Dumping ist aus der Mode. Prekarisierung von gestern. Im Unterbietungswettbewerb ist das Dumpingdumping die ganz neue Schiene. Wir sorgen uns um prekäre Beschäftigungsverhältnisse und nennen das dann »Sorge um Arbeitsplätze«. Was für eine Misswirtschaft!
Die Aldisierung schreitet munter voran: An manchen Filialen ist es bereits heute möglich, sein Vehikel mit Benzin oder Diesel aufzufüllen. Acht Aldi-Tanken gibt es bundesweit mittlerweile – und es sollen natürlich noch mehr werden. Wohnungen plant Aldi auch schon: Die Das D in BRD steht indessen ziemlich sicher für Discounter. Nur die Tankstellenbesitzer nörgeln herum. Sie warnen nämlich vor Jobverlusten. Gegen Aldi seien sie nicht gewappnet und nicht wettbewerbsfähig.
Haben Sie schon mal in die Stellenanzeigen geguckt? Falls ja, dann wissen Sie sicherlich, dass die Jobangebote, mit denen die Tankenstellenbranche in ihrem Portfolio kokettiert, selten als Normalarbeitsverhältnisse verstanden werden. Falls doch, dann geht es über einen Verleiher – exklusive Verantwortung und Sozialstandards inklusive. Tankwarte gibt es ohnehin kaum noch, Scheiben wischt Fahrer oder Fahrerin von Welt heute selbst. Die Jobs, die innerhalb dieser Branche angeboten werden, spielen sich besonders im Innenraum der Tanke ab. Kassieren, Regale nachfüllen, Gummibrötchen aufbacken oder Toilettenschlüssel rausrücken – solche Tätigkeiten halt. Und diese Handgriffe rechnen Tankstellenbesitzer meist als geringfügige Beschäftigung ab. Sozialversicherungspflichtig ist ein Arbeitsplatz in dieser Branche selten. Daher trifft man so oft junge Leute hinter der Kasse, teils wirklich blutjunge Studenten oder mit einer beruflichen Übergangslösung konfrontierte junge Schulabgänger, die froh sind, dass sie sich überhaupt einige Groschen verdienen können.
Sorge um Arbeitsplätze? Echt jetzt? Das treibt die Tankstellenbesitzer um? Die Branche ist doch faktisch schon lange ausgelutscht. Da gibt es doch nichts mehr Schützenswertes zu schützen. Hier wird Dienstleistung zu kleinem Geld feilgeboten. Wer sich in den Kopf setzt, als Angestellter einer Tankstelle seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, der kommt etliche Jahrzehnte zu spät. Die Drei von der Tankstelle boten zu Zeiten des Wirtschaftswunders Service an. Unser heute vermeintliches Wirtschaftswunder ist nur ein blaues Wunder – für Lohnabhängige im unteren Lohnsegment zumal.
Geiz wurde in den letzten Dekaden zu einer Sache von Geilheit verklärt. Das Land wurde zu einem gigantischen Discounter, die Wirtschaft driftete in eine Misswirtschaft ab, in der Aufstieg, Perspektiven und Zuversicht ausgeklammert wurden. Strohhalme wie Minijobs galten plötzlich als gute Chance, ein rettender Deal: Wenn man sie selbst nicht antreten musste. An der Abwärtsspirale des Billigheimerkurses bastelten alle mit, zwangsläufig auch die, die nur noch geringfügige entlohnte Arbeit fanden, sie stützten den Aldisierungstrend – konnten ja auch gar nicht anders. Prekarität verstetigte sich, Dumping wurde zum sinnentleerten Credo. Wettbewerbsfähigkeit nannte man dieses Konzept euphemistisch.
Aber so richtig wettbewerbsfähig ist letztlich keiner im Unterbietungswettbewerb. Jetzt sind wir so weit, dass wir den Sorgen der Tankstellenbesitzer lauschen, die gemeinhin ihr Geschäft mit Minijobbern und Leihpersonal bestellen. Dumping war gestern, heute prägt Dumpingdumping den Diskurs. Eine Haltung, die so tut, als sei der längst unterbotene Job noch satisfaktionsfähig. Es geht an vielen Stellen der real existierenden Wirtschaft doch gar nicht mehr um eine Verbesserung der Arbeitsverhältnisse, sondern um einen aussichtslosen Kampf, die ohnehin miesen Bedingungen wenigstens noch eine Weile am Laufen zu halten. Besser so eine Arbeit als gar keine Arbeit. Tanke für diese Arbeitsstelle! Das schimpft sich in diesen Breitengraden dann übrigens Wohlstand.
Nach diesem Prinzip hat seinerzeit auch die Propaganda gegen den Mindestlohn gekurbelt. Wenn der käme, hieß es damals, dann fielen viele kleine Arbeitsplätze weg. Besser einen unsittlich bezahlten Job, als gar keinen: So lautete die Devise. Die Erkenntnis, dass jemand, der ein Produkt oder eine Dienstleistung anbietet, welches nur mit ausgebeuteten Personal wettbewerbsfähig ist, ja unter Umständen gar keine Geschäftsberechtigung haben könnte, sagte niemand laut: Die schönen lausigen Jobs! Die muss man doch schützen!
Im Grunde müssten wir jeden Tag auf gesamtgesellschaftlicher Ebene fragen, ob dieses Geschäftsmodell denn so berechtigt ist. Wenn es jetzt so weit ist, dass wir die Aldisierung gegen Minijobs und prekäre Arbeitsverhältnisse ausspielen, dann lässt sich so richtig schön ermessen, wie eilig der Abwärtsdrive wirklich ins Tal rauscht. Merkt nur keiner so richtig, die politische Elite lobt ja dieses kostengünstige Deutschland über den grünen Klee. Mit Dumping und Fälschersoftware leben wir gut und gerne in Deutschland.
Autos kaufen keine Autos. Diese angedroschene Binse aus dem Hause Ford stimmt schon. Die geringfügig Beschäftigten, die an einer Tankstelle werkeln, decken sich freilich günstig beim Discounter ein und stärken dessen Stellung. Wir haben viel zu lange Misswirtschaft mit Wirtschaft verwechselt …
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