Bis neulich tat die europäische Politik noch so, als sei der Feldzug gegen so genannte Fake-News epochal. Mit Artikel 11 der EU-Urheberrechtsreform hat man diese Absicht wohl gänzlich eingestellt.
Ohne Lizenzen wird es künftig schwierig, sich auf das, was andernorts geschrieben und publiziert wird, zu beziehen. Schon kurze Textausschnitte aus Presseerzeugnissen, die man auf einer anderen Website zitieren will, müssen lizenziert werden, um das neue Urheberrecht einzuhalten. Das regelt insbesondere der berühmte Artikel 11 des Vorhabens. Was das für die Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit bedeuten könnte, kann man sich schon mit wenig Phantasie ausmalen. Wenn ein kleiner Blog wie dieser hier, sich mit einem dieser diffusen Artikel der FAZ oder irgendwelchem veröffentlichten Quark bei SPON auseinandersetzen will, fällt es schon mal weg, kritische Passagen auch nur zu zitieren.
Nichts Genaues schreibt man dann nicht mehr. Man umschreibt. Für Kommentarspalten, Analysen und Rezensionen ist das eine Katastrophe. Sie müssen im herumlavierenden Ton formuliert werden; wo es vorher noch ausreichte, ein kurzes Stück in Anführungszeichen einzupassen, benötigt man sodann eine Umgehungssprache. Denn wieviel vom Text der Anderen noch erlaubt, ab welcher Menge an Zeichen es lizenzierungswürdig wird, darüber wird noch verhandelt werden müssen. Und wie das eigentlich mit der Urheberschaft ist, wenn ich einen Satz wie diesen schreibe: »Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hatte«, muss ebenfalls noch geklärt werden. Denn da er schon mal prominent publiziert wurde, könnte man mir ja, falls ich das ähnlich sehe, einen Verstoss gegen das Urheberrecht unterstellen.
Ja überhaupt all die feststehenden Begriffe, die berühmten Floskeln aus der Pop-Kultur: Die in einen Text zu verwursten, ein Vorgang der an sich als Ausübung künstlerischer Freiheit Stinknormalität der schreibenden Zunft ist, damit dürfte es dann Essig sein. Essig sein? Hat das vorher schon mal jemand als seine geistige Leistung verbucht? Das muss man vielleicht genau prüfen. Mensch, so finde ich ja gar keine Zeit mehr um zu schreiben. Recherchierst du noch – oder publizierst du schon?
Aber zurück zum Ursprungsgedanken. Wenn ich den Fleischhauer nicht mehr in kurzen Abrissen zitieren kann (und das nicht mal positiv, weil er mal – wie neulich – einen guten Text fabrizierte), ohne dafür vorher zu Kasse gebeten zu werden, kann ich ja nur noch bildlich umspinnen, was er in einem aktuellen Text vom Stapel ließ. Der Stokowski darf dann keiner mehr ihre Sentenzen um ihre Ohrinnen hauen, sofern er nicht bei einem Verlagshaus arbeitet, das ihm die Zitierung finanziell möglich macht. Was bleibt ist, dass man sich umschreibend abstrampelt, zitiert ohne die Worte genau so anzubringen, wie sie vom Urheber ursprünglich aneinandergereiht wurden. Sprich, dieser Artikel 11 ist eine Aufforderung zu ungenauer journalistischer, chronistischer und publizistischer Arbeit.
Was hat sich die Politik in den letzten Jahren doch reingekniet in das, was sie Fake News nannten. Unwahren Behauptungen, die überall aus dem Boden schossen, sollte der Kampf angesagt werden – gemeint war natürlich nicht die Arbeit der so genannten Qualitätsmedien, sondern mehr so die Verlautbarungen aus sozialen Netzwerken, kleine Publikationen und Blogs, auch wenn die Qualitätsmedien seit Jahr und Tag faken. Man müsse gegen den Fake vorgehen, hieß es, am liebsten Gesetze schaffen. Und just einige Augenblicke später geht es plötzlich um eine Reform, die wenn man es penibel genau beleuchtet, nur eines begünstigt: Eben den Fake.
Plötzlich scheint er tolerabel. Im Angesicht konzentrierter Konzerninteressen, dem geballten Druck von Verlagsfabriken, scheint man sich plötzlich mit Strukturen, die eine unsaubere journalistische Arbeit begünstigen, abzufinden. Wenn die kleinen Anbieter nicht mehr Passagen zitieren können, weil ihnen die Mittel fehlen, fordert man sie ja quasi dazu heraus, ihre Arbeit nicht mehr ganz gewissenhaft zu verrichten. Dann mauscheln sie eben. Der Relotius hat das geahnt, er hat sich Zitate gleich selbst erfunden. Der Mann war Visionär, kein Pfuscher. Das hat nur noch keiner richtig gecheckt. Aber das geht uns allen noch auf. Jede Wette!
Vielleicht sind die mächtigen Verlagshäuser gar nicht so geizig mit der Zuteilung von Zitatgenehmigungen. Wenn man eine Rezension zu einem neulich erschienen Buch bringen möchte, geht es ja gar nicht so ganz ohne eingestreute Schlüsselsätze aus dem Werk. Rezensionen sind ja Werbung. Wer geizt da schon gerne? Ob man die Genehmigung erteilt, wenn sich jemand zu kritisch zu einem Buch äußern möchte? Warten wir es ab. Der Willkür sind jedenfalls Tür und Tor geöffnet. Und das dürfen Sie zitieren …