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Auch AfD-Wähler gehören unteilbar zu diesem Land, ihr Superdemokraten!

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Es steht schlimm um die demokratische Kultur. Antidemokraten setzen sie fürwahr aufs Spiel. Allerdings auch Demokraten: Viele von ihnen interpretieren Demokratie als ethische Gesinnungsschnüffelei. Das ist nicht minder gefährlich!

Wie jetzt, die Demokratie ist in Gefahr? Stimmt doch so nicht. Klar, da ist die AfD – einige ihrer Vertreter zündeln, lassen durchschimmern, dass sie mit der Demokratie nicht so dicke sind. Aber dann ist da der ganze Rest, all die unteilbar Demokratischen, der von ganz Linksaußen in der Mitte angekommene Hohlphrasenantifaschismus, der jetzt überall Einzug findet. Die Anti-AfD-Stimmung ist doch ein riesengroßes Volksfest der demokratischen Kultur. Früher mussten Hunde draußen bleiben – jetzt macht man das auch mit Leuten, von denen man weiß, von denen man annimmt, sie wählten diese komische Alternative. Zivilcourage heißt das Spiel. Eines, das mit Ausgrenzung, Beleidigung und Diskreditierung jedem Mitmenschen begegnet, der sich nicht ausdrücklich von der AfD distanziert. Kurz und gut: Jetzt machen alle in Demokratie! Und das rabiat!

Als ich neulich las, dass jemand bei Facebook Likes damit generierte, indem er ernstlich kundtat, man sollte nicht mehr bei Händlern kaufen, von denen man wisse, dass sie mit der AfD was am Hut hätten, dachte ich noch an einen Spinner. Sein Plan zur Umsetzung, der den Leuten eine Vorgehensweise an die Hand gab, ging ganz einfach: Kunden eines solchen Händlers sollte man öffentlich an den Pranger stellen, notfalls deren Kinder mobben. Wie schlecht muss es einem mental gehen, wenn man solche Taktiken für legitim hält? So einen Bullshit schreibt doch kein normaler Mensch! Oder der Vorsitzende von Werder Bremen, der diesem Trend folgte, der AfD-Wählern noch immer die Dauerkarte entziehen will. Mensch, schickt den Mann zum Arzt! Er ist doch kein Gesinnungsbeauftragter, er sitzt bloß einem Fußballverein vor, der eine Ware anbietet: Fischkoppfußball – wie die Zuschauer ticken, kann ihn ja privat interessieren, aber verdammt nochmal doch nicht geschäftlich. Wie er das überhaupt prüfen wollte, kann man sich nur in der Phantasie ausmalen, womöglich schwebt ihm da eine versteckte Kamera in Bremer Wahlkabinen vor oder eine antifaschistische Drohne.

Dergleichen Auswüchse gibt es dieser Tage häufiger, es hat eine ganze Weile gebraucht, bis mir klar war, dass diese Vorschläge gar keine Fabrikate kranker Gehirne sind, sondern die Vorstellungswelt heutiger Modedemokraten. Ja, so ein Verhalten liegt heute im Trend, das sind die zeitgenössischen Versuche der Demokratierettung. Das sind gar keine übertreibenden Quatschköpfe, sondern Mitglieder des über-, des superdemokratischen Gedankenguts. Die Demokratie als Staatsform, in der man auch mal andere Sichtweisen, irrlichternde Dummheit und die Wissenslücken der Vielen aushalten muss, hat mittlerweile abgewirtschaftet. In der war es noch Aufgabe, argumentativ auf eine Veränderung hinzuwirken, Menschen für sich und seine Ideen zu gewinnen. In der hiesigen Superdemokratie ist man darüber hinweg; der Superdemokrat argumentiert nicht mehr, er hat keine Zeit dafür, die tayloristische Gesellschaft und ihr charakteristisches Zeitmanagement wirkt sich mittlerweile in alle Bereiche aus.

Offensichtlich ist auch der demokratische Prozess davon betroffen. Daher keine Plaudereien mehr mit dem politischen Gegner, sondern Druck und Diffamierung – und das nicht nur im politischen Kosmos, sondern überall, selbst beim Einkaufen oder im Stadion. Dem Superdemokrat geht es nicht um das, was jemand sagt, wie er argumentiert oder dummerweise sachliche Argumente nicht zur Kenntnis nimmt: Ihm geht es um die Gesinnung, um die Denke, die er auf den moralischen Gehalt checken und kontrollieren möchte.

Das Problem ist jetzt nur dies: Die Superdemokraten sind so gar nicht mehr demokratisch. Sie sind Pedanten eines ethischen Schnüffelzelotismus‘, völlig verkrampft und auf eine dogmatische Art und Weise so sehr von der eigenen Unfehlbarkeit ihres Kampfes überzeugt, dass sie einem Lynchmob inhaltlich näherstehen, als allem anderen. Adorno legte man mal fälschlicherweise einen Spruch in den Mund, der so gut war, dass man wohl einen prominenten Vertreter der modernen Linken benötigte, um ihn populär zu machen. So gesagt hat er ihn jedenfalls nie. Der Professor der Frankfurter Schule sagte in diesem Narrativ mal, dass er sich nicht vor den Faschisten fürchte, sondern vor den Faschisten, die in der Maske der Demokratie zurückkehren würden. Nun hätte sich Adorno getäuscht, wenn er das Zitat vollbracht hätte, denn wir sollten uns heute ein wenig mehr vor diesen Demokraten, die sich Faschistenmasken aufsetzen, fürchten.

Erinnert sich noch jemand an die vermaledeiten Wertedebatten der letzten Jahre? Da gab es immer mal wieder welche. Beim Kampf gegen den Terror zum Beispiel, als man Überwachungsstrukturen schuf, die dazu da sein sollten, unsere freiheitlichen Werte zu verteidigen. Welche sind denn dann noch übrig?, haben dann viele richtigerweise gefragt. Man fürchtete, dass von der freiheitlichen Grundordnung, von diesem höchsten Wert an sich, nichts mehr übrigbliebe, wenn man die verglast, generalüberwacht und abfilmt. Und ganz falsch war der Einwand sicher nicht. Als die Amerikaner im Irak einfielen, um die Werte des Westens zu verteidigen, hat sich fast die ganze Weltgemeinschaft gefragt, welche das sein sollen: Lügenpropaganda um einen Kriegsgrund zu haben? Destabilisierung einer Weltregion? Foltergefängnisse und Water Boarding? Wir sollten dieser Tage wieder eine Wertedebatte führen. Sie sollte die Demokratie zum Thema haben, besser gesagt, diese anmaßende Weise, wie liberale Zeitgenossen sie exekutieren möchten.

Es ist ja nämlich nicht nur so, dass sie einer schlichten Phrasendemokratie aufsitzen. Das wäre noch die kleinste Gefahr. Sie bringen es fertig, aus der These der Demokratie und der Antithese der Diktatur eine kuriose Synthese zu basteln, eine selbstgefällige Chimäre, die Demokratie nicht als Angebot an den Staatsbürger begreift, sondern als Waffe gegen alle, die sich innerhalb der Demokratie so bewegen, wie es ihnen gerade nicht gefällt. Sie haben ja gemeinhin gute Gründe, warum es ihnen nicht gefällt – aber mit den Mitteln der Gesinnungsstaaterei verteidigt man nicht das, was man zu verteidigen vorgibt: Hier schwant einem, wie Demokratie zum Gegenteil dessen werden kann, was sie eigentlich sein möchte. Sie transformiert zu einem lächelnden Diktat, einem Bekenntnisgeheische ohne Substanz, zu einem fragilen Zurschaustellen der vermeintlich eigenen intakten Moral.

Klingt wie bei der AfD, oder? Die Protagonisten dieser Partei sprechen doch auch allzu oft vom Gesinnungsterror. Sarrazin hat zu dem Thema sogar ein Buch geschrieben, wenn ich nicht irre. Umso schlimmer, dass diese Gesellen das als Thema aufgreifen können. Das müsste so nicht sein. Deeskalation geht nicht mittels Eskalation – anders ausgedrückt: Wenn man mal eine Stufe runterfahren würde, wieder von der superdemokratischen Haltung in eine stinknormale, entspannte, stoische demokratische Urform switchte, wäre diesen Leuten dieses Thema auch entzogen. Denn ganz falsch liegen sie leider damit nicht. Klar, wenn einer den Holocaust leugnet oder verspottet, dann hat er keinen Anspruch darauf, ganz normal gehört zu werden. Das denkt die Meinungsfreiheit im Lande nicht ab.

Aber auch da muss man nicht Gesinnungsterror anwenden, Anzeige zu erstatten reicht – tun wir mal bitte nicht so, als gäbe es keine Gesetze. Aber nur weil jemand glaubt, er hätte Zuwanderung gerne begrenzt, ist er noch kein Rassist. Doch genau diese Schiene wird auf dem superdemokratischen Catwalk gefahren. Die Rassistenkeule wird ausgefahren, der Bürger mit anderer Meinung kriminalisiert und in die Ecke gestellt. Zudem wird er ausgegrenzt, weil ganz besondere Hardliner glauben, so sichere man die Werte, die uns die Demokratie zugesteht. Das muss doch die wehrhafte Demokratie dürfen, werden nun einige einwenden. Wehrhaft meint aber in diesem Zusammenhang nicht das, was da draußen teilweise angeboten wird. Das sind die Mittel der adoleszenten Antifa, die jetzt auch in die Mitte der Gesellschaft vordringen und bei denen man so tut, als seien sie hochgradig vernünftig.

Sind sie aber nicht! Das ist eine Kinderei, die nichts sicherstellt, sondern alles gefährdet. Der Rechtsruck ist ja greifbar. Leugnen kann man ihn nicht mehr. Und gleichermaßen verrutschen wir inhaltlich immer mehr dorthin, wo man früher am ganz linken Rand fabulierte: Es geht nämlich klassisch antideutsch zu. Nur ohne schwarzen Houdie. Der schwarze Block ist in die mentale Matrix so vieler Demokraten vorgedrungen, dass das Werfen von Mollis wohl bald entschuldbar wird, wenn es nur AfD-Wähler trifft. Dass der demokratische Geist dieser Fanatiker ohne Lebenserfahrung eine Simulation ist, die dem untertänigen Gemüt der »deutschen Seele« übergestülpt wurde, haben die Superdemokraten leider noch immer nicht bemerkt.

Es fühlt sich noch zu gut für sie an, das eigene demokratische Versagen mit Standhaftigkeit, den eigenen diktatorischen Anspruch mit Wehrhaftigkeit zu umschreiben. Am Ende retten sie nicht die Demokratie, sondern bewerkstelligen die Überführung eines politischen Systems in ein Sittengefüge savonarolischer Verbiestertheit.

Gewöhnt euch dran, die AfD wird ein mal größeres, mal kleineres Nischenelement der parlamentarischen Demokratie bleiben. Jedenfalls bis auf weiteres. So ein Rechtsausleger ist eine durchaus legitime Fraktion im weltanschaulichen Spektrum – damit sind freilich nicht Drohungen und Nazi-Verherrlichungen gemeint. Aber dass es eine Partei gibt, die gegen Kosmopolitismus und Liberalismus wirbt, muss man aushalten können. Die besseren Argumente gewinnen freilich nicht immer. Aber wer es gar nicht erst versucht, der erlangt Deutungshoheit nie. Eine Deutungshoheit aber, die sich alleine darauf beschränkt, die Wähler dieser rechten Partei grundsätzlich auszuschließen, ist keine demokratische ihrer Art. Besser ist es jetzt, ganz schnell die Realitäten anzuerkennen und den Kampf fruchtbar zu führen; die Wähler der AfD gehören letztlich auch unteilbar zu dieser Republik. Es kömmt darauf an, sie zu verändern. Und nicht sie zu verprellen.

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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