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Scherze werden auf Facebook nicht geduldet – schon gar nicht, wenn Veganer beteiligt sind

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Da müssen Sie jetzt durch! Ich nehme Bezug auf das Lied „Fuchs, Du hast die Gans gestohlen“, und ich gehe davon aus, dass Sie diesen Ohrwurm jetzt erst einmal nicht mehr aus Ihren Hirn kriegen. Gut so! Voll verdient! Pech gehabt, selber schuld!

Ich hoffe für Sie, dass Sie kein Veganer sind (ja, ok von mir aus auch Veganerin). Denn dann hätten Sie jetzt womöglich ein echtes Problem. Weil etliche Facebook-Nutzer so richtig scharf drauf sind, Veganer mit falschen musikalischen Vorstellungen an den Pranger zu stellen. Ob das eine etwas mit dem anderen zu tun hat? Ach, komm, wer will das wissen?
Und überhaupt: Hier geht es ums Prinzip. Und das sagt, das Veganer nicht mehr alle Tassen im Schrank haben. Abgesehen davon, dass das natürlich kompletter Bullshit ist, sind die Folgen, die die hier betroffene Veganerin erdulden musste, desaströs. Und sie zeugen einmal mehr von einem kollektiven Verhalten, das im Bereich zwischen Kanalisation – also ganz unten, wo die Scheiße stinkt – und einem dringenden Aufenthalt in einer geschlossenen – und zwar so richtig geschlossen! – Abteilung der Psychiatrie einzuordnen ist.

Diese Frau, diese Veganerin, das muss hinzugefügt werden, damit es auch die letzten Hater verstehen, hatte ihren Bürgermeister angeschrieben. Und gefragt, ob im heimischen Glockenspiel des ebenso heimischen Rathauses nicht das Lied des Fuchses, der die Gans gestohlen hat, gegen anderes Liedgut ausgetauscht werden könne. Über Facebook war ist die Frau mit ihrem Bürgermeister befreundet, der seinerseits fragte, ob sie denn auch wolle, dass der Fuchs auf vegane Ernährung umstellen solle. Nein, antwortete sie, es würde schon reichen, wenn der Fuchs dem Tod durch einen Schuss entkommen könne. Offenbar amüsierten sich beide über diese Sache, und letztlich war die Frau nur genervt über das Lied, das sie wohl nicht mehr hören konnte (wer ähnliche Glockenspiele in seiner Nähe hat, wird wissen, was gemeint ist). Also gut, das Lied wurde entfernt, was allerdings sowieso passiert wäre, da das Glockenspiel regelmäßig mit neuen Songs bestückt wird. Aber für die Veganerin ging der „Spaß“ jetzt erst los.

Morddrohungen erhielt sie, von Arbeitskollegen wurde sie gemieden, sogar von einem Kopfgeld war die Rede. Die Folge: ärztliche Behandlung. Wegen eines Scherzes (von mir aus auch nicht, meinetwegen kann sie es sogar ernst gemeint haben, was soll‘s?!), den ihr Bürgermeister beiläufig in einer Büttenrede erwähnt hatte. Und der mal wieder zeigte, dass der Begriff Zivilisation dringend in den Schulunterricht gehört. Am besten gleich als Hauptfach in der ersten Klasse.

Meine Frage: Was ist schlimm daran, wenn eine Frau, die kein Fleisch isst, sich wünscht, dass ein Lied des Glockenspiels in ihrem Rathaus, das ihr auf die Nerven geht und in dem ein Fuchs und eine Gans vorkommen, nicht mehr hören möchte?

Nur um diese Frage geht es. Aber die Antwort darauf ist sterbenslangweilig. Denn daran ist nichts schlimm, überhaupt nichts. Schlimm ist vielmehr die Tatsache, dass diese Frau keine Frau ist, wenn sie mit den sozialen Medien (genauer: Facebook) konfrontiert ist. Sie ist eine Veganerin, und alleine das reicht aus, um ihr das Schlimmste zu wünschen.
Geht‘s noch?

Für mich ist das, was hier passiert ist – und was natürlich nur ein Beispiel von vielen ist – der Beleg dafür, dass da nichts ist, nichts, das Anzeichen dafür senden würde, dass wir uns in einer sich entwickelnden und denkenden Gesellschaft befinden. Die Masse bewegt sich auf massenhafte Bewertungen zu, auf Urteile und Vorurteile, auf Verurteilungen und auf den Wunsch, die Strafen am liebsten gleich selbst zu vollstrecken. Kopf ab, klar?

Was ich von Veganern halte? Das ist wurscht, völlig egal, absolut unwichtig. Denn der geschilderte Fall befasst sich nicht mit ihnen und ihren Anliegen oder ihrer Motivation, er beschäftigt sich nicht mit dem Für oder Wider, nicht mit den unterschiedlichen Ausprägungen, nicht mit den Abstufungen, nicht mit den individuellen Entscheidungen, die getroffen wurden. Im geschilderten Fall wird ein Urteil gefällt, ein Urteil, das keinen Sinn ergibt, weil keinerlei Beweisaufnahme stattgefunden hat – die zur Folge gehabt hätte, das es keinen Fall gibt.

Es geht hier – und deswegen ist es wichtig – einmal mehr um die Kategorisierung, Klassifizierung und Bewertung von Menschen, die von etwas überzeugt sind. Das muss man nicht teilen, das kann man kritisch betrachten. Aber was im Falle der Veganerin daraus (gemacht) wurde, ist (einmal mehr) der Beleg dafür, dass Feindbilder mit aller Kraft gesucht werden, völlig egal, ob es etwas bringt, völlig egal, ob es einen objektiven Wert hat, ob es also zu etwas führt, das die Welt verbessern könnte. Wichtig scheint allein die Erkenntnis, dass es ein irre gutes Gefühl ist, sich über Veganer zu stellen. Oder über Flüchtlinge. Oder über was und wen auch immer. Stets in der Hoffnung, dass es doch ein gutes Zeichen ist, wenn es jemanden gibt, der unter einem steht.
Konstantin Wecker hat es schon vor langer Zeit sehr schön in einem Lied verpackt, das vielleicht mal eine schöne Abwechslung im Glockenspiel des einen oder anderen Rathauses wäre:

Einen braucht der Mensch zum Treten
einen hat er immer, der ihn tritt.
Zwischendurch verbringt er seine Zeit mit Beten
und ansonsten läuft irgendwo mit.

Auf geht‘s, im Land der Dichter und Denker!

Bild: Wikimedia

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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