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Schau’n mer mal

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Die Kommentarspalten wissen: Der Wahlkampf ist spannend wie schon lange nicht mehr. Ach, ist er das wirklich? Gäbe es mehr Bekenntnisfreude, so könnte er es werden. Man sollte diese Schau’n-mer-mal-Haltung nicht mit Spannung verwechseln: Sie ist ein Casino der Beliebigkeit.

Vor einigen Wochen traf sich Stephan Hebel von der Frankfurter Rundschau mit dem Vorsitzenden der Hessen-SPD, mit Thorsten Schäfer-Gümbel im Frankfurter Haus am Dom. Es ging um Hebels neues Buch, das Grundlage einer politischen Debatte sein sollte. Zentrale Frage war, ob denn die Sozialdemokraten bereit seien, eine Alternative zu Merkels neoliberaler Politik anzubieten. Und wären sie denn bereit, einen darauf abzielenden Lagerwahlkampf zu bestreiten? Schäfer-Gümbel antwortete kompliziert, aber eines sagte er ziemlich klar: Seine Partei habe schon vor Jahren auf Bundesebene beschlossen, keine Ausschlusseritis mehr zu betreiben. Dieses seltsame Wort gefiel ihm so gut, dass er es an dem Abend auch prompt mehrmals aufsagte.

Anders, richtiger gesagt, kann man also festhalten, dass es sich die Sozialdemokraten so vorstellen: Erstmal sollen alle Wahlberechtigten am letzten Sonntag im diesjährigen September den Weg ins Wahllokal finden. Dann wartet man mal ab, was gegen 18:00 Uhr auf den Monitoren erscheint und dann könne man ja mal gucken, was geht und was nicht. Was so vernünftig nach Realpolitik in seiner höchsten Ausprägung klingt, ist einfach nur Beckenbauers Devise, die man politisch verwurstet: Schau’n mer mal. Wer so Politik machen will, der macht keine Politik. Der hält sich Machtoptionen warm. Und zwar entfesselt von jeglichen inhaltlichen Diskurs.

Die SPD, die Schau’n mer mal sagt, unterstreicht ihr historisches Versagen der letzten zwei Jahrzehnte mit genau einer solchen Ausrichtung oder besser gesagt: Ausrichtungslosigkeit. Indem sie sich offen hält, welche Option sie sich nach der Bundestagswahl vorstellen kann, dämmert sie weiterhin in der Beliebigkeit vor sich hin. Sie verweigert jeglichen Hinweis darauf, ob sie sich als Juniorpartner im Merkelismus, Senior einer GroKo im Postmerkelismus, als Kopf einer Regierung mit einer vielleicht leicht abgemilderten neoliberalen Politik oder aber als stärkste Kraft in einem Mitte-links-Bündnis sieht.

Ohne Ausschlusseritis dümpelt man vor sich hin und wartet zu. Irgendwas wird schon passieren. Das ist Reaktion statt Aktion. Man sollte daher Schulzens Kampagne nicht mit Anpacken verwechseln oder damit, dass da jemand die Geschicke in die Hand nimmt. Es geht darum möglichst offen in alle Richtungen zu sein, damit man am Wahlabend möglichst offen in alle Richtungen sondieren kann. Schäfer-Gümbel versuchte das an jenem Abend als vernünftiges Handeln einer Partei darzustellen, der es ziemlich ernst ist mit dem Wählerwillen. Er gab sich als Vertreter eines diesbezüglichen Fürsorgeauftrags zu erkennen. Dass man Wähler aber auch gerade mit einem Bekenntnis zu einem Bündnis überzeugen kann, hat sich in der heutigen SPD noch nicht herumgesprochen.

Als Alternative zum derzeitigen neoliberalen Kurs der amtierenden Regierung ist eben nur ein Mitte-links-Bündnis vorstellbar. Wenn die Sozialdemokratie das nicht ins Auge fasst und deutlich macht, dass sie es will, wird sie am letzten Sonntag im September mal schauen was rumkommt und weiter so machen mit der »Weiter-so!«-Kanzlerin. Wo man aber nichts ausschließt und nichts als Ziel vorgibt, da kann man von allerlei sprechen. Von einem spannenden Wahlkampf jedoch nicht. Unverbindlich zu bleiben, das hat mit demokratischer Streitkultur nichts zu tun. Das sind postdemokratische Schleichwege ins Wahllokal.

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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