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Bloß von Außen Minister

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Er beteuert, erbaut, bekennt, animiert und belehrt: Der amtierende Außenminister scheint der wichtigste Gesinnungsgenosse im Land zu sein. Ist das seine ministerielle Aufgabe? Heiko Maas ist letztlich nur von Außen Minister.

Okay, ich gebe es ja zu, vielleicht bin ich da hoffnungslos nostalgisch: Aber jemand wie Hans-Dietrich Genscher, der deutsche Außenminister schlechthin, hätte sich nicht vor einem Publikum produziert wie ein plumper Narzisst. Nun gut, die These hinkt, denn der Mann kannte Twitter oder Facebook noch nicht. Seiner Versuchung waren insofern Zügel angelegt. Aber so wie neulich sein Nachnachnachfolger, der zwitscherte, dass nun eine Combo von Schauspielern sich seinen Zuschriften gewidmet, sie vorgelesen habe, damit das geschätzte Publikum mal weiß, mit welchem Hass, welcher Menschenverachtung er es jeden Tag zu tun hat: Das hätte Genscher niemals getan. Und ich bin mir relativ sicher, Spitzenpolitiker haben zu allen Zeiten schlimme Zuschriften erhalten, nur waren die mit Schreibmaschine getippt oder, bei Psychopathen mit Stil, mit Füllfederhalter notiert. Aber das war den Altvorderen ziemlich egal, sie ließen solche Post daher schon im Vorzimmer aussieben. Wie gesagt, man mag dies Nostalgie nennen, aber ich glaube wirklich, die Politiker von damals waren, trotz ihrer Fehler, trotz ihres Opportunismus‘, aus einem ganz anderen Holz geschnitzt.

Natürlich hatte das auch mit Lebenserfahrung zu tun. Damals hatten sie Lebensläufe, Biographien – heute schmücken sie sich mit Viten, mit ausgestalteten Chronologien ihres wahnsinnig wichtigen Schaffens und außerordentlich bedeutsamen Könnens. Das ist natürlich der Preis unserer zum Glück an Krieg armen Zeit.

Ich gebe zu, ich bin nicht nur nostalgisch, sondern in der Beziehung auch ein wenig altmodisch. Ich finde nun mal, dass sich ein Minister nicht als Testimonial eignet – oder eignen sollte. Er sollte ein bisschen was ausstrahlen, wenn schon nicht Kompetenz, so doch zumindest Demut und Zurückhaltung, auch ein Gran an ehrlicher, authentischer Zuversicht kann hin und wieder nicht schaden. Aber als twitternder Aufmerksamkeitsökonom, der täglich Durchhalteparolen und Empörungsrhetorik verbreitet, der seine Amtsführung zu einem Schaulaufen von Empfängen macht, auf denen er geglänzt hat wie sonst keiner, kann man zu Heiko Maas nur eins feststellen: Sein ganzes Auftreten hat keinerlei Würde.

Nennt mich kleinkariert, aber ein Minister, der in die Kamera zwinkert, mit seinen Händen eine Kanzlerinnenraute in ein Herz verformt und so für das einjährige Jubiläum der Homo-Ehe wirbt, wirkt auf mich lächerlich bis clownesk. Außerdem hat das was schrecklich Selbstgefälliges. Es kommt mir vor wie eine Form mentaler Onanie, wie stümperhaftes Komplimentefischen, das einen narzisstischen Drang nachgibt. Maas tut das immer und immer wieder.

In einer NDR-Talksshow von 1985 hat Helmut Schmidt mal gesagt, dass – falls irgendwie vermeidbar – ein Regierungschef nicht mit »Tränen im Knopfloch« vorgeführt werden sollte. Die Moderatorin erhob Widerspruch, sie legte dem Bundeskanzler außer Dienst dar, dass ihr ein Staatsmann sehr viel näher und vertrauter auf sie wirkte, auch von ihr mehr geschätzt würde, wenn er Emotionen auch öffentlich zuließe. Schmidt erwiderte hanseatisch-cool: »Ich glaube Ihnen das – auf der anderen Seite ist seine Hauptaufgabe nicht, Ihnen vertraut vorzukommen.«

Dieser rhetorische Konter trockener Nüchternheit imponierte mir enorm, als ich die Aufzeichnung der Talkshow schon vor Jahren sah. Nüchternheit ist die neue Leidenschaft, finde ich. Wo sind denn die politischen Akteure, die sich das zum Credo ihrer Arbeit machen? Die »Träne im Knopfloch« ist heute bei fast allen dabei, Heiko Maas ist ein Meister des tränenerstickten, emotionalen Staatsmannes, der die nüchterne Distanz nicht nur nicht mehr wahrt, sondern sie zielgerichtet als PR in eigener Sache einsetzt.

Der Außenminister legt so viel Energie seiner Schaffenskraft in seine selbstverliebte Hoffnung, seinem Publikum, das eigentlich die Wählerschaft ist, nach und nach vertrauter vorzukommen. Hierfür stellt er sich dar als Vertreter eines weltoffenen, eines liberalen Deutschland, das offenbar in Dauerschleife bemüht ist, die Affekte seiner miserablen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik insofern zu bekämpfen, sie nicht als Symptome des politischen Versagens zu deklarieren, sondern als individuelles Versagen der Wählerinnen und Wähler, die etwas gegen offene Grenzen haben oder sogar für die AfD stimmen.

Eigenverantwortung war stets der kühne Abgesang des neoliberalen Putsches. Soziale Zusammenhänge aufzulösen und sie den Leidtragenden selbst in die Schuhe zu schieben: Das war die Agenda. Heiko Maas war in den Jahren, da sich diese Agenda etablierte, Hinterbänkler-Blogger bei Focus Online. Zusammen mit Oswald Metzger – erinnert sich noch einer an den? – galt er als das Zugpferd gebloggter Meinung im Neuland. Metzger gingen seinerzeit die Reformen nie weit genug. Aber auch Heiko Maas, eigentlich ein gemäßigterer Zeitgenosse als der Butcher aus Oberschwaben, bekleckerte sich nicht mit Widerworten und flankierte die Vorhaben der rot-grünen Bundesregierung mit einem jungen Sozialdemokratengesicht, das zwar hier und da ein wenig Bauchweh ausbrütete, aber eigentlich schon klar auf Schröder-Kurs blieb. In dieser Logik von Eigenverantwortlichkeit, der Ausblendung soziologischer Zusammenhänge, ist der Mann geübt- bis heute.

Aber als Außenminister, als Repräsentant eines Landes und seines Souveräns, ist es wesentlich problematischer, wenn man so tut, als sei ein Teil der Wählerschaft selbst schuld, dass er jetzt vom Twitterminister in fast jedem dritten Tweet gerügt und moralisch abgewatscht wird. Noch dazu, weil man davon ausgehen muss, dass das nicht Haltung ist, sondern der groteske Versuch, mit einer solchen Performance Vertrautheit herzustellen, um dieses soziale Kapital später in den Fortbestand der politischen Karriere umzusetzen.

Als Journalist sollte man sich mit keiner, auch mit keiner guten Sache gemein machen. Dass der deutsche Journalismus das seit Monaten doch tut, die sachliche Berichterstattung zugunsten einer einseitigen Kampagne aufgegeben hat, ist die halbe Miete, die uns zur Nüchternheit fehlt. Bei Politikern liegt die Sache freilich anders, sie müssen sich mit einer Sache, und wenn schon, so hoffentlich mit einer guten, gemein machen. Er – der Politiker – selbst ist aber nicht die Sache – und seine Person ist nicht der Mittelpunkt des Geschehens. Er ist nicht Gesinnungsbeauftragter, hat kein moralisches Mandat, sollte kein Testimonial des Zeitgeistes und gleichzeitig nicht gefallsüchtig sein. All das findet man bei Maas aber leider in jeder Facette. Er interpretiert sein Außenministeramt genau so, wie man sich keinen Entscheidungsträger im Lande wünscht.

Als Teil der Regierung könnte er mitwirken daran, dass die Bevölkerung wieder Vertrauen und Zuversicht erlangt, indem man sich vom strikten Sparkurs abwendet und jene Menschen auffängt, die ihm so völlig Gaga Beleidigungen schicken, die er dann wiederum publikumswirksam verlesen lässt. Das ist ein Geben und Nehmen und man könnte vermuten, dass da so viele Abgehängte, Globalisierungsverlierer und Abstiegsverängstigte im Land weilen, ist für einen wie Maas auch bloß ein egozentrisches Geschäftsmodell. Gäbe es sie nicht, fiele eine gute Gelegenheit für ihn weg, sich als der nette, offene Heiko zu positionieren, als einer von uns, der jetzt zufälligerweise halt Außenminister ist. Einer, der doch nur von Außen Minister ist, innen jedoch so ganz anders ist. Vertraut irgendwie – mit einer Träne im Knopfloch.

[InfoBox]

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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