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Bürgernähe ohne Bürger

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Es gibt sie ja doch noch, die Politiker, die dorthin treten, wo wir normalen Menschen unseren Alltag verrichten. Doch dieser Abstieg von Eliten in den Bürgeralltag litt von jeher an einem: Am umgedrehten Vorführeffekt.

Franziska Giffey und Hubertus Heil haben es getan. Sie haben unlängst für einige Stunden in einem Altenheim als Pflegekräfte angepackt. Sie wollten aus erster Hand erfahren, wo die Herausforderungen in der Altenpflege liegen – und wo den in dem Beruf Tätigen der Birkenstock drückt. Natürlich erntete man nebenbei auch hübsche Fotos mit Senioren, die der Pfleger Hubertus bettet und denen er gut zuspricht. Für einen kurzen Augenblick dachte ich so bei mir, dass das nicht so schlecht sein kann. Wenn die beiden Minister den puren Alltag serviert bekommen, könnten sie ja vielleicht ein Gespür für die Mangelverwaltung in diesem Bereich entwickeln und das künftig berücksichtigen und zu Anwälte in der Sache werden. Aber dann dachte ich zurück an die Zeit, da ich noch als Schlosser arbeitete.

Seinerzeit verfielen wir alle halbe Jahre in einen Sauberkeitswahn. Die Werkshalle war – wie so viele Werkshallen es seinerzeit waren und heute noch sind – ein staubiges, völlig verdrecktes Loch. Überall lagen Späne herum, es roch nach abgestandenen Kühlmittel und der Gussstaub hing in der Luft oder lagerte sich auf Tischen, Stühlen und Arbeitskästen ab. Was man auch anfasste, man saute sich ein. Doch alle Halbjahre wurde gefegt und geputzt, ja man zog die Linien der halleneigenen Wege sogar weiß nach, räumte sogar den Pausenraum leer, in dem ab und an Material gelagert wurde. Die alten notgeilen Schlosser, diese Evergreens an der Fräse im speckigen Arbeitsmantel, mussten die Kalender mit den nackten Girls abhängen und das Bier, das seinerzeit in einem bayerischen Betrieb noch als bloßes Nahrungsmittel betrachtet wurde, sollte irgendwo abgestellt werden, wo es keiner sehen konnte.

All das musste sein, weil der Firmenvorstand aus der Schweiz anreiste und man ihn durch die Hallen und Abteilungen führen wollte. Der Mann sollte nicht den falschen Eindruck vermittelt bekommen, dass Arbeit schmutzig sein konnte. In seinem Betrieb wurde sauber geschuftet und in den Scheißhäusern seines Konzerns roch es stets nach Rosen. Kaum scheuchte die Delegation an uns vorbei, waren alle sauberen Absichten dahin. Der Alltag hatte uns wieder, die nackten Mädels grüßten vom Kalender und der Toni stellte sein Bier zügig wieder so ab, dass er jederzeit einen beruhigen Blick darauf erhaschen konnte.

Einen richtigen Auszug aus dem Leben von uns ordinären Leuten ist doch bei den Eliten weder gewollt noch möglich. Neulich soll Markus Söder in die Münchner U-Bahn gestiegen sein. Er wollte wissen, wie es den Münchner Pendlern so geht. Er nahm halt irgendeine Bahn, die gerade kam, auf die, die verspätet angekündigt wurde an der Anzeige, wollte er nicht warten. Wenn man kein festes Ziel hat und weiß, dass egal wo man am Ende rauskommt, die Dienstlimousine wartet, ist der Nahverkehr echt spitze – und aufgrund von Beliebigkeit und Wahllosigkeit unschlagbar pünktlich. Er stieg mit Sicherheitsleuten, Polizei und Kamerateam ein, die sich dann um ihn herum aufstellten. So einen äußeren Zirkel, der mich abschottet von Leuten, die schlecht riechen, böse gucken oder mir einfach nur zu nah auf die Pelle rücken, wünsche ich mir jeden Tag meines nahverkehrenden Lebens.

Wahrscheinlich hat er in diesem schützenden inneren Kreis Audienzen gewährt, Fahrgäste vorgelassen, um mit ihnen päpstlich Bürgernähe zu spielen. Am Ende war der Coup gelungen, der Herr Ministerpräsident, Mensch, der galt mal wieder als ein bodenständiger Kerl zum Anfassen. Jedenfalls, wenn die Sicherheitskräfte mal kurz nicht hingucken. Ansonsten darf nicht angefasst werden.

Bei Pfleger Hubertus und Schwester Franzi lief es sicherlich nicht so ganz viel anders. Wahrscheinlich klebte man die alten Bodenleisten fest, die vorher seit Monaten lose waren, wischte gründlicher als sonst durch, hing nette Bilder auf und, dessen bin ich mir ohne es sicher wissen zu können dennoch ziemlich sicher, man schulte das Personal im Umgang. Höflich antworten, die eigene Arbeit aufzeigen und mit froher Miene erfüllen: Aber Kritik, schroffes Aufzeigen der Probleme, ja vielleicht sogar hadern – lieber nicht, sonst wird der PR-Coup ziemlich hässlich. Und dann wird es unangenehm, ein bisschen peinlich für die Ministersleut.

Die Lebenswirklichkeit normaler Bürger wird »denen da oben« stets als Potemkinsches Dorf vorgeführt. Es gehört zu den fundamentalsten Aufgaben in dieser Republik, Entscheidungsträger oder sonstige Eliten von der Wirklichkeit abzuschotten. Das ist der umgekehrte Vorführeffekt. Den ordinären Vorführeffekt kennt jeder: Man will jemanden zeigen, dass was nicht richtig klappt, dann zeigt man es ihm und plötzlich funktioniert es. Andersherum gibt es diesen Effekt freilich auch: Man will eine Fertigkeit zur Schau stellen, die man ansonsten ohne Probleme beherrscht, aber just jetzt, da jemand interessiert draufguckt, kriegt man es nicht hin. Der umgekehrte Vorführeffekt möchte einen schlechten Zustand hingegen aufhübschen, miese Strukturen aufwerten und katastrophale Verhältnisse höflich umschiffen.

Diese kalkulierte Bürgernähe, die ganz ohne ehrliche Bürger, ohne den ehrlichen Bürgeralltag auskommt, gehört zu den wichtigsten Institutionen in einer Republik, in der die Schere zwischen oben und unten immer weiter auseinanderklafft. Man kann nicht ganz darauf verzichten, ein gewisses Interesse für die Lebenswirklichkeit der Leute zu präsentieren. Daher tut man so als ob. Aber dann stets bitte so, dass die Wirklichkeit nicht zu sehr einbricht in diese fotogenen Momentaufnahmen, da man herabsteigt in die Niederungen des Alltags. Man möchte doch den Eliten nicht diesen schönen Zauber zerschießen, wonach Deutschland das reichste, das am besten entwickeltste Land der Welt sei. Dieses Narrativ ist immerhin ein Dogma, Tatsachen sind ketzerisch. Daher Maul halten und lächeln: Das gehört zur hiesigen Staatsreligion.

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Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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