um Medien und um die Netzwerke, die aus einem unerfindlichen Grund »sozial« sein sollen. Sie sagte mir, sie würde meine Texte weniger lesen als vorher, was nicht an der Qualität liege, sondern eher daran, dass sie merkt, es tue ihr gut, sich aus dem ganzen Wahnsinn, um den es teilweise darin geht, gezielt herauszuziehen. Es bewege sich doch eh nichts mehr, inhaltlich behandelten Medien und Netzwerker nur noch Quatsch und das Niveau des Diskurses sei infantil – siehe Tempolimit, Schwangerschaftsabbruch oder SPD. Ich antwortete, dass ich mich eigentlich auch gerne rausziehen würde. Ich spüre das zuweilen ziemlich stark. Mich ekelt das alles so an. Ich kann aber nicht, weil ich Schreibender, weil ich Autor oder eben Blogger bin, ja weil das ein Standbein ist und weil natürlich auch was fehlen würde, wenn ich es plötzlich unterlassen würde.
Ah, moment, jetzt doch – jetzt fällt mir wieder ein, wie die Diskussion losging. Wir sprachen von diesem Mädchen namens Greta, besser gesagt von diesem Hype, der um sie entstanden ist: Fanboys und -girls vs. Greta-Hater. Neulich hatte ich mich ja schon dazu geäußert – und dabei wollte ich es eigentlich belassen. Aber drei Takte muss ich nachlegen, es geht ja weniger um das Mädchen selbst als um diejenigen, die sie feiern oder hassen. Was ich noch nicht wusste, als ich mich kürzlich ausließ über sie: Sie leidet am Asperger-Syndrom, einer autistischen Entwicklungsstörung. Ein Symptom von Asperger-Kandidaten ist es unter anderem, sich stark auf ein Thema fokussieren zu können, dabei alles andere auszublenden. Bei Greta kann man das gut erkennen, sie fokussiert die Debatte auf die böse Erwachsenenwelt und blendet natürlich allerlei Eckpunkte, die es zwecks komplexer Darstellung zu berücksichtigen gilt, natürlich gänzlich aus. Ob sie für Argumente größerer Gelassenheit zugänglich ist, weiß ich nicht. Menschen mit Asperger-Syndrom sind das häufig nicht. Anders gesagt ist es so, dass der Hype sie wegen eines Radikalismus‘ feiert oder anfeindet, der eine Folge autistischer Entwicklungsstörung ist. Das halte ich für verwerflich.
Dass sich da keiner, wenigstens keiner in meiner Bubble, die Mühe macht, ein bisschen differenzierter mit der Causa Greta umzugehen, lähmt mittlerweile mein ganzes Interesse für die Dinge, die da draußen offenbar Leute zu bewegen scheint. Dass die ganze Chose dann auch noch in einen irrwitzigen Diskurs über Schulstreiks und ausgefallene Schulstunden mündet und andererseits Kinder und Jugendliche zu Hoffnungsträgern glorifiziert werden, juckt mich nicht die Bohne. Ich gähne viel in letzter Zeit.
Um ehrlich zu sein, ich habe den Glauben verloren. Mich bewegt, mich überrascht, mich begeistert kaum noch was. Die ideologische Hürde ist zu hoch – den Satz habe ich aus Michel Houellebecqs neuem Buch »Serotonin«. Er lässt ihn seinen traurigen Hauptprotagonisten sagen, nachdem ihn ein französischer Landwirt mit etwas Hoffnung in der Stimme fragte, ob denn für französische Milch keine protektionistischen Maßnahmen seitens der Politik, der Regierung zu erwarten seien. Antwort: »Völlig ausgeschlossen. Die ideologische Hürde ist zu hoch.«
Bei unserem Gespräch auf der Bank inmitten der Natur stand ich überhaupt noch sehr unter dem Eindruck von Houellebecq. Er legt seinen Figuren ja die Desillusion in Mund und Tatenlosigkeit. Sie handeln stets als Figuren innerhalb einer Weltwirtschaft und Weltgesellschaft, in der die Lethargie Programm ist. Dass die Linken etwas retten könnten: Davon kann bei ihm keine Rede (mehr) sein, er sieht sie zu tief im liberalen Selbstbeweihräuchern stecken. Eine gemeinschaftliche Erdung der Gesellschaft sieht er nicht, ja, er weiß noch nicht mal, woher die kommen soll. Beschwörungen, wie wir sie heute in Teilen der SPD und der Linken sehen, Reden über den dringenden Zusammenhalt etwa, bewirken gar nichts – außer vielleicht, dass man ein bisschen nostalgisch wird beim Gedanken an den Kommunitarismus. Danach macht man wieder sein Ding, bestellt mit einer Ahnung davon, dass der Paketbote von seiner Arbeit nicht leben kann, trotzdem einige Klamotten und ein Konvolut an Bücher ins Haus.
Wenn ich es mir so recht überlege, trifft für mich Houellebecq den Nagel auf den Kopf. Ja, ich spüre das auch. Diese Ohnmacht, auch Lethargie. Wenn ich über das schreibe, was falsch läuft und das, wie ich es mir richtiger vorstelle, mache ich mir selbst doch nur was vor. Die Sache ist nicht fix, man kann Zukunft gestalten, weil sie nach vorne offen ist. Und trotzdem scheinen die Alternativen begrenzt und nicht mehr realistisch. Wie soll das auch klappen in einer Epoche des Narzissmus, in der Selfies das höchste Glück auf Erden sind, man Unternehmer seiner eigenen PR-Maschinerie in Netzwerken ist und man immer die richtigen Parolen im richtigen Moment posten muss? Die Mehrzahl der Menschen haben ihren Nächsten doch hinter sich gelassen, früher hat man jemanden als »Wichser« beleidigt, weil man ihm damit unterstellen wollte, er sei nicht mal in der Lage dazu, sich einem anderen Menschen hinzugeben. Er sei deshalb sexuell auf sich selbst zurückgeworfen. Bei ihm macht die Hand, was bei anderen ein liebender Mensch tut. Wir leben heute diesem Sinne nach in einem Zeitalter der Wichser. Die Autoerotik ist doch tatsächlich unverkennbar.
Von Wichsern kann keine Veränderung ausgehen. Ja, es geht noch weiter, wir treten in eine Ära ein, in der der Menschheit – wenigstens der des Westens – gewisse Vorstellungen nicht nur antiquiert vorkommen, sondern völlig verlorengehen. Wenn man, so wie ich und viele meiner Leser hier, einen Hang zu kommunitaristischer Gestaltung und Organisation hat, dann scheint man ein historisches Auslaufmodell zu sein. Das einzusehen ist hart. Leider fühlt es sich in letzter Zeit für mich aber so an. Ich bin ein Auslaufmodell – und das lange vor der eigenen Inkontinenz.
Der Liberalismus ist der Tod der Gesellschaft. Im Grunde ist es dies, was Houellebecq seit Jahren sagen will. Stattdessen haftete man ihm allerlei an: Islamhasser, Rassist oder Neurechter sollte er angeblich sein. Dabei geht es ihm nur darum, die Auswirkungen unserer liberalen »Gesellschaft« aufzudröseln. Gesellschaft steht in Anführungszeichen, weil es eigentlich das falsche Wort ist. Im Liberalismus zählt das, was die rosteiserne Lady einst meinte: »There ist no such thing as society.« Bei Houellebecq handelt es sich aber nicht nur um den Tod der Gesellschaft, sondern auch um den des Indidivuums, sofern es nicht mehr die Attribute aufweist, die im Liberalismus hipp sind: Jugend, Reichtum und Sexappeal. Wer nicht ficken kann, so meint der Autor zynisch, kann auch nicht mehr auf dem schönsten aller Nebenschauplätze Ablenkung finden.
Houellebecq fordert nicht, dass wir illiberaler werden sollten. Als Schriftsteller hat er nichts zu fordern, er schreibt Geschichten und überlässt es seiner Leserschaft Schlüsse daraus zu ziehen. Dass wir illiberaler werden müssten, kann man auch gar nicht sagen, ohne gleich in eine Ecke gedrängt zu werden, in die man nicht gehört. Aber klar ist es meiner Meinung nach schon, wir brauchen nicht weitere Grenzenlosigkeiten im gesellschaftlichen Zusammenleben, sondern wieder mehr Grenzziehungen, mehr Regularien, verbindliche Konventionen und natürlich auch Gesetze, die etwaige Laxheiten, die heute als normal angesehen werden (im wirtschaftlichen wie im sozialen Bereich), mit klaren Vorgaben unterbinden. Von links wird da nichts kommen. Und wenn es von rechts kommt, werden es womöglich zu enge Grenzen sein – letzteres will ich ganz sicher auch nicht.
Momentan gucke ich nur zu, schüttle den Kopf, ich rege mich nicht mal mehr auf oder bin gar sauer. Ich fühle mich wie ein Voyeur, der mitliest, zuschaut und der ahnt, das geht nicht gut aus. Auf keinen Fall. Trotzdem suche ich nach Themen, schreibe ja doch darüber, weil es nun mal zum Job gehört, weil es mich ja auch mit dieser nüchternen Distanz noch tangiert. Aber es ergreift mich nicht mehr, ich bleibe da distanziert. Houellebecq scheint es nicht so viel anders zu halten. Und mein Lieblingsautor, der dreckige alte Mann namens Hank Bukowski, war da auch nicht so viel anders. Er hat die Gosse beschrieben wie sonst keiner, aber ein Aktivist war auch er letztlich nicht. Er guckte zu und hoffte auf nichts mehr, er hatte aufgegeben und wohl erkannt: Diese US-Gesellschaft ist nicht verbesserungsfähig – fuck them. Und genau das spüre ich mittlerweile auch.
Nein, das heißt nicht, dass ich nun Nihilist bin oder mich biedermeierlich aufs Sofa setze und bei einer Tasse Kaffee hedonistischen Sinnstiftungsersatz suche. Auch werde ich nicht dazu übergehen, künftig Liebesgeschichten zu schreiben oder Sado-Maso-Short-Stories – obwohl man damit sicher mehr Geld verdienen könnte, wenn man sie gerade noch so eklig schreibt, dass die wohlstandsverwahrlosten Helikoptermütter sie vertragen können. Aber verrückt machen werde ich mich auch nicht. Der ganze Wahn unserer Zeit ist ausreichend ausgelastet, man schaue nur mal in die Netzwerke. Mich braucht er nicht auch noch. Im Augenblick würde ich sagen, dass es mir nicht darum geht, den großen Wurf zu erhoffen. Wenn wir hier und da ein bisschen was verbessern und erträglicher machen in unserer Gesellschaft, wäre das schon mal ein Ansatz. Sorry, dass es mir momentan nicht zu mehr reicht. Weltrettung kommt vielleicht demnächst – oder nie.