Die Spitze der SPD hat nun einen neuen Begriff in die Runde geworfen, mit dem man der Kanzlerin Demokratieverachtung nachsagen kann: Asymmetrische Demobilisierung. Das bedeutet: Durch Sachthemenverweigerung die Wähler von der Urne fernhalten. Dazu gibt es einiges anzumerken. Als erstes mal: Warum zum Henker muss man der SPD denn Bällchen zuwerfen?
Dass die Bundeskanzlerin Sachthemen kaltstelle und damit Wähler demobilisiere, hat der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann schon vor zwei Wochen einem Journalisten in den Notizblock diktiert. 2013 sei deswegen der gesamte Wahlkampf abgeblasen worden. So habe die SPD natürlich nicht punkten können, merkte er an. Am Wochenende hat Kanzlerkandidat Martin Schulz diesen Erklärungsansatz erneut aufgegriffen (vermutlich hat man das jetzt als terminologische Strategie beschlossen) und ihn auf das aktuelle Wahljahr übertragen: 2017 laufe es nämlich schon wieder so. Das sei Demokratieverachtung. Mindestens.
Nun kann man der Bundeskanzlerin Demokratieverachtung in nicht wenigen Fällen nachsagen. Ihre ganze Europapolitik zum Beispiel, die sich über Karlsruhe, nationale Hoheitsrechte und jegliche kontinentale Ethik hinwegsetzte, und die nicht unwesentlich von eben jenem Martin Schulz mitgetragen wurde, war ein einziges Potpourri an Demokratieverachtung. Ihr jetzt aber anhängen zu wollen, sie ticke nur deshalb so, weil sie für sie unliebsame Sachthemen verschweigt, das ist vielleicht arglistig und hintertrieben: Aber undemokratisch ist das nicht unbedingt – schließlich hat man in einer Demokratie auch ein Recht darauf, Dinge nicht beim Namen nennen zu müssen. Solange sich noch genug Widersacher finden, die die Dinge dann doch namhaft machen, kann das jede Demokratie durchaus aushalten.
Wobei wir jetzt bei den Sozialdemokraten wären. Denn das wäre ihre Rolle. Ihre Führung wirft aber nun in die Runde, dass Frau Merkel sich einem Wahlkampf entzogen habe, weil sie keine Themen aufs Tapet bringen wollte. Dass sie gerne über Bestände hinweggeht – geschenkt, wissen wir. Dass die SPD sich aber ansteckt an dieser Verweigerungshaltung: Was hat das bitte mit der Kanzlerin zu tun? Eine Kanzlerin ohne Sachthemenbezug wäre doch, so nimmt man als naiver Bürger reflexartig an, ein gefundenes Fressen für einen Kontrahenten, der sich auf diese Sachen konzentrierte. Es aber zu unterlassen, weil die Gegenseite keine Lust dazu zeigte: Das ist doch kein zwangsläufiges Regelwerk im Wahlkampf, sondern einer Unfähigkeit zum Sachwahlkampf geschuldet. Was kann denn Merkel dafür, dass Steinbrück nichts entgegenzusetzen hatte? Was kann sie dafür, dass Herr Schulz‘ Zug jetzt an eben eine solche Steinbrück‘ donnert?
Sich aber jetzt hinzustellen und zu jammern, dass Frau Merkel kein Bällchen hin und her werfen wollte: Das ist nicht Demobilisierung zulasten der SPD – das ist die Debilisierung an der die Sozialdemokraten mehr und mehr zu leiden scheinen. Der Satiriker Leo Fischer hatte schon recht, als er jüngst auf Facebook notierte, dass man »… das meiste, was einem Sozis so erzählen, […] außerhalb klinischer Zusammenhänge normalerweise nicht zu hören [bekommt]«. Man kann das nach diesem Klagelied asymmetrischer Natur leider gar nicht freundlicher formulieren.