Knapp 200.000 Menschen sähen Jens Spahn gerne mal für einen Monat im Hartz IV-Bezug – deshalb unterschrieben sie eine Petition, die genau das fordert. Diese Feldstudie soll ihm nämlich die Augen öffnen. Doch dieses Drängen zur Empirie am eigenen Leib könnte nach hinten losgehen.
Eine Langzeitarbeitslose hat eine Petition gestartet. Die Sätze von Jens Spahn taten ihr weh, deshalb habe sie das angeleiert. Wir leben halt mal in emotionalisierten Zeiten, den Leuten tut gleich immer alles weh. Selbst strunzdumme Sätze. Die Petition möchte eigentlich nur, dass der Krankheitsminister mal einen Monat von Hartz IV lebt. Mehr nicht. Die Idee klingt ganz witzig. Deshalb hat sie auch schon an die 200.000 Unterzeichner gefunden. Mehr wird daraus freilich nicht. Mit solchen Vorschlägen befasst sich freilich niemand ernsthaft. Auf welcher Grundlage sollte eine solche Entscheidung auch verabschiedet werden? Auf Verwaltungsdeutsch gesagt: Der Mann hat ja doch viel zu viel Vermögen, als dass man einem etwaigen Antrag auf befristetes Arbeitslosengeld II stattgeben würde. Bis er sich auf sein Schonvermögen heruntergearbeitet hat, ist der Monat schon längst vorbei.
30 arme Tage spiegeln Armut nicht wider
Besonders zur Anfangszeit von Hartz IV war es ein beliebtes investigatives Format bei Reportern, sich mal einige Wochen oder einen Monat in den Hartz IV-Bezug zu verabschieden. Mal ein bisschen so leben wie diese Leute, die jammerten, dass ihnen der Regelsatz nicht reicht: Und dann daraus eine Story schustern. Man lebte auf wenigen Quadratmetern, verzichtete auf das Auto, kaufte beim Discounter ein, hatte selbst dort die Preise im Blick und ließ mal vom abendlichen Ausgehen ab. Alles sollte realistisch simuliert werden. Das übliche Fazit lautete dann ungefähr so: Üppig lebt es sich nun nicht gerade – das stimme schon. Man müsse knapsen, aber man könne allemal über die Runden kommen, wenn man ein bisschen geübt, ein bisschen Lebenskünstler sei. Und die Tafel gäbe es ja auch noch, wenn es mal wirklich eng würde
Für große Sprünge sei die Lohnersatzleistung ja auch gar nicht gedacht. Es gehe um die Existenz-, um die Grundsicherung. Und die sei rundherum gewährleistet. Die Sache hatte aber immer einen Haken: 30 Tage sind keine Armutssimulation. Man verarmt ja nicht von einem Tag auf den anderen, sondern langsam und betulich. Wenn ein Reporter in seiner intakten Kleidung ein bisschen den Hartzer spielt, dann hat er zumindest eines schon mal nicht: Sorge, wie er sich günstig einkleiden kann. Er muss keinen Fernseher ersetzen, keine Waschmaschine und keine Schuhe. So ein kurzer Lebensmoment auf Regelsatzniveau bildet doch nicht das Leben eines Hartz IV-Beziehers ab. Es ist noch nicht mal ansatzweise eine Simulation, sondern im Grunde das krasse Gegenteil davon. Nämlich ein Bestätigungsjournalismus für den elitären Leser.
Sozialdschungelcamp oder Am Ende sagt er, dass es ein guter Monat war
Wenn einem Probanden ein Ministersalär von 15.000 Euro nach 30 Tagen Armut winkt, hält er diese Zeitspanne doch ganz anders aus als jemand, der abends im Bett liegt und ahnt, dass es für ihn momentan und wahrscheinlich auch für eine längere Zeit keine Ausflucht gibt. Ein Armer zur Probe ritzt sich vor dem Schlafengehen einen Strich in die Schlafzimmertapete, jeden fünften davon quer und zählt herunter: Bald fängt wieder das süßere Leben an, gleich nach der Erfahrung hier, tröstet er sich, geht er zu Gino an der Ecke und bestellt Saltimbocca, danach Kino und ein Absacker darf es auch noch sein. So einen Trost gibt es für den Langzeitarbeitslosen nicht. Bei ihm ist es bestenfalls Hoffnung. Und wir dürfen indes hoffen, dass sich dieser arme Mensch solche Hoffnungen bewahrt hat, denn wenn die Hoffnung stirbt, dann ist alles zu spät und wieder jemand verloren. Zwischen Trost und Hoffnung liegen hier ganze Welten.
Insofern ist die Idee, den Minister unter Hartz IV zu stellen, gar kein wirkungsvoller Ansatz. Lassen wir mal den Umstand außer Acht, dass sie in einem luftleeren, weil nicht realisierbaren Raum ausgebrütet wurde. Der Mann kommt aus seiner Armutszeit nicht als Geläuterter heraus, sondern wie jemand, der gerade eine Competition gewonnen hat. Wie einer dieser C- bis X-Stars, die aus dem Dschungelcamp heimkehren und so tun, als seien sie Überlebenserprobte, Survival-Kollegen von Rüdiger Nehberg, die unter schlimmsten Bedingungen für ihren irdischen Verbleib gesorgt haben. Klar, die 30 Tage waren schon eine Herausforderung, ohne Moos läuft ja nicht viel, würde er wohl klarstellen. Aber letztlich habe man die Armut gar nicht so richtig gespürt. Man habe halt kostenlose Angebote in Anspruch genommen. Spaziergänge in Wald und Flur. Abends irgendwo auf einer Bank sitzen, Passanten beobachten, den Sonnenuntergang genießen und danach noch ein wenig TV gucken. Immerhin ist ein Langzeitarbeitsloser ja von der Gebühr befreit. Wieder 52,50 Euro gespart! Nun gut, 52,50 Euro geteilt durch drei Monate. Aber immerhin! Spahn käme aus so einer Nummer heraus wie jemand, der jetzt wüsste wie es sich anfühlt und der sagen könnte: Alles halb so schlimm.
Hartz IV: Fast wie Wellness für Seele und Body
Wahrscheinlich wäre es noch schlimmer. Er würde seinen elitären Freunden so eine 30-Tage-Kur auf SGB-Basis sogar ans Herz legen. Da könnten sie endlich mal entspannen, sich auf das Wesentliche konzentrieren. Sie könnten länger schlafen, es gäbe ja faktisch nichts zu tun, man könne ja kaum etwas finanzieren. Und man isst weniger, wahrscheinlich nicht gesünder, aber letztlich sei es doch so: Wer das Rinderfilet Chinoise vom Grace am Kurfürstendamm kennt, der wird die TK-Schnitzelchen vom Penny wohl nicht anrühren. Sprich: Der macht ein bisschen Diät, reinigt sich von Innen, enthält sich monastisch auf Staatskosten. So ein Lebenswandel sei ja an sich nicht schlecht, eigentlich könne man wohl ein bisschen provokativ sagen: So ein Langzeitarbeitsloser weiß gar nicht die Frugalität seines Lebens zu schätzen. Armut? Das ist doch Definitionssache. In den 30 Tagen auf Hartz IV hat einer wie Spahn sicher etwas völlig anders gelernt: Nämlich, dass es so viele Reichtümer in einem Leben am Existenzminimum gibt – man müsse diesen kleinen Reichtümern nur das Primat über die Armut erteilen.
Kurzum: Diese Petition ist eine ganz dumme Idee. Jemanden einen Monat Armut zu verschreiben, das dient gar niemanden. Damit ist keinem geholfen. Ganz im Gegenteil. Eigentlich schade, dass das der Frau, die diese Idee hervorbrachte, nicht so richtig in den Sinn kam. Aber wie gesagt, arm wird man nach und nach. Der, der aus seinem Leben in die Armut tritt, verarmt nicht umgehend. Es ist ein Prozess. An anderer Stelle beschrieb ich ja schon, wie sich das bei mir anfühlte. Die ersten Monate in Hartz IV gingen noch. Ich hatte Erspartes, meine Klamotten waren neu, dann kündigte ich irgendwann die Lebensversicherung, gab mein Auto ab und hatte am Ende knapp 3.000 Euro auf dem Girokonto. Leider mit einem Minus davor. Würde Spahn mein damaliges Leben begreifen, wenn er mal kurz in die Armut hüpfte?
Aufmerksamkeit hat die Petition natürlich schon erregt, eigentlich gefährlich, dass das viele für eine gute Idee halten. Aber so ist das halt, wenn man aktionistisch wird, weil einem ein Satz weh tat. Weniger emotional wäre gut. Aber das entspricht leider nicht dem Zeitgeist.
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