13.8 C
Hamburg

Macht euch mal locker, Ihr Marionetten!

Published:

Xavier Naidoo hier, Xavier Naidoo da, seit Tagen geht das jetzt schon so, und wer nicht auf den sozialen Medien vertreten ist, kann einmal mehr stolz von sich behaupten, nicht auf den sozialen Medien vertreten zu sein. Wer sich allerdings auf Facebook rumtreibt, kann sich der „Berichterstattung“ über die Söhne Mannheims kaum entziehen. Denn auf deren neuem Album ist ein Song namens „Marionetten“. Und der sorgt ordentlich für Wirbel.
Da liegt eine Frage nahe: warum eigentlich?

Das ist ja so: Durch den Song „Marionetten“ (den Text habe ich unten angehängt) bedroht, so muss man fürchten, Naidoo das ganze Land, die Ordnung, die Werte, die Demokratie, all das eben. Und dann ruft er angeblich auch noch offen zur Gewalt auf. Voll der Pediga-Typ, ein krasser Verschwörungstheoretiker, Reichsbürger, Durchgeknallter halt.
Wobei: Könnte es nicht auch sein, dass die Durchgeknallten die sind, die jetzt so ein Fass aufmachen? Ich könnte jetzt den Totschläger rausholen (hey, bildlich gesprochen, nur bildlich gesprochen!) und sagen: Gibt es denn nichts Wichtigeres? Und wer bei klarem Verstand und nicht selbst Opfer von Verschwörungstheorien ist, wird darauf nur antworten können: Ja, schon, es gibt tatsächlich Wichtigeres.
Aber ich lass‘ den Totschläger (wie gesagt: bildlich gesprochen, man betont das in der heutigen Zeit besser zwei- bis siebenmal) stecken und biete den Kritikern stattdessen an: Mach Euch mal locker!

Selten neige ich dazu, auf einen Artikel im „Stern“ zu verlinken, aber heute ist mir danach.
Denn der bringt die Paranoia sehr schön auf den Punkt. Und die Absurdität der Vorwürfe erst recht. Klar kann man Naidoo vorwerfen, was ihm so vorgeworfen wird, Gewaltbereitschaft, Verschwörungstheorien, Pegida-Nähe, Reichsbürger-Nähe, und was weiß ich nicht noch alles. Man kann seinen Text aber auch komplett anders interpretieren und als einen kritischen Ansatz deuten, denn vieles von dem, was er singt, ist durchaus stimmig.

Und, hey, sind wir mal ehrlich: Marionetten lassen sich im ganzen Land finden, wir sind nun einmal gesteuert (ich hab‘ das böse Wort benutzt!) und werden geführt, ob von dunklen Mächten oder hellen Köpfen, sei mal dahingestellt. Wie groß die allgemeine Verarschung jeden Tag ist, sieht man doch, indem man sich nur die Arbeitslosenzahlen ansieht. Jeder, wirklich jeder weiß inzwischen, dass sie geschönt sind und kein realistisches Bild ergeben. Und dennoch reagieren wir schon gar nicht mehr, wenn es mal wieder heißt, die Arbeitslosenzahlen hätten sich prima entwickelt.
Als nächstes „marionettieren“ wir dann im September zur Wahl und finden, dass wir irre viel Einfluss auf die Geschicke der Politik genommen haben. Dann geht es – man könnte sagen: wie an der Schnur gezogen – zurück nach Hause, Anne Will gucken, Bericht aus Berlin und vielleicht noch etwas Plasberg.

Aber gut, diese unsägliche Debatte um Xavier Naidoo ist ein Dauerbrenner, daran kann man wohl nichts ändern. Wobei ich mich schon frage, was genau denn jetzt so gefährlich an dem Typen ist. Er steuert keine Drohnen, verursacht keinen Hunger auf der Welt, er erschießt niemanden. Wo genau ist das Problem? Dieser komische angebliche Aufruf zur Gewalt? Wegen der Bauern und der Forke? Metaphorischer kann man kaum dichten, und es ist noch gar nicht so lange her, da wäre der Vergleich mit der Forke hip und cool revolutionäre gewesen. Aber die Zeiten sind offenbar vorbei.
Also, zu Ende gedacht kann ich keine Gefahr erkennen, die von Naidoo ausgeht. Ich sehe aber die ernsthafte Gefahr, dass sich die „Kritiker“ so derart selbstverliebt in moralischen Ergüssen verlieren, dass sie dabei glatt vergessen, dass es doch tatsächlich Dinge gibt, über die man sich aufregen kann und muss. Und die haben tatsächlich Auswirkungen auf das Leben, also das echte Leben, mit leeren Portemonnaies, Leiharbeit, weltweiten Kriegen und Hunger.

Hab ich noch was vergessen? Ja, auf jeden Fall. Im Netz lassen sich unter den ach so aufgeklärten Naidoo-Kritikern immer wieder Stimmen finden (und zwar nicht zu knapp), die das Wissen über die musikalische Qualität Naidoos gebunkert haben. Die weisen dann gerne und lautstark darauf hin, dass es ja eh alles scheiße ist, was Naidoo produziert. Subjektiv betrachtet ist das völlig in Ordnung, denn man muss den Burschen nun wirklich nicht mögen, auch seine Musik nicht. Das allerdings mit einem objektiven Anstrich zu versehen – und das passiert regelmäßig – grenzt an Debilität. Denn als Musiker nehme ich selbstbewusst in Anspruch, zu erkennen, ob Musik handwerklich gut gemacht ist. Und das ist die Musik von Xavier Naidoo. Deshalb muss man sie nicht mögen, aber zu behaupten, die musikalische Qualität sei Müll, ist ein Zeichen von bis in den Himmel reichender Inkompetenz. Ich vermute, neun von 10 der Leute, die meinen, Naidoo sei ein schlechter Musiker, sind selbst keine. Aber es zeigt, wie kategorisch mit dieser ganze Sache umgegangen wird.
Motto: Wer einen Song wie Marionetten schreibt, kann auch von seinem eigentlichen Handwerk, der Musik, nichts verstehen. Bei Lichte betrachtet eine eher peinliche und armselige Einschätzung.

Ach, und zum Schluss sei auf eine Band hingewiesen, die früher mal ganz schön kritisch war. Das hat ihr zum Kultstatus verholfen. Die Jungs sollen froh sein, dass Ihnen die Idee zu dem nun folgenden Song nicht im Jahr 2017 gekommen ist. Täte ihnen wahrscheinlich überhaupt nicht gut.

Und hier noch der böse Text:

Marionetten

„Wie lange wollt ihr noch Marionetten sein?
Seht ihr nicht, ihr seid nur Steigbügelhalter
Merkt ihr nicht, ihr steht bald ganz allein
Für eure Puppenspieler seid ihr nur Sachverwalter

Wie lange wollt ihr noch Marionetten sein?
Seht ihr nicht, ihr seid nur Steigbügelhalter
Merkt ihr nicht, ihr steht bald ganz allein
Für eure Puppenspieler seid ihr nur Sachverwalter

Und weil ihr die Tatsachen schon wieder verdreht
Werden wir einschreiten

Und weil ihr euch an Unschuldigen vergeht
Werden wir unsere Schutzschirme ausbreiten
Denn weil ihr die Tatsachen schon wieder verdreht
Müssen wir einschreiten
Und weil ihr euch an Unschuldigen vergeht
Müssen wir unsere Schutzschirme ausbreiten

Wie lange wollt ihr noch Marionetten sein?
Seht ihr nicht, ihr seid nur Steigbügelhalter
Merkt ihr nicht, ihr steht bald ganz allein
Für eure Puppenspieler seid ihr nur Sachverwalter

Aufgereiht zum Scheitern wie Perlen an einer Perlenkette
Seid ihr nicht eine Matroschka weiter, ein Kampf um eure Ehrenrettung
Ihr seid blind für Nylonfäden an euren Gliedern
Und hackt man euch im Bundestags-WC, twittert ihr eure Gliedmaßen
Alles nur peinlich – und so was nennt sich dann Volksvertreter
Teile eures Volkes nennt man schon Hoch- beziehungsweise Volksverräter
Alles wird vergeben, wenn ihr einsichtig seid
Sonst sorgt der wütende Bauer mit der Forke dafür, dass ihr einsichtig seid

„Mit dem zweiten sieht man …“

Wir steigen euch auf´s Dach und verändern Radiowellen
Wenn ihr die Tür nicht aufmacht, öffnet sich plötzlich ein Warndreiecks-Fenster
Vom Stadium zum Zentrum eine Wahrheitsbewegung
Der Name des Zepters erstrahlt in Neonreklame im Regen
Zusammen mit den Söhnen werde ich Farbe bekennen
Eure Parlamente erinnern mich stark an Puppentheaterkästen
Ihr wandelt an Fäden wie Marionetten
Bis wir euch mit scharfer Schere von der Nabelschnur Babylons trennen!
Ihr seid so langsam und träge
Es ist entsetzlich
Denkt, Ihr wisst alles besser
Und besser gehts nicht, schätz ich
Doch wir denken für euch mit und lieben euch als Menschen
Als Volks-in-die-Fresse-Treter stößt Ihr an eure Grenzen
Und etwas namens Pizzagate steht auch noch auf der Rechnung
Bei näherer Betrachtung steigert sich doch das Entsetzen
Wenn ich so ein´ in die Finger krieg´,
Dann reiß ich ihn in Fetzen
Und da hilft auch kein Verstecken hinter Paragraphen und Gesetzen

Wie lange wollt ihr noch Marionetten sein?
Seht Ihr nicht, Ihr seid nur Steigbügelhalter
Merkt Ihr nicht, Ihr steht bald ganz allein
Für Eure Puppenspieler seid Ihr nur Sachverwalter“

Bild: Duesseldorfer Marionetten-Theater (Eigenes Werk) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

[InfoBox]

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

Related articles

spot_img

Recent articles

spot_img