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Psychische Ausnahmesituationen

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Entwarnung: Der Mann mit der Axt, der am Düsseldorfer Bahnhof um sich schlug, war einfach nur psychisch angekratzt. Sein Terror war gar keiner. So wie die Objektivität der Leitmedien auch gar keine ist. Auch sie sind im psychologischen Ausnahmezustand.

Die gute Nachricht vorweg: Zwar kommt der kosovarische Axt-Attentäter aus einem Land, in dem fast 96 Prozent der Bevölkerung Muslime sind, aber als Islamisten hat man ihn trotzdem nicht kategorisiert. Die schlechte hintendran: Der Doppelstandard sitzt fester im Sattel denn je. Denn obgleich er sein Umfeld terrorisierte, neun Menschen verletzte, attestierte man ihm bloß, in einer »psychischen Ausnahmesituation« zur Tat geschritten zu sein. Nach Angaben der Polizei habe man ein Attest in seiner Wohnung gefunden, auf der eine Schizophrenie genannt wird. Eine solche Wahrnehmungs- und Gefühlsstörung (um das Krankheitsbild mal vereinfacht zu labeln) ist ja auch tatsächlich eine Ausnahmesituation.

Wer weiß, was dazu führte, dass er einen akuten Schub bekam. Zunächst müssen ja eine genetische Prädisposition sowie eine neurobiologische Beeinträchtigung vorgegeben sein. Triggerfaktoren sind dann meist in der Jugend zu suchen. Als 36-jähriger Kosovare könnte der Balkankrieg ein solcher Faktor sein. Unmittelbare psychosoziale Belastungen verstärken das Krankheitsbild und führen vermutlich (man weiß heute immer noch nicht ganz genau, wie »Schizophrenie« funktioniert) zu Schüben im Verlauf.

Hätte der Mann zwar ein Attest besessen, aber gleichzeitig auch verdächtige Medien in seinem Besitz gehabt, die Rückschlüsse auf eine etwaige Sympathie mit islamistischen Terroristen zugelassen hätten: Was wäre er gewesen – im psychischen Ausnahmezustand oder Terrorist? Diese Frage ist insofern berechtigt, weil wir erst letztes Jahr einen Axt-Attentäter in einem Regionalzug erleben mussten. Bei dem jungen Mann, ein Flüchtling aus Afghanistan, war man sich mit der Einordnung gleich sicher: 17-jähriger Terrorist mit IS-Bezug. Ein Bekennervideo gab es angeblich ja auch. Er hatte es wohl selbst im Internet verbreitet.

Spricht ein derart terroristisches Bild nicht auch für einen psychischen Ausnahmezustand? Für ein erlittenes Trauma? Der junge Afghane hat in Kindheit und Jugend mit absoluter Sicherheit Gewalt als alltägliche Normalität erlebt. Ist das kein Triggerfaktor? Und dann aus diesem Land zu fliehen, in einer anderen Kultur anzukommen und keine Orientierung, keinen Halt zu finden: Ist das keine psychosoziale Belastung? Das sind Fragen, denen man noch andere folgen lassen sollte: Sind solche Menschen nicht genau die Klientel für solche Rattenfänger wie die IS? Oder andersherum: Ist der IS nicht ein vermeintlicher Trostspender und eine Stütze für psychisch vorbelastete Personen?

Es ist doch letztlich so, dass in jungen Jahren Traumatisierte verschiedene Auslösemomente erleben. Der eine verliert seinen Partner durch die Querelen des Alltages. Der andere verliert seine Familie durch Weggang und Flucht. Bei einem gerät die Ordnung durch Arbeitsplatzverlust durcheinander. Bei einem anderen durch die Orientierungslosigkeit in der Fremde. Mancher sucht Trost in einer Facebook-Gruppe. Manch anderer im Dunstkreis von Radikalen. Der hier macht Selfies als kraftstrotzender gesunder Mensch, um so seine psychische Verfassung zu kaschieren. Und der da drüben filmt sich als Hauptdarsteller eines Bekennervideos, in dem die Angst der anderen vor ihm Thema ist. Und am Ende greifen einige dieser Leute – nicht alle tun das ja letztlich – zu einer Gerätschaft, die anderen Tod bringt und sie kurzzeitig mit Macht ausstaffiert. Manchmal ist so ein Gerät eben eine Axt.

Warum man aber den einen Fall als psychische Ausnahmesituation anstandslos akzeptiert, während der andere – nicht unähnlich gelagerte Fall – ohne weiteres Hinterfragen zum Terrorakt erkoren wird, bleibt als Doppelstandard ein mediales Geheimnis. Oder Ausdruck einer psychischen Ausnahmesituation, in der sich die Leitmedien zuweilen wiederfinden.

Natürlich kann man nicht jeden Terrorakt als Ausdruck einer erkrankten Psyche definieren. Das wäre auch zu einfach. Der Begriff des Terrorismus hat verschiedene Definitionen erfahren. Beliebt ist die These, dass er Angst verbreiten will – wobei bei dieser These selten genannt wird, welches terroristische Endziel verfolgt wird. Zwar nennt man die Destabilisierung als mögliches Unterfangen – aber ein konkreter Gestaltungswille durch Gewalt kommt da nicht zum Zuge. Äußerst unbeliebt ist eine andere Theorie. Sie besagt, dass Terrorismus eine Kommunikationsstrategie sei. Da wolle sich jemand Gehör verschaffen. Was wiederum bedeutet, dass diese Theorie ein etwaiges Ziel im Auge hat. Man müsse nur zuhören wollen – was gemeinhin nicht erwünscht ist. Aber das führt im Moment zu weit. Welche These auch immer: Gemein ist ihnen, dass sie planvoll ausgeführt werden. Mit einem Anspruch auf Vorbereitung.

Viele Attentate aber, die wir zuletzt als globalen Terrorismus unterbreitet bekamen, speziell jenes mit der Axt im Zug, hatten aber nichts an sich, was auf geplanten Terrorismus zurückzuführen wäre. Solche Geschehnisse verbreiteten Terror – gar keine Frage. Aber nicht aus Überzeugung, sondern aus einer Befangenheit der seelischen Verfassung heraus. Der Doppelstandard bei der medialen Auswertung hat aber bestimmte psychologische Ausnahmesituationen, die als Tragödie über unsere Gesellschaft kamen, in aller Einfachheit anders bewertet und im kollektiven Gedächtnis (oder der kollektiven Vergesslichkeit, je nachdem, wie man es sehen will) mit falscher Bewertung verstetigt. Auf solchen Fehlanalysen baut dann die Asyl- und Sicherheitspolitik im Lande. Und schlußendlich versetzt uns das alle in eine psychische Ausnahmesituation.

[InfoBox]

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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