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Macht’s Maul auf, Linkspopulisten!

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Liebe Linke,

was seid Ihr bloß für Weicheier! Politischkorrektdominierte, Opportunisten, Jammerlappen! Ich nehme gleich zu Beginn den Vorwurf der Pauschalisierung in Kauf und schreibe trotzdem weiter. Klar sind nicht alle Linken Weicheier, aber da geht das Problem ja schon los. Es muss immer alles haarklein analysiert werden, geprüft auf mögliche Formulierungen, die eventuell nicht so richtig korrekt sind. Da wird abgewogen, neu formuliert, ein Detail angebaut, das dem Ganzen den richtigen Schliff geben soll. Und dann wird alles wieder verworfen und noch einmal neu begonnen. Schließlich muss man seine Kritik angemessen ausdrücken und darf dabei keine Minderheiten diffamieren oder auch nur in unangebrachter Weise mit einem Thema vermengen, das eigentlich damit ja gar nichts zu tun hat. Also, noch mal, ran an den Speck, neu denken, neu formulieren, neu … ups, und dann ist das Thema längst vom Tisch! Verdammt, was ham‘wa falsch gemacht?

Im Grunde gar nichts. Oder auch: alles.
Es ist löblich, wenn man versucht, einerseits berechtigte Kritik an den politischen Verhältnissen zu üben, womöglich sogar gleich ganz global die Systemfrage zu stellen. Andererseits aber vermeiden will, dass dabei Leute unter die Räder kommen, die ja selbst Opfer des Systems sind. Ist eine schwierige Kiste, denn schließlich will man ja auch jemanden erreichen, also die Klasse, die man kritisiert, die Leute, mit denen man im politischen Alltag gerne kuschelt. Und nicht zuletzt die, die künftig mal endlich vernünftig werden und die richtige Partei wählen oder für die Revolution die Mistgabel in die Hand nehmen sollen. Nicht ohne, diese Aufgabenstellung, denn da muss man ganz schön unterschiedliche Zielgruppen erreichen. So gesehen kein Wunder, dass gegrübelt und geplant wird, bis der Arzt kommt. Der dann aber nicht mehr kommen wird, weil man so lange gegrübelt hat, dass das Ende des Quartals angebrochen ist und er eh nichts mehr abrechnen kann, weil sein Budget aufgebraucht ist.
Fuck, so wird das nichts!

Über Diether Dehm will ich an dieser Stelle übrigens gar nicht im Detail sprechen, das hab‘ ich nämlich schon getan, viel mehr gibt es für mich in dieser Angelegenheit nicht zu sagen. Aber die Tatsache, dass er Heike Maas als „Nato-Strichjungen“ bezeichnet hat, eignet sich als Paradebeispiel linken Versagens.
Hoppla, ich hab „Heike“ statt „Heiko“ geschrieben. Beim Korrekturlesen hab ich aber beschlossen, es aus Prinzip so zu lassen. Frauenfeindlichkeit fehlt ja eigentlich noch in dieser albernen Debatte!
Denn für den „Strichjungen“ hat er voll auf die Fresse gekriegt. Von links! Von rechts auch, aber das war ja Sinn der Sache. So geht Populismus, und so muss er auch gehen, dazu gleich mehr. Dehm hat also auf die Fresse gekriegt, von links aus. Wegen der Strichjungen. Und der Homophobie. Und dann kam als Vorwurf noch die Gossensprache (gern auch als Nazisprech tituliert) hinzu. Und wenn man schon dabei ist, ist sicher auch noch Gelegenheit, irgendwie Antisemitismus unterzubringen. Und schon wird es wieder Zeit, dass der Arzt kommt, aber der kann ja nicht, hatten wir eben.

Ok, Populismus also. Ist irgendwie nicht gerne gesehen. Klingt nach rechts, und rechts ist doof. Und sich Mittel zu bedienen, die auch Rechte verwenden, ist nicht nur doof, sondern absolut unmöglich. Dumm nur, dass die Rechten in Sachen Populismus wahre Meister sind, und dass sie damit regelmäßig nicht nur massive Aufmerksamkeit erzielen, sondern auch noch die erreichen, die die Linken so gern erreichen möchten: Arbeiter, Angestellte, Minijobber, Arbeitslose, all diese Leute, die wir Linke doch so gern erreichen und überzeugen wollen. Die allerdings haben mit nächtlichem Rotwein, filterlosen Zigaretten und tiefschürfenden Gedanken über politische zeitlose Klassiker und Strichjungen in der Regel nicht viel am Hut (Wobei sich die Frage stellt, wie groß die linke Lobby für Strichjungen eigentlich grundsätzlich so ist. In den letzten 20 Jahren ist mir das Thema auf der linken Seite jetzt nicht ständig über den Weg gelaufen, abgesehen von dem Moment, als Dehm es auf seine Art und Weise aufgegriffen hat, aber das nur am Rande.)

Populismus also. Da fängt es ja schon bei der Definition an, aber eine lautet so:

Eine politische Bewegung, die die Interessen, kulturellen Wesenszüge und spontanen Empfindungen der einfachen Bevölkerung hervorhebt, im Gegensatz zu denen einer privilegierten Elite.

Na, hoppla! Die einfache Bevölkerung? Nee, lass mal, mit der haben wir Linken alles in allem ja doch nicht so wahnsinnig viel zu tun. Wir haben schließlich große Ziele, die zwar der einfachen Bevölkerung dienen, aber das versteht sie eh nicht. Das machen wir mal besser alleine klar.
Tja, also, das ist keine so gute Idee, und die AfD hat das begriffen. Ja, genau, die AfD!

Die AfD macht‘s richtig!

Wie bitte? Das mag der linke Leser jetzt denken. Was in aller Welt macht denn die AfD richtig? Die sind doch rechts, so weit rechts, dass daran nichts richtig sein kann. Jap, stimmt schon, politisch-inhaltlich gesehen. Aber sie betreiben den Populismus in einer Art und Weise, von der die Linken nur lernen können. Sie provozieren bis auf‘s Messer, knallen in Gedankenspielen schon mal Flüchtlinge an der Grenze ab und jagen, was sie zu meinen, jagen zu müssen. Regelmäßig kriegen sie medial ordentlich Druck ab, wenn sie mal wieder etwas raushauen, das ja nun wirklich gar nicht geht. Ist ja richtig. Aber die Strategie geht auf.

Sie wollen ja nichts anderes als eine breite Öffentlichkeit. Und sie schützen sich gegenseitig. Linke, lest das bitte noch einmal: Sie schützen sich gegenseitig. Wenn AfD-Zwerg A eine Provokation in die Welt hinausbrüllt, ist AfD-Zwerg B ganz schnell zur Stelle, diese Äußerung zu relativieren, zu betonen, dass es so ja nicht gemeint war, sondern ganz anders. Irgendwie harmloser. Glaubt kein Mensch, aber das ist egal. Die Botschaft kam an, die Aufmerksamkeit wurde erzielt, und da eine Krähe der anderen kein Auge aushackt, steht die AfD auch noch als Einheit da. Die Wähler finden das dufte. Und wählen die AfD. Mit seit Jahren wachsender Begeisterung. Und die Linke schimpft wie die Rohrspatzen, wie das denn nun sein könne. Es kann sein, weil die AfD populistisch agiert und dabei genau weiß, wie man das am besten macht.

Und die Linke? Die Partei wie links denkende vermeintlich kluge Köpfe? Für die kommt so etwas nicht in Frage. Und wenn ein Diether Dehm daherkommt und auch populistisch, provozierend und überspitzend eine Tatsache formuliert – nämlich, dass Heiko Maas wie all die anderen unserer inkompetenten Bundesregierung nichts als Nutten und Nuttinnen (ok, ist eine doppelte „Verfrauung“) des westlichen Imperialismus sind -, dann ist das Gejaule groß! Er hat Strichjunge gesagt, habt Ihr das gehört, er hat Strichjunge gesagt!
Meine Güte, ja, er hat das getan. Und die politisch korrekte Linke denkt nun, dass Dehm Strichjungen diffamieren wollte? Diese Herleitung ist so absurd, dass spontane Kopfschmerzen unvermeidbar sind.

Krieg versus Linkengeschlabber

Seit Jahren, seit Jahrzehnten, wird die westliche Politik immer aggressiver, der westliche Imperialismus, der unter Schwächeschüben leidet, versucht, sich mit zunehmender Aufrüstung – sowohl verbal als auch militärisch – aufzupäppeln. Das jüngste Beispiel – der „Fall Skripal“ – macht deutlich, dass dabei Fakten, Beweise oder auch nur Indizien keine Rolle mehr spielen. Es geht um die Aggression, die Provokation, das Feindbild. Erst wird geschossen, dann wird gecheckt, ob der Erschossene es womöglich verdient hat. Die neue Qualität ist jedoch die, dass selbst nach dem „Schuss“ – in diesem Fall Sanktionen und diplomatische Maßnahmen – und nach dem Erkennen darüber, dass es eben doch keine Fakten gibt, die belegen, was eigentlich belegt werden sollte, an der Praxis nichts geändert wird. Frei nach dem Motto: Es mag sein, dass sich die Faktenlage geändert hat, unsere Einstellung aber nicht.
Das ist Kriegslust. Das ist Geilheit auf Provokation, auf Eskalation, das ist das Leugnen von Fakten, und dieses Leugnen führt unweigerlich zur Konfrontation. Und die ist gewollt!

Und die Linke? Die stürzt sich mit Gebrüll auf jede überspitzte Kritik, die womöglich nicht einwandfrei formuliert wurde. Das Absurde dabei: Hätte die Satirezeitschrift „Titanic“ oder die „heute show“ Heike … ups, pardon: Heiko Maas als Nato-Strichjungen dargestellt, hätten das alle so richtig geil gefunden. Auf den Punkt gebracht, schön überspitzt formuliert, hat was, echt jetzt. Satire darf schließlich alles, und recht hat sie meist auch noch.

Hallo? Merkt Ihr es? Ja, Satire bringt politische Sachverhalte überspitzt auf den Punkt. Aber wenn ein linker Politiker das tut, ist es plötzlich böse, böse, böse? Nein, ist es nicht, im Gegenteil, die Linken drücken sich noch viel zu harmlos aus. Es wird Zeit für Überspitzungen, es wird Zeit für Provokationen, für Populismus, und zwar heftig und krass und hörbar.
Dieses ganze „Nee-lass-mal-wir-wollen-uns-doch-nicht-auf-die-Stufe-der-Rechtspopulisten-stellen-Gerede“ ist doch lächerlich. Man kann durchaus beim politischen Gegner abgucken, warum denn auch nicht? Die AfD hat die Linke als Opposition überholt, weil sie die Sprache derer spricht, die sie erreichen will (auch wenn die, die sie erreichen, gleichzeitig die sind, die sie dann verarschen wollen, aber das ist ein anderes Thema). Die AfD hat Formulierungen gefunden, die die Wähler überzeugen, und das kann man jetzt der AfD und den Wählern in die Schuhe schieben, aber dadurch wird linke Politik weder besser noch mehrheitsfähiger. Denn das falsche politische Agieren, die falschen politischen Inhalte muss man inhaltlich und argumentativ auseinandernehmen. Nicht durch blumige Worte und den erhobenen Zeigefinger, weil man dadurch nicht die erreicht, die man erreichen will. Und die man überzeugen will. Und darum geht es doch, oder? Um die Überzeugung derer, die man bisher nicht überzeugen konnte, die fälschlicherweise die AfD wählen. Sinnlose Debatten über Strichjungen überzeugen aber diejenigen nicht, die a) dazu neigen, die AfD zu wählen und b) mit Strichjungen eh nicht viel am Hut haben. Sie massieren allenfalls zärtlich das eigene Gemüt, die eigene politische Korrektheit. Und so bleibt man politisch korrekt unter sich.

Na, herzlichen Glückwunsch!  [InfoBox]

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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