Übermorgen hat Gauck seine erste und einzige Amtszeit hinter sich gebracht. Eine Betrachtung.
Sein Amtsantritt war verbunden mit dem Lob fast aller Medien. Hier komme ein Bürgerpräsident, erklärten sie den Menschen. Einer, der Finger in Wunden lege, die Sorgen der Leute kenne und frisch und unverbraucht sei, weil er dem Politbetrieb nicht sehr nahe stehe. Nichts davon hat sich dann verwirklicht. Die Erwartungen verpufften wenig überraschend. Kritiker haben vorher schon darauf hingewiesen, wie der Mann funktioniert. Und so redete er an vielem vorbei und schwätzte meist nur die politische Agenda der Regierungsparteien nach. Sprachlich hat er das Amt auf einen Höhepunkt geführt. Inhaltlich war dieser Präsident fast immer ein Tiefpunkt.
Das Thema seiner Präsidentschaft, so hieß es von Anbeginn an, sei wohl die Freiheit. Er selber sprach gerne von der »Freiheit in Verantwortung«. Und das tat er häufig. Aber die Leitlinie seiner Amtszeit war sie bestenfalls sekundär. Das primäre Thema seiner Ära stellte eher so ein Cocktail aus ökonomischer Ahnungslosigkeit, alltäglichem Unwissen und multilateraler Einfältigkeit dar. Wenn man ihm schon Freiheit als Thema unterstellen wollte, dann höchstens die Freiheit, die er sich nahm, die Nation mit seinem fesch phrasierten Halbwissen zu beglücken.
Gauck war unbeständig und flatterhaft.
Seine Präsidentschaft war eine Präsidentschaft des Muckertums. Er lobte stets die Proteste der Ostdeutschen gegen das System des real existierenden Sozialismus, hielt aber die Proteste von Occupy gegen den realen Kapitalismus für lächerlich. In Sonntagsreden sprach er pathetisch von der verantwortungsvollen Freiheit, nannte aber die gewhistleblowerte Verantwortung für Freiheit kleinkariert einen »puren Verrat«. Er sprach von der Bewahrung der Schöpfung, war aber gegen einen voreiligen Atomausstieg und nannte die Energiewende verächtlich eine »planwirtschaftliche Verordnung«. Diese Liste der Doppelmoral wäre beliebig erweiterbar. Dieses Unbeständige war ein wesentliches Merkmal seiner Präsidentschaft. Eine Leitlinie geradezu.
Gauck war ökonomisch naiv.
Er entblößte sich im regelmäßigen Turnus als Verfechter der neoliberalen Lehre. »Freiheit in der Gesellschaft und Freiheit in der Wirtschaft gehören zusammen«, verkündete er als Weisheit letzter Schluss. Dass sich beide Positionen in den letzten Jahren immer weiter voneinander entfernt hatten, war ihm wohl entgangen. Je mehr Freiheit die Märkte erlangten, desto mehr litt die Demokratie und die Partizipation. Er aber vertrat die Ansicht, dass der Markt die Schmiede des demokratischen Gedankens sei. Wie alle, die vom Neoliberalismus geblendet sind, glaubte auch er die Teilhabe der Menschen am Grad des Konsums messen zu können. Aber Demokratie kann man nicht kaufen. Sie wird hingegen mit dieser Ökonomie verkauft. Privatisierungen verlaufen im Regelfall undemokratisch und bringen einen Verlust an Lebensqualität mit sich. Man schaue nur mal in privatisierte Kliniken oder bestaune mal das Rentensystem, das systematisch »liberalisiert« wurde.
Dieser Bundespräsident verwickelte sich nicht in makroökonomische Spitzfindigkeiten, gab keine Analysen von sich. Er wusste genau, dass er davon keine Ahnung hat. Er lieferte nur die eloquente Untermalung zur herrschenden Ökonomie. Übermittelte schöne Worte für ein System, das zu viele hässliche Seiten hat. Sein wortgewandter Nonsens war die Begleitmusik dieser nihilistischen Weltanschauung.
Gauck war elitär und antidemokratisch.
Vielleicht wusste er auch gar nichts über etwaige Notstände, die der »freie Markt« verursacht. Als Mann der Eliten war und ist er vielen Alltagssorgen ledig. Überhaupt hatte man bei ihm stets den Eindruck, dass er Bürgerbegehren als etwas Lästiges abtat. Demonstrierten zum Beispiel Leute in Frankfurt vor den Tempeln der neoliberalen Weltordnung, nannte er diese Leute lächerlich. Hier schimmerte ein calvinistischer Zug durch, der Prediger, der stets einen Drang dazu hat, seine Schäfchen einzulullen, sie daran zu erinnern, dass sie sich an dem Platz, an dem sie von einer höheren Macht hingestellt wurden, auch einfügen sollen. Proteste laufen dieser Logik entgegen, denn sie sind Ausdruck dafür, dass man seinen Platz nicht so wortlos einnimmt. Diese normalen Menschen haben »an sich zu halten«. Wer das nicht tut, verletzt die Regeln seines Weltbildes. Genauso reagierte er, als eine Mehrheit für die Aufnahme von Edward Snowden war. Was erlaubten sich diese Menschen ein Urteil darüber abzugeben? Doch diese Haltung war bei ihm nicht neu. Schon vor seiner Präsidentschaft giftete er die Kritiker der Agenda 2010 an, die unter dem Namen »Montagsdemos« protestierten. Diesen Namen hätte er wohl gerne markenrechtlich geschützt gesehen.
Dieser elitäre Dünkel, der »normalen Bürgern« verächtlich kam, lebte sich noch auf eine andere Weise aus. Gauck hätte gerne mehr Unternehmer im Bundestag sitzen sehen. Er war stets Anhänger einer »Technokratie des Geldbeutels«. Es störte ihn weitaus weniger, dass so gut wie keine Abgeordneten aus der Arbeiterschaft im Parlament sitzen. Hier kam seine ganze elitäre Blasiertheit mit seinem ökonomischen Verständnis zusammen. Sein Ideal ist ein Staat, in dem der »bessere Mensch« über die »Normalos« regiert und zugleich auch noch Fachmann innerhalb der herrschenden Ökonomie ist. Oder wenigstens wie ein Fachmann aussieht. Denn wenn man den Staat mit den Maximen einer Unternehmensführung leitete, würde er angeblich effizienter und besser.
Gauck war politisch kurzsichtig und fahrlässig.
Besonders gut konnte man seine politische Kurzsichtigkeit, die schon geradezu fahrlässig wirkt, in jener Phase seiner Amtszeit erkennen, in der er meinte, Deutschlands Außenpolitik zu mehr Mut motivieren zu müssen. Dauernd plädierte er für Waffeneinsätze und starke deutsche Militärpolitik. Selbst Gedenkveranstaltungen riss er an sich, um die damals (wie heute) ohnehin schwierige politische Lage in Osteuropa nochmals zu verschlimmern. Zu glauben, dass eine Europäische Union unter Waffen dem Kontinent den Frieden sichert, ist ein Akt fataler Kurzsichtigkeit. Im ersten Moment mag eine solche europäische Waffenbrüderschaft ein Patt schaffen. Aber Gauck verwechselte diesen Stillstand mit Frieden. Langfristig wird das kein Weg sein.
In dieser Kurzsichtigkeit steckte von allen Makeln seines Charakters etwas. Da war natürlich die ökonomische Komponente, denn der Osten wäre ein feiner Markt für die Europäische Union und Deutschland. Vermutlich hat er sich das einflüstern lassen. Dazu kam ein Missionseifer, der schon fast Züge eines religiösen Wahns trug. Und es war das elitäre Sendungsbewusstsein, dass sich hier übernational betätigte und den »wilden Völkern« zeigen wollte, wie es richtig funktioniert. Gauck war aber nicht nur in dieser Angelegenheit kurzsichtig, sondern wirkte in vielen Bereichen eher wie jemand, der von Mittag bis zwölf Uhr denkt. Sei es in Sachen Sozialstaat, Überwachung oder Islam in Deutschland. Er hetzte zwar nicht gegen Moslems, aber den Islam sah er durchaus als Schule radikaler Affekte an. Und zu Deutschland gehören sollte er auch nicht. Er bezog sich dabei auf die abendländische Geschichte, die aber durchaus nicht so islamfrei ist, wie das ihre Erzähler gerne behaupten. Auch er hat insofern an der Islamophobie mitgebastelt, die jetzt in Hasskommentaren, auf Dresdner Straßen und bei der AfD Normalität ist.
Gauck war der falsche Präsident in einer schwierigen Zeit.
Von diesem Bundespräsidenten wird wenig Substanzielles übrigbleiben. Mal abgesehen von der Aushöhlung eines Amtes, das nicht mehr überparteilich wahrgenommen, sondern als verlängerter Arm der Tages- und Wirtschaftspolitik verstanden werden wird. Zwischenzeitlich ließen viele Medien nur noch selten ein gutes Haar an ihm. Es war fast so, als hatte man von seinem Gehabe die Nase voll. Gegen Ende seiner Amtszeit mochten sie ihn wieder: Denn das war die Zeit, in der er weniger von sich gab. Die Kritik an seiner Person hat bei ihm womöglich ein Umdenken verursacht. Nicht in der Sache, nicht in der Thematik. Aber doch wohl, dass es besser ist, manchmal nicht den Pastor raushängen zu lassen und zu schweigen oder nur Binsensätze anzubringen.
War er der schlechteste Bundespräsident aller Zeiten? Man kann Äpfel und Birnen, Lübkes und Gaucks nicht richtig vergleichen. Lübke kam aus einer anderen Zeit und saß diesem Land vor, als die Probleme andere waren. Aber Gauck schien zumindest wie seinerzeit Lübke aus seiner Zeit gefallen. Er war ein Transparenzvereitler in Tagen, da die Bürger Transparenz für wichtig halten. Er war ein Militarist in einer Ära, da man am Frieden festhalten möchte. Und er war ein sozialstaatlicher Anti-Etatist in einer Epoche, die eine neue Massenarmut schafft. Kurzum, er war ein Präsident von gestern, der im Heute überfordert war und diese Überforderung mit eloquenter Rhetorik vertuschte.