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Weihnachtsgrüße aus dem Safe Space

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Wo ist eigentlich die Triggerwarnung vor Erzählen der Weihnachtsgeschichte? Die ist mindestens so grausam wie Ovids Metamorphosen. Ach ja, fast hätte ich es vergessen: Soziale Deprivation genießt man ja zuweilen mit der ganzen voyeuristischen Härte des Schicksals. Na dann frohe Festtage auch …

Kaum zwei Tage ist es her, da habe ich auf dieser Welle von Verweichlichung palavert. Von der Welt als Trigger- und Vorwarnung. An einigen Universitäten hat sich in den letzten Jahren die Wohlstandsverweichlichung derart durchgesetzt, dass man Professoren faschistische Tendenzen unterstellte, weil die klassische Texte behandeln, in denen es vor Gewalt, speziell auch vor sexueller Gewalt, nur so wimmelt. Und man machte ihnen Vorwürfe, weil sie die alten Griechen behandeln, nicht aber die alten Griechinnen. Ein Hinweis darauf, dass die Welt damals leider sehr mannhaft gewesen sei, lassen die Fanatiker nicht gelten. Ihre Lösung des Problems lautet mehr oder weniger so: Dann sollte man lieber gar nichts mehr darüber lehren, damit kein falsches Bild von einer Menschheitsgeschichte entsteht, weil man ein richtiges Bild von ebenjener vermittelt.

Da heißt es also ausblenden statt wahrnehmen: Damit das vererbte Trauma des Zeitgenossen nicht wieder aufbricht. Nietzsche scheint auf eine befremdliche Art und Weise recht zu behalten, es ist »nicht nur die Vernunft von Jahrtausenden – auch ihr Wahnsinn bricht an uns aus. Gefährlich ist es, Erbe zu sein.«

Überraschend beginnt morgen nun also das höchste Fest im konsumkirchlichen Kalender: Weihnachten. Angeleiert wurde dieses Hochamt an Kaufwut einst von jungen Eltern, die ohne Bleibe waren, nicht mal ein Bett fanden. Der Mann offenbar ziemlich bildungsfern, nahm seiner Frau die Geschichte vom eingefahrenen heiligen Geist ab, der sie geschwängert habe, womit sich sein dumpfer Anfangsverdacht, es sei der Gemüsehändler von der anderen Straßenseite gewesen, schnell wieder zerstreute.

Wenn man es zusammenfasst, haben wir es mit einer relativ brutalen Geschichte zu tun. Sie handelt von Flucht, Armut und Kälte. Von nicht sehr belesenen jungen Leuten, die nachts an Türen klopften, abgewiesen wurden, ihren (gemeint ist hier: Possessivartikel singular) Nachwuchs zwischen Kuhscheiße und Eselmist auf die Welt holten und von neugierigen Hirten, die nach Schafskötteln mockerten, auch noch belästigt wurden. Die genannten Könige waren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit drei Saufkumpanen, die den Weg ins Bett noch nicht gefunden und zudem königlich einen in der Krone hatten.

Wo bitte hat je jemand da eine Triggerwarnung angebracht? Diese ganze Armut, diese ganze Abwärtsspirale, wenn man nichts hat, nichts weiß, nichts gelernt hat, keine Chance kriegt, kotzt mich so dermaßen an. Ja, sie macht mich fertig. Armut ist ein Menschheitstrauma. Ein brutales Los, das einen an den Rand des Erträglichen bringt. Und wer mahnt Warnungen im Vorfeld an? Stattdessen kriegt jedes Kind diese Geschichte zu hören, in der ganzen beschönigenden Kraft des Ultrabrutalen.

Ich habe mal wieder vergessen, dass die soziale Frage – und von der reden wir hier ja – das postliberale Publikum, dass die Welt zu einem besseren Ort triggerverwarnen will, ja so absolut gar kein Interesse an Sozialem pflegt. Wenn ein schielender Kerl einer Frau zulächelt, vielleicht in der Absicht, ins Gespräch zu kommen, die aber nicht reagiert, worauf der Kerl sein Lächeln intensiviert, noch einer Minute aber erfolglos abrauscht, dann blasen gewisse Kreise den Vorfall zu einem patriachalen Akt auf, rufen laut #MeToo und frönen in ihrer Bubble einem substanzlosen Opfer-Abo. Am Ende möchten sie keine Klassiker mehr lesen, weil darin die Menschheitsgeschichte als schielender, lächelnder Mann abgebildet wird.

Aber den kleinen Scheißer aus der Krippe, diese Geschichte von Armut, die nur exemplarisch steht für so viele Armutsberichte in der menschlichen Historie, traumatisieren offenbar keinen. Man genießt sie, wird ganz erhaben dabei, ein bisschen spendenfreudig und nennt es die stille Zeit des Jahres.

In diesem Sinne, liebe Leserinnen und Leser, wünsche ich Ihnen und Euch, dass diese stille Zeit zur Folge hat, all die verquasten Spinnereien, die da draußen Hochkonjunktur haben, für einige Tage zu vergessen. Und wenn Sie mal dabei sind, diesen Quatsch zu vergessen, verlängern Sie die Abstinenz doch einfach. Das schafft Zeitreserven für wichtige Themen. Armut zum Beispiel. Die gibt es immer noch. Materielle Armut. Und eine im Geiste. Gegen beide haben wir neulandrebellen was. Auf bald …

[InfoBox]

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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